Region Kabardino-Balkarien

Russlands Kampf gegen "Emirat Kaukasus"

Seilbahn im Elbrus-Skigebiet im Kaukasus
Die Seilbahn im Elbrus-Skigebiet - auf 3000 Metern Höhe © Thomas Franke
Von Thomas Franke · 10.02.2015
In Kabardino-Balkarien herrscht Krieg zwischen den russischen Sicherheitskräften und Terroristen, die ein "unabhängiges Emirat Kaukasus" errichten wollen. Junge Muslime geraten unter Generalverdacht. Die Lokalpolitiker setzen trotz allem auf Ski-Tourismus. Das Auswärtige Amt rät von Reisen in die Kaukasus-Region ab.
Der Sturm wirbelt den Schnee in die Höhe. Eine Pistenraupe walzt den Boden platt. In der Seilbahnkabine drängeln sich Leute mit Skiern und Snowboards. Daunenjacken, bunte Skibrillen, Jeans, Overalls.
"Ich habe in der Schule Deutsch gelernt, aber alles vergessen. Ich bin Sascha."
Das Skigebiet am Elbrus - dem höchsten Berg im Kaukasus - ist schwer zu erreichen. Von Moskau aus fliegt man gut zwei Stunden nach Süden, dann noch gut zwei Stunden mit dem Auto zum Ort Terskop.
Das Auswärtige Amt in Berlin rät von Reisen in die Region ab. Und das hat Gründe: Im Februar 2011 kaperten Terroristen einen Kleinbus mit Skitouristen aus Moskau. Drei Geiseln wurden getötet. Kurz darauf sprengten Terroristen eine Seilbahn. Eine Autobombe auf einem Parkplatz vor einem großen Hotel konnte rechtzeitig entschärft werden.
Die Mehrheit der Bevölkerung in Kabardino-Balkarien sind Moslems. Auch hier gibt es eine Art Krieg zwischen Sicherheitskräften und Terroristen - wie im nahen Tschetschenien und Dagestan.
"Man muss keine Angst haben, herzukommen. Ich komme von hier. Ich weiß nicht, wovor die Angst haben, vor der Situation oder vor dem Service. Jetzt kann man sich ja hier frei bewegen. Man kann einen Passierschein bekommen, und bei den Anwohnern reicht der Pass."
Sascha arbeitet im Tourismus in Kabardino-Balkarien.
Die Seilbahn ist auf 3000 Meter Höhe angekommen. Die oberen Pisten sind wegen des Sturms gesperrt. Sascha schnallt sich seine Skier unter.
"Heute weder ich nach unten wohl etwas länger brauchen, vielleicht so 15 Minuten. Normalerweise sind es sieben."
Er wedelt zu Tal.
Ringsherum Gipfel des Nordkaukasus. Schneewehen, Felsen, der Wind treibt die Wolken durch die Täler, die Sonne blendet.
2011 hat der damalige Präsident Russlands, Dmitri Medwedew, breit angelegte Investitionen in der Region angekündigt. Mit bis zu 15 Milliarden US-Dollar soll dort bis 2020 ein Skigebiet entstehen. Geplant ist den Elbrus als Konkurrenz zu den, so wörtlich "teuren und überfüllten Skiorten in den Alpen" zu etablieren. Das ist sehr ehrgeizig.
Prielbrusje, ein Ferienort am Fuß des Berges. Hohe Nadelbäume umschließen die Häuser. Es ist kalt geworden in der Nacht. Minus 20 Grad Celsius. Die Schakale kommen herunter, die Nacht wird unruhig.
Übernächtigt ist auch Uzeir Kurdanov der Bürgermeister von Prielbrusje. Und er ist erkältet.
"Die lokale Bevölkerung investiert in Hotels, in Cafés, in Skiverleih und Skischulen. Die lokale Bevölkerung kann, wenn sie will, natürlich Geschäfte aufmachen, zwar kleine, aber sie kann dabei Geld verdienen."
