Regieren lernen leicht gemacht

Von Paul Stänner |
Bislang besetzen die Spitzenpositionen in Politik und Verwaltung Menschen mit einer eher eindimensionalen Ausbildung. Der Politiker des 21. Jahrhunderts muss aber vor allem Netzwerker sein, der in vielen Feldern bewandert ist und Kontakte knüpfen kann. Als erste und bislang einzige Einrichtung in der Bundesrepublik bietet die private Hertie School of Governance jetzt einen Studiengang an, in dem das gelernt werden soll, was das Regieren besser macht.
Töpfer: (Spricht ein grauenhaftes Englisch) " So lets go back to english " (Gelächter) "to my english, and I have to apologize...."

Berlin im Herbst 2005. Politische Prominenz ist erschienen, Festredner ist Klaus Töpfer, der frühere Bundesminister und seit acht Jahren Direktor des UN-Umweltprogramms mit Sitz in Nairobi. Sein Englisch demonstriert, dass Deutschland für die internationale Bühne nur unzulänglich gerüstet ist. Das soll sich ändern: In der Akademie der Künste am Pariser Platz wird die Hertie School of Governance eröffnet. 30 Studenten aus 18 Ländern werden vorgestellt:

Auf dem Balkon der Akademie, dort wo der Lärm einer entfesselten Zigeuner-Band das Reden erträglicher macht, stehen zwei der frisch inaugurierten Studenten der Hertie School of Governance.

Landsberg: " Mein Name ist Kaja Landsberg, ich habe im Juli in München fertigstudiert amerikanische Kulturgeschichte, Politik und Völkerrecht und freu mich jetzt bei der Hertie school of governance anzufangen den master in public policy."

Nick Menzies aus Sydney in Australien trägt seinen Arm in Gips. Er hat ihn sich gebrochen beim Fußballspiel auf Papua Neuguinea - nicht im Urlaub, sondern bei der Arbeit in der Regierungsbehörde.

" Ich bin sehr glücklich, ich bin glücklich, seit ich in Berlin angekommen bin, ich habe eine schöne Wohnung, die Stadt erscheint mir sehr offen für Neuankömmlinge, es gibt viel kulturelle und Unterhaltungsangebote und die Leute im Kurs haben meine Erwartungen voll erfüllt."

Nach einem ad hoc-Entschluss des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder ist vor kurzem das deutsche Parlament neu gewählt worden. Die Sache ging nicht ganz so aus, wie sich der Initiator es vorgestellt hatte, als er seinem Gefühl die Entscheidung überließ. Nun ist er wider Erwarten nicht mehr Kanzler, die Regierung hat gewechselt, im Parlament sieht man neue Gesichter.

Mit einem bemerkenswerten Effekt: Im neuen Bundestag sind Unternehmer und Selbstständige noch schlechter vertreten, als es schon im vergangenen der Fall war. Von 48 ging die Zahl auf 16 herunter, eine verlorene Minderheit. Die Musik im Bundestag kommt von Anwälten, Beamten und Gewerkschaftern, deren Sicht prägt die Arbeit der deutschen Politik.

Stützle: " Das ist natürlich die ganz wichtige Frage überhaupt an unser parlamentarisches Regierungssystem mittlerweile. Die Parlamente sind ja leider - das gilt auch für den deutschen Bundestag - viel zu unterbelichtet, unterbesetzt mit Menschen, die aus dem praktischen Berufsleben kommen. Handwerksmeister, kleine Unternehmer, die aus ihrer Lebenserfahrung heraus sagen könnten und entscheiden könnten: Stoppt die Flut der Gesetzgebung! Stoppt die Flut der Regularien und Vorschriften! Lasst doch die Handwerker die Hausdächer so bauen, wie sie es gelernt haben - in Bayern sagt man nach Zimmermanns Art - und macht ihnen nicht entsetzlich lange Vorschriften über Hunderte von Seiten, die eh sowieso am Ende keiner kontrollieren kann."

