Reformstau in der römisch-katholischen Kirche
Nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. hat die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" Reformen angemahnt. Die Lebensleistung von Johannes Paul II. sei unbestritten, ein neuer Papst aber müsse den Dialog wieder aufnehmen und vom römischen Zentralismus abkehren, sagte Christian Weisner.
Hettinger: Die katholische Kirche blickt nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. in zwei Richtungen. Zum einen lässt man die Lebensleistung von Karol Wojtyla Revue passieren, noch ganz ergriffen vom langen Sterben des Papstes. Zum anderen richtet sich jetzt auch der Blick nach vorne. Wie geht es nun weiter? Welche Akzente setzt der Nachfolger? Oder, zugespitzt formuliert, wie löst man den Reformstau der katholischen Kirche auf? In einem Studio des NDR in Hannover ist nun Christian Weisner, vom Bundesteam der katholischen Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", einer Organisation, die aus dem Kirchenvolksbegehren 1995 entstanden ist und die sich für eine strukturelle Erneuerung der katholischen Kirche ausspricht. Herr Weisner, auf welchen Gebieten muss sich denn die katholische Kirche nach Johannes Paul II. reformieren.
Weisner: Ich möchte doch erst noch mal sagen, dass der Respekt vor der großen Lebensleistung des Papstes, des verstorbenen Papstes, unbestritten ist. Vor allen Dingen aber auch - da merkt man schon die Ambivalenz dieses sehr langen Pontifikats - die Leistungen sind vor allem doch in der Politik, im Bereich von Frieden und Gerechtigkeit gewesen. Das ist auch sehr, sehr wichtig. Aber die innerkirchlichen Belange, die sind in dieser Zeit etwas zu kurz gekommen. Das ist schmerzhaft, besonders schmerzhaft deswegen, dass die Forderung nach Reformen und Dialog, die Johannes Paul II. so glaubwürdig nach außen vertreten hat, dass die innerhalb seiner eigenen Kirche nicht so zum Zuge gekommen sind, sondern eher unterdrückt worden sind. Und um es konkret zu sagen, Befreiungstheologie, das ist ja die Theologie, die sich eigentlich auch für die Gerechtigkeit der Menschen einsetzt, die ist von Rom, unter seiner Verantwortung bekämpft worden. Die Rolle der Frauen, da sind gute Aussagen im Vorderen an die Welt gestellt worden, aber innerhalb der römisch-katholischen Kirche haben die Frauen noch kein Wort zu sagen.
Hettinger: Frauen und Kirche in der Dritten Welt als zentrale Punkte eines Papstes, der, wenn ich Sie richtig verstanden habe Herr Weisner, nach außen hin in die Welt vorbildlich gewirkt hat, aber den innerkirchlichen Dialog etwas vernachlässigt hat. Wie kann man diesen Dialog wieder in Gang bringen?
Weisner: Der Verlust ist jetzt erstmal sehr groß. Aber wir müssen uns jetzt auch bewusst werden, dass es nicht der Papst allein sein kann, der die römisch-katholische Kirche vertritt - das ist jetzt, auch durch die Medien, viel zu sehr in den letzten 26 Jahren der Fall gewesen - sondern dass die Kirche eine kollegiale Kirche ist, dass also Kardinäle und Bischöfe in Synoden zum Beispiel die Kirchenleitung haben und dass letztlich wir alle Kirche sind. Das ist ja auch der Name unserer Bewegung "Wir sind Kirche". Ich denke, wir müssen vielmehr wieder dieses Bewusstsein bekommen, dass wir alle letztlich ja Nachfolge Jesu leisten wollen und sollen. Ich kann nur hoffen, dass reformorientierte Kardinäle und Bischöfe, die gibt es ja, die haben bloß in den letzten Jahren leider sehr ihren Mund gehalten, dass die jetzt doch wieder den Mut haben, auch dieses anzusprechen, einzufordern. Ich kann also wirklich auch nur hoffen, dass wir die Bischofsynoden wieder mehr bekommen, ein stärkeres Gewicht bekommen, die Ortskirchen auch ein Gewicht bekommen und nicht alles von Rom zentral durch Gesetze, Lehrschreiben und Verordnungen bestimmt wird.
Hettinger: Also, weg von einer Romfixiertheit hin zu einer gelebten Weltkirche mit durchaus regionaler Eigenständigkeit. Das ist ja eine Forderung die, Sie haben es eben erwähnt, Kirche und Kardinäle durchaus fordern. Wäre es hilfreich, wenn der nächste Papst, wie oft boykottiert, aus der Dritten Welt käme?