Seine Gemeinde hatte zu den Neujahrsferien 30.000 Besucher - so viele wie zuletzt vor zehn Jahren. Doch dem Skigebiet am Elbrus internationale Strahlkraft zu verleihen ist, ein Jahr nach den Olympischen Winterspielen im benachbarten Sotschi, sehr vom Wunschdenken geprägt.
Vor allem die Sicherheitslage steht dem entgegen. Bereits Ende der 90er-Jahre tauchten die ersten islamistischen Kämpfer in der Region Kabardino-Balkarien auf. 1998 griffen einige das Gebäude des Innenministeriums an. Die Terroristen kämpften für ein von Russland unabhängiges Emirat Kaukasus.
"Vom ersten Tag an haben alle darauf hin gearbeitet, dass der Terror aufhört"
Seit dem dreht sich die Gewaltspirale. Immer öfter wurden ganz normale Gläubige in den Konflikt hinein gezogen. Muslime aus dem Kaukasus stehen in Russland quasi unter Generalverdacht. Die Unterdrückung sorgt für Unterstützung der Islamisten aus Teilen der Bevölkerung, eine wesentliche Finanzquelle ist jedoch die Verbindung zur organisierten Kriminalität.
"Vom ersten Tag an haben alle darauf hin gearbeitet, dass der Terror hier aufhört. Die Jugend genauso wie die alten Leute. Alle."
Bürgermeister Uzeir Kurdanov vermutet, dass der Terror von außen hereingebracht werde.
Nach den Anschlägen 2011 mit drei Toten und einer gesprengten Seilbahn litten die Bewohner neun Monate unter einer Antiterroroperation der russischen Regierung. Sicherheitskräfte sperrten das langgestreckte Tal bis hinauf zum Elbrus-Massiv, durchkämmten systematisch Häuser und Wohnungen.
Neun Monate konnte man nur unter großen Schwierigkeiten zum Elbrus kommen, Touristen blieben aus. Es sei sicher, beteuert der Bürgermeister, die Anwohner hätten zur Polizei ein gutes Verhältnis.
"Das hängt damit zusammen, dass die Polizei während und nach der Antiterroroperation angefangen hat, alle drei Monate vor der Bevölkerung Rechenschaft abzulegen. Die Bevölkerung hatte das nicht erwartet, dass die Polizei der Bevölkerung berichtet. Deshalb entstand sofort Vertrauen. Was man vorher nicht sagen konnte."
Was allerdings der russische Geheimdienst FSB in der Gegend mache, das wisse niemand, so der Bürgermeister.
Schützenpanzer sind auf den Straßen von Kabardino-Balkarien fast überall, Verkehrsposten sitzen hinter Sandsäcken und Betonblöcken. Die Angst ist realistisch.
Der bisheriger Höhepunkt der Eskalation war im Oktober 2005. Rund 200 islamistische Terroristen stürmten die Polizeistationen in der Gebietshauptstadt Naltschik, die Kaserne und den Sitz des Geheimdienstes. Und sie eröffneten das Feuer auf den Flughafen.
Einen Tag lang lieferten sich Sicherheitskräfte und Terroristen Gefechte. Als die Kämpfe abflauten, waren 145 Menschen tot: 95 Angreifer, 35 Uniformierte, 15 Zivilisten.
Der Prozess ging erst im Dezember 2014 zu Ende. Die 57 Angeklagten wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Angehörige sprechen davon, dass die mutmaßlichen Täter in der Haft gefoltert wurden. Abgesehen davon, dass die mehrjährige Untersuchungshaft den rechtlichen Rahmen vollständig gesprengt hat, kritisieren Menschenrechtler die Härte der Ermittlungen.
Die Menschenrechtsorganisation Memorial, die das Verfahren beobachtet hat, spricht davon, dass die Schuld vieler Männer bewiesen sei, aber eben nicht aller. Es seien auch Männer verurteilt worden, die 2005 noch minderjährig waren und nur mitgelaufen seien, dementsprechend auch nicht geschossen hätten, teils frühzeitig weggelaufen wären. Das stehe in den Akten, sei vom Gericht aber nicht berücksichtigt worden. Auch seien Angeklagte zu Aussagen gezwungen worden.