Dr. Walter Stützle ist viel herumgekommen. Er studierte in Frankreich und Deutschland, arbeitete am Londoner Institut für Strategische Studien, ging zum Bonner Verteidigungsministerium, leitete dann einige Jahre das Stockholmer Internationale Friedenforschungsinstitut SIPRI, war Chefredakteur des Berliner "Tagesspiegel" und danach Staatssekretär wiederum im Verteidigungsministerium. Heute unterrichtet er an der Universität Potsdam.

Stützle: " Wir haben im öffentlichen Dienst noch immer das Juristenmonopol und dies ist eine typisch deutsche Eigenschaft, über die sich insbesondere unsere internationalen Partner immer wieder wundern. "

Einem Juristen wird man kaum klarmachen können, dass Vorschriften etwas Schlechtes sind. Juristen lieben Vorschriften. Das kann ein Problem werden.

Stützle: " Nun ist die Juristerei ganz gewiss eine vorzügliche Ausbildung, um das Denken zu schulen, um das Nachdenken zu schärfen, aber es ist gewiss nicht die einzige Möglichkeit - zumal in einer Welt, die so sehr vom wirtschaftlichen Geschehen bestimmt wird, sollte es möglich sein, dass junge Menschen, die aus der Wirtschaft kommen und die eine wirtschaftliche Ausbildung genossen haben, einen größeren Zugang finden auch in den öffentlichen Dienst, auch in die Hochschulen, auch in den Journalismus."

Die unausgewogene Besetzung des Bundestages findet ihre Steigerung in der unausgewogenen Besetzung der öffentlichen Verwaltung. Zumeist sind es Juristen, die in den Behörden arbeiten. Das muss nicht schlecht sein. Aber nach den Erfahrungen von Walter Stützle fehlt:

" Eine Mehrfacherfahrung. Was ihnen fehlt ist eine Erfahrung z.B. in einer Firma, was ihnen fehlt ist eine Erfahrung z.B. im Journalismus oder in der Wissenschaft, und die, die es gemacht haben, die den Wechsel vollzogen haben, haben eigentlich als persönliche Erfahrung immer eine große Bereicherung erfahren und der jeweilige Dienstherr hat dabei immer einen ziemlichen Profit gemacht."

Die künftigen Akteure in der Politik und in den Verwaltungen brauchen eine Ausbildung, die nicht in den üblichen akademischen Schienen verläuft. Aus dieser Überlegung heraus war eine Kooperation zwischen der Frankfurter Viadrina-Universität und der Berliner Humboldt-Universität entstanden, die ein fächerübergreifendes Aufbau-Studium einrichten wollte. Tim Stuchtey leitet an der Humboldt-Uni die Strategische Planung und darüber hinaus einen Think-Tank für transatlantische Politikberatung. Er erläutert, warum man eine solche Ausbildung braucht.

"Weil das politische Umfeld nicht disziplinär organisiert ist wie unsere Ausbildung bislang, wo sie Rechtswissenschaften studiert, Politikwissenschaften studiert haben oder Volkswirtschaftslehre studiert haben, aber die wahre Welt in der Politik in den Ministerien, aber auch in den NGOs ist interdisziplinär, da sind Problemlösungen gefragt sowohl auf der Grundlage juristischer aber auch ökonomischer Einschätzungen. Aber da reicht es eben nicht, wenn sie nur eines haben, da ist der übergreifende Ansatz gefragt und von daher ist ein solcher Studiengang, der aufbaut auf einer disziplinären Ausbildung, heute schon gefragt und sinnvoll."

Aus unterschiedlichen Gründen ist das Projekt von Viadrina und Humboldt-Universität noch nicht zum Tragen gekommen. Als erste und bislang einzige Einrichtung in der Bundesrepublik bietet die private Hertie School of Governance jetzt einen Studiengang an, in dem das gelernt werden soll, was das Regieren besser macht.