Weisner: Das wäre sicher ein Zeichen, weil ja die meisten Katholiken und Katholikinnen derzeit in Südamerika leben. Aber ich glaube, es kann vielleicht doch viel besser sein, wenn einer die schwierige Nachfolge zugegebenermaßen antritt, der sich auch in Rom sehr gut auskennt, der vor allem auch die römische Kurie ein bisschen in die Schranken verweisen kann. Bei Johannes Paul II. ist es ja so gewesen, bei allem bewundernswerten missionarischem Einsatz, den er gezeigt hat in der Welt, es ist ja doch sehr wenig in Rom gewesen. Er hat dann zwar Kardinäle und Bischöfe, die ihm nahe standen, eingesetzt aber ich glaube nicht, und das sind verlässliche Aussagen, dass er alles dann so im Griff haben konnte. Es wäre vielleicht gut, jetzt einen Papst zu haben, der ein bisschen Reform in die römische Kurie bringt. Ein bisschen ist untertrieben gesagt, der eine deutliche Reform in die römische Kurie bringt.
Hettinger: Der also die päpstliche Administration in Rom durchlüftet. Worauf spielen Sie da konkret an?
Weisner: Wir haben von Deutschland aus ja zwei Kardinäle an entscheidender Stelle, das ist der Chef der Glaubenkongregation, Josef Kardinal Ratzinger, das andere ist Kardinal Kasper, der für die Ökumene zuständig ist. Wir es haben ja selber in Deutschland sehr stark erlebt, die Aussagen, die gerade von Kardinal Ratzinger gemacht worden sind, dem Papst vorgelegt worden sind und vom Papst auch unterschrieben worden sind in der Schwangerschaftskonfliktberatung. Da ist es doch sehr um Kontroversen gegangen. Ich kann nur hoffen, dass dieser Stil nicht so weiter gefahren wird. Es hat in diesem langen Pontifikat auch viel zu viel Papier aus Rom gegeben. Ich denke, wir müssen auch wieder mehr zum Dialog zurückkehren. Aber Dialog nicht nur, dass der Papst zuhört, sondern dass er auch aufnimmt, was die Ortskirchen zu sagen haben. Und dieses ist genau auf der Linie des zweiten vatikanischen Konzils, das ist also auch ein urkatholisches Prinzip, dass die Leitung kollegial erfolgen soll, also durch Bischofsynoden. Natürlich fällt das immer der Zentrale schwer, Macht und Einfluss abzugeben. Aber ich denke, es ist auf Dauer der bessere Gewinn, weil einfach dann die Ortskirchen viel besser sehen. Ich denke nur an China im Augenblick. Das ist sicher der Bereich, wo die katholische Kirche in den nächsten Jahren, Jahrzehnten am stärksten wachsen wird, im asiatischen Bereich mit den Kulturen. Aber da sind wir in einem ganz anderen Umfeld. Da gilt nicht mehr die griechische Philosophie, die Basis, mit der man sich auseinander setzt, sondern da muss man eingehen auf die Religionen dort vor Ort und dort in einen Dialog treten und dann auch eine Stelle finden. Ich denke, die Globalisierung darf nicht heißen, eine Vereinheitlichung, eine Einheitskirche, sondern es muss eine Öffnung beinhalten.
Hettinger: Aber irgendeine Handschrift muss doch spürbar sein. Vom Sitz des Heiligen Vaters als Oberhirte, in Anführungszeichen, wie kann dieser Spagat überhaupt gelingen?
Weisner: Ich bin nun selber kein Theologe und kein Kirchenhistoriker, obwohl mich das sehr spannend interessiert. Aber schauen wir uns die Religion an, aus der wir kommen, das Judentum. Das Judentum lebt vom Dialog, ohne dass es Sachen in dieser Form festschreibt, wie es die römisch-katholische Kirche tut. Ich denke, wir sind viel zu sehr eine Gesetzeskirche gewesen. Und dann ist es vielleicht noch so, dass wir gerade in Deutschland diese Punkte alle immer noch sehr, sehr ernst nehmen und dann auch genau, Paragraph für Paragraph, befolgen wollen. In anderen Ländern, in romanischen Ländern sieht man das schon sehr viel lockerer. Ich würde mir also wünschen, dass die Kirche auch wieder mehr von dem Geist lebt, das soll nicht heißen, dass Johannes Paul II. das Reden abzusprechen sei, aber die römische Kurie hat doch sehr verwaltungsmäßig agiert.
Hettinger: Stichwort "Geist". Wenn man sich die öffentlichen Auftritte von Johannes Paul II. anschaut. Da war eine unglaubliche Präsenz zu spüren. Eine wahnsinnige Reaktion der Menge auf jede noch so kleine Geste, wenn ich an die letzte Mittwochsaudienz denke. Nun hat ja gerade Johannes Paul II. diese Brillanz im Umgang mit der Öffentlichkeit genutzt, das hat ihm ja auch Kritik eingetragen. Wie müsste sein Nachfolger auf dieser Klaviertour spielen?