Der Markt im Zentrum der Gebietshauptstadt Naltschik. Junge Männer mit Wollmützen, Lederjacken. Nur wenige Frauen tragen Kopftücher, Einkaufstüten tragen alle. Der Boden ist vereist. Braune und schwarze Plastikplanen schützen die Stände gegen die Kälte. Es gibt Schaschlik, Tee und frisch gepressten Granatapfelsaft.
In der Halle ist es geheizt. Offene Stände mit Obst und Gemüse, Kosmetik und Klopapier. Ein Stand mit Koran-Suren und Bildern von Mekka, langen Mänteln und Kopftüchern. Dahinter stehen zwei Männer.
Der Markt im Zentrum der Gebietshauptstadt Naltschik im Kaukasus
Menschen schlendern auf dem Markt im Zentrum der Gebietshauptstadt Naltschik© Thomas Franke
"Das sind muslimische Düfte. Die werden auf der Basis von Ölen aus Saudi-Arabien hergestellt. Gewöhnliche Öle werden dafür nicht genommen. Das schenke ich Ihnen."
Er nimmt einen Beutel Schwarzkümmel. Der Koran schreibt ihm heilende Wirkung zu. Seinen Namen möchte der Verkäufer nicht sagen, er müsse eine Familie ernähren.
Und das sei schwierig, das Geschäft laufe so, dass es gerade reiche, sagt er. Richtig gern redet hier keiner. Die Menschen antworten aus Höflichkeit.
"Ich spüre keinen Druck von den Behörden. Gegen mich liegt nichts vor. Ich habe mit niemandem Probleme. Ob wir das wollen oder nicht, wir leben in der Russischen Föderation. Das müssen wir respektieren und nach der Verfassung der Russischen Föderation leben."
Das ist nicht selbstverständlich. Seit dem Ende der Sowjetunion setzen die teils extrem radikale Terroristen und Separatisten in den nordkaukasischen Republiken die Menschen unter Druck.
"Wir versuchen, uns da rauszuhalten. Natürlich ist die Lage hier nicht besonders gut. Aber ich bin kein Politiker. Natürlich ist Terrorismus nicht gut, es ist falsch. Und es macht uns Sorgen. Wir wollen Frieden, hier und überall. Dass die Menschen einander verstehen."
Und wer sich einmischt, läuft Gefahr ins Visier der Sicherheitsorgane zu geraten. Ibragim Jaganow engagiert sich für die Rechte der Tscherkessen, einer Minderheit im Nordkaukasus. Er sitzt in seiner Küche.
Seine Frau kocht Tee, backt in der Pfanne kleine Hefepfannkuchen. Jaganow wurde im letzten Winter vorgeworfen, einen radikalen Islamisten zu decken. Sie seien Moslems, sagt er, aber nicht besonders religiös.
Er erinnert sich an den Nachmittag, an dem er festgenommen wurde. Er war bei der Arbeit - Jaganow züchtet Pferde - da bekam er ein Anruf von der Polizei.
"Ich habe sie zu mir nach Hause eingeladen. Das schreiben unsere Traditionen vor. Sie waren zu sechst, sechs Mitarbeiter der Polizei. Das hat mich noch gewundert. Oben in der Wohnung haben sie mir dann einen Durchsuchungsbefehl präsentiert.
Und einen Gerichtsbeschluss, in dem es heißt, dass irgendein Bürger Russlands namens Tschernyschow in einem Terrorcamp in Afghanistan war, dass er kürzlich nach Russland eingereist ist, und dass sie Informationen darüber haben, dass er in den Kaukasus kommen und hier unter der lokalen Bevölkerung Terroristen anwerben will.
Und dass dieser Tschernyschow sich bei mir befinden könne. Die Milizionäre waren sehr korrekt, sie haben erklärt, dass sie einen Befehl erhalten haben. Der Älteste von ihnen sagte: Ich habe die Anordnung des Gerichts gelesen und verstehe ehrlich gesagt gar nichts, aber wir haben unsere Anordnung und den Durchsuchungsbefehl und den müssen wir jetzt ausführen."