Zürn: " Professional schools als solche und gar nicht nur professional schools für public policies sollten wir vielleicht als solche verstehen, wo junge Studierende bereits relativ stark anwendungsorientiert, aber eben gleichzeitig auf allerhöchstem akademischen Niveau für bestimmte Tätigkeiten ausgebildet werden."

Michael Zürn, gelernter Germanistik- und Politikwissenschaftler, ist der Dean, der Dekan der Hertie School. Gleichzeitig arbeitet er am Wissenschaftszentrum Berlin. Zuvor war er zehn Jahre lang Professor an der Universität Bremen.

Zürn: " Solche schools gibt es, engineering schools, law schools etc, jetzt im anglosächsischen Bereich, das sind schools, die etwas quer liegen zu den traditionellen Fächern. Es ist von Anfang eine starke interdisziplinäre Orientierung, die aber gleichzeitig sehr stark problemorientiert ist, und so etwas gibt es in Deutschland eigentlich bis dato kaum, entsteht nur sehr langsam. Im wesentlichen sind es, glaub ich, zwei Gründe: zum einen ist, dass wir im Bereich der Universitäten aufgrund Überregulierungen, starkem Festhalten an einem Humboldtschen Ideal und Fächerkanon trotz Massenuniversität, dass wir aufgrund dessen bestimmte Entwicklungen nicht mitgemacht haben, die anderswo in den letzten zwei, drei, vier Jahrzehnten sich ergeben haben, aber natürlich auch Ausdruck einer bestimmten Gesellschaft, die viel, viel stärker die Grenzen zwischen unterschiedlichen Sektoren betont. Also ist eben die Grenze zwischen Politik und Wissenschaft in diesem Lande ausgeprägter, als wir das etwa in der anglosächsischen Welt aber auch in der französischen Welt kennen."

Mit anderen Worten: In der übertriebenen deutschen Ordnungsliebe, im Kästchendenken, liegt unser Problem. Aber Veränderungen sind in Sicht. Die "Hertie School of Governance" ist eine Gründung der gemeinnützigen Hertie Stiftung, die mit einem Vermögen von rund 750 Millionen Euro zu den potentesten privaten Stiftungen gehört. Mit 25 Millionen Euro schiebt die Stiftung diesen neuen Wissenschafts- und Ausbildungsansatz in Deutschland an. So entstand im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR im Zentrum Berlins ein Campus für zunächst 30 Studenten. Diese Studenten haben bereits ein Studium absolviert und arbeiten sich nun durch ein zweijähriges Aufbaustudium. Zu den Fächern gehören Mikroökonomie, Makroökonomie, Politisches Management und Verhandlungsführung. Praktika und ein persönliches Projekt im zweiten Studienjahr begleiten die Theorie. Für Kaja Landsberg sieht die Sache so aus:

" Ich habe bisher in Deutschland studiert und habe einen Magister hier gemacht und ich glaube, dass ich sehr, sehr viel dabei gelernt habe, allerdings dass die praktische Anwendung zu kurz gekommen ist dabei und ich erhoff mir vom Programm der Hertie School, dass genau diese Defizite aufgefüllt werden. Und außerdem habe ich Schwächen im wirtschaftlichen Bereich und denke, dass es sinnvoll ist, um in die public administration, den öffentlichen Dienst, aber eben auch in Nicht-Regierungsorganisationen oder internationalen Organisationen zu arbeiten. Zumindest diese Ansätze ein bisschen kennen zu lernen und anwenden zu lernen."

Nick Menzie, der Australier, hat bereits praktische Felderfahrung hinter sich:
" Bevor ich zu Hertie kam, habe ich in mehreren Ländern wie Kambodscha und Papua-Neuguinea gearbeitet. In beiden Ländern habe ich mir das Regierungssystem angeschaut, das Rechtssystem, das sozio-ökonomische Entwicklungssystem. Beide Länder beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven dasselbe Problem: Kambodscha kam aus Bürgerkrieg und Völkermord, dann gab es '93 einen großen Wechsel wesentlich durch die Vereinten Nationen. Kambodscha ist wiederaufgebaut worden nach einem demokratischen Modell. In Kambodscha kann man sehen, was passiert, wenn ein Staat zerfällt und dann wieder neu zusammengesetzt wird.