Antiterroraktionen, um Menschen einzuschüchtern
Stundenlang wurde Jaganow verhört. Er unterstütze Terroristen. Nach Ansicht von Beobachtern waren diese Vorwürfe konstruiert. Gerade im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi haben die Behörden sehr gereizt auf das Engagement der Tscherkessen reagiert. Antiterroraktionen würden benutzt, um Leute einzuschüchtern, so Jaganow.
"Sie haben versucht, auf so eine grobe, physische Art auf die gesellschaftlichen Organisationen Druck auszuüben. Sie führen regelmäßig Anti-Terror-Operationen durch.
Wir haben sie sogar zum Scherz Anti-Touristen-Operationen genannt. Weil nach solchen Operationen der Geheimdienste immer weniger Touristen kommen. Die Jugend hat davor große Angst. Sie ist eingeschüchtert."
Einschüchternd wirkt die Härte, mit der die Sicherheitsbehörden vorgehen. Oft sperren sie ganze Straßenzüge, zerstören Häuser auch Unbeteiligter. Das russische Parlament, die Duma, diskutiert gerade ein Gesetz, nach dem Verwandte von Terroristen enteignet werden können.
Das alles schürt Misstrauen in der Bevölkerung und treibt manche Jugendliche erst recht in die Arme der Extremisten. Muslimische Jugendliche im Kaukasus wachsen in dem Bewusstsein auf, Bürger zweiter Klasse zu sein.
Gerüchte verstummen nicht, dass Jugendlichen Waffen untergeschoben werden, um sie zu verhaften und so Erfolge im Kampf gegen Terroristen vorweisen zu können. Auch, dass sie bereits als jugendliche Moslems dem Generalverdacht des Terrorismus ausgesetzt werden, treibt sie in die Wälder und die Berge. Unbegründet ist das nicht.
Kaukasier werden in der russischen Gesellschaft stark diskriminiert. Vor rassistischen Übergriffen sind sie nicht sicher, sie werden verächtlich als Neger bezeichnet.
Zurück im Skigebiet am Elbrus. Busse, Leute mit Skiern gehen über die Straße. Imbissbuden mit Schaschlik, ein Skiverleih, simple Bierstuben.
Am Fuße des Elbrus wird gebaut. Aus grauen Betonteilen ragen Stahlträger in die Höhe. Davor überdachte Stände. Pullover hängen an Leinen, es gibt Matrjoschkas, die russischen Puppen, Honig und Kräutermischungen.
Verkehrskontrolle im Elbrus-Skigebiet im Kaukasus
Verkehrskontrolle im Elbrus-Skigebiet© Thomas Franke
"Thymian, Islandmoos, Majoran, eine Heilkräutermischung. Hagebutten. Frische. Hundert Rubel. Das ist gut bei Bluthochdruck und bei Diabetes."
Ihre Kinder leben in Berlin-Spandau, erzählt sie.
//"Es läuft nicht schlecht. Eine Zeit lang war der Markt geschlossen. Jetzt läuft es normal. Ich sammele die Kräuter selbst. Früher haben wir im Kombinat gearbeitet, das haben sie zu gemacht.
Ich wurde kurz vor der Rente entlassen. Der Tourismus ist gut, der hilft uns, über die Runden zu kommen. Die Souvenirs gehen gut, und die Kräuter auch."//
Ihre Nachbarin kommt dazu:
"Bei uns ist es ruhig. Weshalb sie die jungen Leute umbringen, wissen wir nicht. Das ist die Politik. Das ist alles wegen Sotschi. Damit alle dorthin fahren."
"Aber zu uns kommen sie doch auch."
"Ja, hier her kommen sie trotzdem. Denn Elbrus ist Elbrus. Die Leute sind ihr ganzes Leben hier her gekommen. Das kann niemand anhalten. Wer früher kam, kommt auch jetzt."
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