Papua Neuguinea, viele haben schon gesagt, es ist ein Staat im Zerfall, es besteht das Risiko, dass der Staat zusammenbricht, die Regierung hat schon viele Dienste aufgegeben, die man von einer Regierung erwartet wie Gesundheitswesen, Erziehung, Öffentlicher Transport und es gibt Probleme mit Gesetz und Ordnung. Ich fand es sehr spannend, in einem Staat zu arbeiten, der an der Kante steht und abzustürzen droht."

Für ihn ist das Studium an der School of Governance die notwendige Höherqualifizierung seiner praktischen Arbeit über den Zerfall und die Neubildung staatlicher Strukturen.

" Ich bin aus zwei Gründen hier: Ich habe auf dem Gebiet, das ich jetzt studiere, schon gearbeitet und möchte einen breiteren Hintergrund haben und sehen, was in anderen Ländern geschieht, und der zweite Grund ist ein pragmatischer - ich möchte einen besseren Job bekommen. Bei vielen Jobs, für die ich mich interessieren würde, braucht man einen Hochschulabschluss, und wenn ich einen Master gemacht habe, kann ich mich auf ein größeres Jobangebot bewerben. "

Natürlich macht man eine Ausbildung, um sich später auf interessantere Aufgaben bewerben zu können, aber im Gespräch mit den Studenten ist man doch erstaunt zu erfahren, dass Karrieregier nicht der entscheidende Impetus ist. Die Schule ist privat, das heißt, sie kann sich ihre Studenten aussuchen. Dean Michael Zürn erläutert, wie die Schule ihre Studenten findet:

Zürn: " Wir agieren im Prinzip so, dass wir im ersten Schritt Leute auswählen rein nach Leistungen auf der Grundlage ihrer Bewerbungsunterlagen, nicht nur die Noten, aber auch, was sie gemacht haben. Der Eindruck, dass hier tatsächlich jemand da ist, der für das öffentliche, für das Gemeinwohl etwas tun möchte, auch entsteht und wo nun auch schriftliche Proben mitgeliefert werden, Gründe, warum sie jetzt hier an der Hertie school of governance studieren wollen, werden mitgeliefert und dann gibt es noch Interviews - auf der Grundlage werden die Leute gewählt. "

Was aus einer internationalen Auswahl von 200 Bewerbern zunächst einmal 30 Glückliche ermittelte. Das Studium kostet 10.000 Euro im Jahr, was nicht billig ist. Da es aber zu den erklärten Absichten der Hertie School gehört, nicht - wie in Frankreich - eine politische Klasse zu schaffen, in der die Kinder über eine kostspielige Ausbildung in die Jobs ihrer Eltern hineingefiltert werden, vergibt die Hertie School Stipendien.

Zürn: " Und im nächsten Schritt wird dann geschaut, wem wollen wir dann a) die Studiengebühren erlassen, was wir bei sehr, sehr vielen machen schon aus sozialen Gründen, aber auch um die wirklich guten Leute zu bekommen und dann auch die Frage noch, wer braucht Unterstützung hier im Sinne von einem Lebenshaltungsstipendium. "

Und diese Stipendien werden warmherzig vergeben:

Zürn: " Stipendien bekommen in irgendeiner Form bestimmt von den 30 - 27. "

Landsberg: " Ein weiterer Grund, der mich sehr, sehr interessiert hier an Hertie, ist die Interkulturalität, die vor allem eben durch die Studenten repräsentiert wird. Wir kommen aus 18 verschiedenen Ländern, sind 30 insgesamt, aber auch von der faculty her sind nicht nur deutsche und vor allem nicht nur Professoren hier angestellt, sondern Leute, die selber wirklich aus dem Arbeitsleben kommen und einem so ganz andere Zugänge vermitteln können. "

Die Auswahl der Lehrer aus dem akademischen Bereich ist naturgemäß ebenso international wie die der Studenten, Kooperationen mit anderen Hochschulen sind geplant und eingeleitet. Die Unterrichtssprache ist Englisch.

Landsberg: " Ich merk das jetzt, wir hatten schon zwei Wochen lang Unterricht und es ist sehr interessant in Diskussionen, die sich eben mit dem großen Überbegriff "Demokratie" beschäftigen, zu hören, wie sieht es aus für jemanden, der aus Usbekistan kommt, was sagt Ndika aus Kamerun dazu oder wie sieht jemand aus Pakistan die ganze Situation, weil wir sind geprägt durch eine westliche Bildung und deswegen auch durch westliche Werte und ich finde es sehr interessant, die anderen Perspektiven, die da eingebracht werden."

Zu den dramatischen Veränderungen, die die Politik in den kommenden Jahren immer stärker überziehen werden, gehört die so genannte Globalisierung. Die Nationalstaaten werden in ihrer Bedeutung schrumpfen, immer mehr Gestaltungsfelder - Umweltschutz, Handel, Steuerrecht - werden im Zusammenspiel mit anderen Staaten auf multinationaler Ebene abgesprochen werden müssen. Da reicht es nicht, wenn man mit deutschem Verwaltungsrecht und etwas Touristenenglisch die internationale Bühne betritt. Die Folgen unserer nationalen Selbstgenügsamkeit sind immens. Walter Stützle:

" Wir ziehen als Bundesrepublik Deutschland bei internationalen Positionen immer noch überwiegend den Kürzeren gegenüber den vorzüglichen Engländern, gegenüber den meist vorzüglichen Franzosen, auch den sehr, sehr guten Holländern, auch vielen Skandinaviern, die - ich bin beinah geneigt von Kindesbeinen an - lernen, international sich zu bewegen, auch zu sprechen, englisch ist längst eine selbstverständliche Grundsprache, meist verfügen diese Leute über zwei drei Fremdsprachenkenntnisse, da mangelt es bei uns."

Allein die EU-Regelungen dürften zwischen 60-70 Prozent des Wirtschaftslebens beeinflussen. Die Euro-Währung und ihre Stabilität ist ein gemeinsames Interesse von Ländern, die ansonsten sehr unterschiedliche Interessen verfolgen - hier müssen die verschiedenen nationalen, oft auch nur parteipolitischen Interessen von nationalen Führern ausgeglichen werden. Da braucht es umfassende Kenntnisse über die Besonderheiten, die in anderen Ländern eine Rolle spielen. Tim Stuchtey von der Humboldt-Universität:

"Also ich glaube, Verwaltung muss anders sein als in der Vergangenheit, ob wir andere Leute brauchen, weiß ich nicht ... man braucht die gleichen Leute, aber sie müssen eine andere Ausbildung, mehr an Ausbildung haben als in der Vergangenheit und die Verwaltung selber muss sich von der Organisation her verändern, sie ist eben weniger disziplinär organisiert, sondern vielmehr problemorientiert und muss auch damit leben, dass sie unter einer sehr viel stärkeren Beobachtung als vielleicht zu Bonner Tagen steht von der Öffentlichkeit, von den Medien und natürlich von den Verbänden und den NGOs."

NGOs - Nicht-Regierungs-Organisationen wie Greenpeace, Amnesty International, Robin Wood oder attac haben in den letzten Jahrzehnten immer mehr Bedeutung und Einfluss auf die Politik gewonnen. Sie sind neben den herkömmlichen Parteien und interessierten Berufs- oder Wirtschaftsverbänden zu weiteren Spielern auf dem politischen Feld geworden. Die Akteure in diesen NGOs sind oft genug Profis, nicht nur in einem Fachgebiet wie Energieversorgung oder Lebensmittelkontrolle, sondern auch in der Medienarbeit - damit müssen Politik und Verwaltung rechnen.

Michael Zürn: " Wir haben ja drei Entwicklungen, warum private Akteure in der Politik eine größere Rolle spielen als noch vor dreißig, vierzig, fünfzig Jahren, obwohl Interessen immer eine ganz wichtige Rolle gespielt haben. Es sind drei Entwicklungen: die (eine) Entwicklung ist das wachsende Gefühl, dass man sich nicht mehr in einem Parteiapparat hocharbeiten möchte, dass man nicht mehr Mitglied einer Partei sein möchte, sich nicht permanent an etwas binden möchte, sondern dass man sich lieber für ganz bestimmte, konkrete Dinge einsetzt. Und das ist de facto eine Umverteilung des politischen Tuns von Bürgern weg von Parteien hin zu solchen NGOs. "

Was ja auch ein Glück sein kann. Vielleicht ist das das Ende der Ochsentour durch die Parteigliederungen, in denen einer als Kassierer im Ortsverband angefangen hat und als braver, unauffälliger Parteisoldat nach und nach die Postenlaufbahn aufgestiegen ist, bis er so hoch gekommen ist, wie die Partei ihm dankbar war. Mit Qualifikation hat das nichts zu tun.

Die Auflösung von Parteistrukturen könnte dafür sorgen, dass öffentliche Ämter mehr nach Qualifikation besetzt werden und dass die Postenverteilung insgesamt durchlässiger wird. Dann wird auch ein Unternehmer mal für zwei Jahre ein öffentliches Amt bekleiden und anschließend wieder in den Betrieb zurückkehren. In anderen Ländern ist das möglich, im bislang noch spartenversessenen Deutschland nicht. Natürlich würde eine solche Beweglichkeit in der Politik eine ähnliche Beweglichkeit in der Verwaltung erfordern.

Zürn: " Die zweite Entwicklung ist eine, die einfach damit zu tun hat, dass die Bedeutung von privaten, wirtschaftlichen Akteuren gewachsen ist und viele Regelungen nur noch in Kooperation mit ihnen umsetzt werden und teilweise eben auch besser umgesetzt werden können, das sind die berühmten private-public partnerships und die dritte Bewegung, das ist vielleicht sogar die zentralste, ist das in dem Maße, das wir diese internationalen Regelungen haben, wir natürlich eigentlich ein Demokratie-Problem haben. Es sitzen dann die Vertreter von Regierungen hinter mehr oder weniger verschlossenen Türen und handeln irgendwelche Dinge aus, die dann als solches vor niemand gerechtfertigt müssen und können. "

Je mehr Handelnde auf der politischen Bühne auftreten, desto feiner müssen die Gewichte und die Kräfte austariert werden. Dazu kommt, dass die demokratischen Strukturen unterlaufen werden - nicht mehr der Wahlbürger entscheidet über eine Maßnahme, sondern die Kungelrunden aus Politikern, Lobbyisten, Verbandsfunktionären und NGOs. Im Gegenzug - so scheint es - sind Parteien schon dazu übergegangen, ihre Wahlwerbung möglichst wolkig zu gestalten, weil sie wissen, jede konkrete Aussage unterliegt der Gefahr, in späteren Verhandlungen zerbröselt zu werden. Tim Stuchtey von der Humboldt-Universität über pressure-groups:

"Mein Bauchgefühl würde mir sagen, sie sind schon einflussreicher geworden und das, würde ich sagen, ist ein Trend, der anhält, den man verlängern kann, diese Professionalisierung geht weiter auch in Deutschland, vielleicht mit anderen Instrumenten als in den USA."

Wo es in den letzten Jahrzehnten gerade religiös-fundamentalistische Gruppierungen geschafft haben, ein sehr finanzstarkes und öffentlichkeitswirksames Netzwerk zu installieren, um Abgeordnete und auch die Regierung unter Druck setzen zu können. Michael Zürn wünscht sich, dass die Absolventen seiner school of governance das gesamte Repertoire des politischen Theaters beherrschen. Er sieht das Arbeitsfeld ...

" Ganz grob, im öffentlichen Bereich, das ist die Formel, öffentlicher Bereich soll natürlich auch beinhalten den Staat, in einem nicht unerheblichen Maße, dann natürlich auch internationale Organisationen, soll aber auch beinhalten den zivilgesellschaftlichen Bereich, die so genannten NGOs, die es auch im internationalen Bereich gibt mit Greenpeace, amnesty international und soll auch beinhalten solche Unternehmen, die traditionell im staatsnahen Bereich agieren, die eben sehr stark in einem regulierten und staatlich vorstrukturierten Umfeld agieren. Dort werden sicherlich unsere Leute auch unterkommen wollen und sicherlich auch - so hoffe ich wenigstens und davon gehe ich aus - einen Beitrag leisten können. "

Man könnte sich also vorstellen, dass in ein paar Jahren drei Absolventen der Hertie school einander gegenübersitzen - einer als Vertreter der Bundesregierung, einer als Repräsentant von Greenpeace und einer als Lobbyist der Verbandes der Pharmaindustrie.
Zürn: " Ja - und die These ist, wenn das wirklich passiert, dass diese drei, wenn sie dann an einem Tisch sitzen, besser in der Lage sind, eine produktive Lösung zu finden als Vertreter dieser drei Gruppierungen, die jeweils in ihrem eigenen Saft großgeworden sind und gelernt haben, nur in ihrem eigenen Saft zu denken."

Stützle: " Ich erwarte von einer solchen Schule zwei positive Wirkungen für die, die dort hingehen: erstens, dass sie eine sehr große Bandbreite an Themen kennen lernen, sagen wir von wichtigen geistesgeschichtlichen Themen auf der einen Seite bis hin zu schwierigen internationalen Finanzthemen und Fragen von governance auf der anderen Seite, d.h. sie lernen die Verzahnung der Themen kennen, das ist das eine, und das andere ist fast noch wichtiger, sie lernen Menschen kennen."

Walter Stützle, ehemaliger Staatssekretär, Journalist, Wissenschaftler. Kaja Landsberg, Studentin:

" Ich glaub eine wichtige Sache, die uns diese Schule anbieten kann, ist ein Netzwerk an Leuten und an Institutionen, das im Moment noch ziemlich Deutschland- und Europazentriert ist, aber das eben auch mit uns Studenten, wenn wir wieder zurück in unsere Herkunftsländer oder fremde Länder gehen, um dort zu arbeiten, dass dieses Netz sich immer weiter ausspannt. Das ist ein ganz großer Vorteil, find ich, der eben auch pragmatisch gedacht meine Chancen, einen Job, einen interessanten Job zu finden, sei es in Deutschland oder sei es im Ausland, erhöht sich natürlich durch dieses Netz."

Menzie: " Was das Netzwerk angeht, stimme ich Kaja zu, ein Netz von Mitstudenten zu haben von so vielen unterschiedlichen Ländern, von all ihren Erfahrungen zu lernen, das hat sich schon gelohnt in den ersten beiden Wochen. Alle in diesem Kurs sind unglaublich klug und intelligent, wir hatten tolle Erlebnisse und es kommt viel auf den Tisch und zur Sprache - vielleicht sind es die Studenten, von denen wir das meiste lernen können."

Die Zukunft also leuchtet - werden wir besser regiert, wenn wir erst einmal eine Generation von breit ausgebildeten, allseits erfahrenen und international vernetzen Politikern und Verwaltungsexperten haben? Tim Stuchtey von der Humboldt-Universität.

"Also diejenigen, die sich ausbilden lassen in einer solchen school of governance, sind ja häufig nicht diejenigen, die die Entscheidungen treffen, sondern diejenigen, die die Entscheidungen vorbereiten, und insofern haben sie einen nur limitierten Bereich, den sie wirklich beeinflussen können. Wenn eine Regierung, ein Bundeskanzler, eine Bundeskanzlerin eine Entscheidung trifft, die eben nicht nur auf der Grundlage des Materials ist, was ich ihr zugearbeitet habe als jemand, der vielleicht solchen mpa gemacht hat, dann hilft mir die beste Ausbildung nicht, ich bin nicht der Entscheider, aber es verbessert die Informationsgrundlage - so doch zumindest die Hoffnung für diejenigen, die die Entscheidung fällen sollen, und dann besteht zumindest die begründete Hoffnung, dass sie ihre Entscheidung aufgrund einer besseren Informationslage treffen und dass das dann auch positiv die Entscheidung beeinflusst, aber es ist natürlich keine Garantie."

Nichts also wird uns in Zukunft davor bewahren, dass Politiker uns mit Geistesblitzen, spontanen Eingebungen und Entscheidungen gegen die Vernunft überraschen. Aber man kann ihnen hinterher eben vorhalten, sie hätten es besser wissen müssen. Die Unruhen in Frankreich, das sich schon seit langen Jahren eine Elitehochschule für Verwaltung leistet und auch der - allen amerikanischen Instituten für public policy zum Trotz - komplett fehlregierte Krieg im Irak zeigen, dass allein durch die Qualität des mittleren Managements das Regieren noch nicht verbessert wird.

Zürn: " Also nochmals, den Kanzler Schröder wollen wir und werden wir nicht ersetzen können, es gibt ein Primat des politischen Prozesses und das gehört zur demokratischen Gesellschaft dazu und das soll nicht so sein, dass irgendwelche Experten dieses Primat unterlaufen können, das ist in keinster Weise ein Zweck einer solchen Einrichtung, und selbst wenn es der Zweck wäre, würde er nie zum Erfolg geführt werden können. Es geht vielleicht auch darum, wenn die allgemeine Einsicht zunimmt und wenn wir zunehmend eine Arbeitsteilung haben, in der die Reformen in der Abteilung Rhetorik angesiedelt sind und die Beharrungskräfte die Abteilung Wirklichkeit beherrschen, dass in einer solchen Situation mit solchen etwas umfassenderen Sichtweisen, wie wir sie auch vermitteln wollen, quasi die Fähigkeit entsteht, solche notwendigen Reformen verständlich zu machen, in ein Gesamtpaket einzupacken und eben auch eine Vision zu geben".

Das Bundeskanzleramt hat mit der Hertie School eine Kooperation vereinbart. Im Zentrum der Macht können Studenten Erfahrungen sammeln und sich gewissermaßen die höheren Weihen verdienen. Die entscheidende Frage stellt sich aber erst, wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben. Nämlich: Werden sich die Juristenhochburgen in Politik und Verwaltung überhaupt für Kollegen öffnen, die nicht den Stallgeruch von Parteien, von Paragraphen und Loseblattsammlungen im Anzug haben? Walter Stützle, erfahren in der politischen Administration als Akteur und als Beobachter, hat seine Zweifel:

" Es ist hocherfreulich, dass es die school of governance gibt in Berlin, es ist interessant, dass es eine private Initiative ist. Ich finde das sehr gut, dass dies nicht dem Staat überlassen wird. Die entscheidende Frage wird sein, ob der Staat, die öffentliche Verwaltung, hinterher auch von denen, die dort rauskommen, Kenntnis nimmt und sie einstellt, soweit es sich um Deutsche handelt oder um Bürger der europäischen Union und ihnen entsprechend ihrer - wie ich hoffe - vorzüglichen Weiterausbildung dann auch eine entsprechende Verantwortung überträgt."