Weisner: Das ist eine ganz schwere Frage. Ich denke, er muss einfach - und das hat der Chicagoer Kardinal schon gesagt - der neue Papst, der nächste Papst muss ein ganz anderer Papst sein. Er kann nicht dieses nachtun. Er muss sich einen ganz anderen Stil erarbeiten. Papst Johannes Paul II. hat das Papsttum in diesen 26 Jahren sehr, sehr geprägt auf seine Art und Weise, mit seiner tiefen Gläubigkeit, Frömmigkeit, aber auch mit seiner sehr harten Moralvorstellung, die er zwar freundlich lächelnd aber sehr hart verkündet hat. Ich denke an die vielen Priester, die alle nicht ehrenhaft laisiert werden konnten. Unter diesem Papst, bei allem Positiven, haben auch sehr viele Menschen in der Kirche gelitten. Da zeigt sich, dass es auch Schattenseiten gibt, wenn man dieses Papstamt in dieser Form ausgeprägt hat. Da bleibt für den Nachfolger sehr viel zu tun. Ich denke, ein bescheideneres Papstamt, mehr Einbeziehung der Kollegialität, der Kardinäle, der Bischofsynoden würde der ganzen katholischen Kirche gut tun. Wir werden das Gedenken von Johannes Paul II. immer in Ehren behalten. Aber die Kirche hat sich immer weiter entwickelt, sie kann auch nicht stehen bleiben, bei dem Papstbild, was dieser Papst verkörpert hat.
Hettinger: Nun ist doch der administrative Apparat der römischen-katholischen Kirche der gleiche auch beim Nachfolger von Johannes Paul II. Welche Möglichkeit einer Zusammenarbeit, einer Neugewichtung bietet sich denn hier überhaupt?
Weisner: Ich kann wirklich nur hoffen und appellieren, dass die Bischöfe und jetzt im besonderen Fall natürlich erstmal die Kardinäle, die in das Konklave ziehen in knapp zwei Wochen, dass die wirklich auch das Ohr in der Welt haben, am Kirchenvolk, dass sie also keine Machtspiele nur untereinander ausüben, sondern dass sie auch sehen, dass die Kirche in die Zukunft geführt werden muss, und das heißt auch immer Veränderungen. Die Grundbotschaft, die ist unverändert aber sie muss immer wieder neu den Menschen überbracht werden. Da müssen also neue Wege gesucht werden. Ich komme noch mal auf das Thema Frauen. Das Thema Frauen ist ein zentrales Thema für das dritte Jahrtausend. Das hat übrigens Johannes Paul I., der nur 33 Tage Papst war vor diesem Papst, zum Ausdruck gebracht. Er ist dann leider sehr, sehr früh gestorben. Ich hoffe sehr, dass der nächste Papst diese Worte weiterführt, die Kirche den Frauen öffnet, von einer ganz engen Sexualmoral wegkommt, die sogar Kondome verbietet und damit auch der Aidsausbreitung in Afrika Vorschub leistet und einer Ökumene, also die nächsten Schritte in der Ökumene, die Papst Johannes Paul II. angestoßen hat, auch wirklich fortführt.
Hettinger: Nun gibt es ja Kritiker, die in diesem Zurückweichen ein Aufweichen sehen der strikten Moralvorstellungen, "die Leuchtturmfunktion wird dadurch untergraben". Was sagen Sie dazu?
Weisner: Ich glaube, allen spielt so im Hinterkopf immer das Bild vom Zusammenbruch des Kommunismus. Aber das würde ja heißen, dass die katholische Kirche eine Ideologie wäre, wie der Kommunismus. Ich denke, da ist einfach, da haben wir einfach viel zu wenig Gottvertrauen, auch viel zu wenig Vertrauen in den Heiligen Geist, der die Kirche leitet, der die Menschen in die Welt leitet auf allen Wegen. Und ich denke, die biblische Botschaft ist da sehr, sehr viel stärker, als so ein kommunistisches Manifest gewesen ist. Und dass wir da diese Angst vor Aufweichung, wenn man erstmal einen Stein aus der Mauer nehmen würde, dass dann die ganze Mauer aufbricht, diese Angst habe ich nicht. Ich denke, wir müssen vielmehr wieder zu einer Kirche wirklich des Dialoges werden und nicht einer Kirche der Gesetze und der Anordnungen. Es wird ja manchmal immer gesagt, die Kirche soll nicht dem Zeitgeist folgen. Ich frage mich, ob sie nicht gerade in ihrem Fundamentalismus - und leider eben auch unter Papst Johannes Paul II. hat sie fundamentalistische Züge gehabt - ob sie in diesen fundamentalistischen Zügen nicht genau dem Zeitgeist folgt im Augenblick, den zum Beispiel amerikanische Politik macht. Wäre es nicht ein Gegenzeichen, zu zeigen, wir können auch anders. Die christliche Botschaft ist eine Botschaft der Freiheit.
Hettinger: Christian Weisner war das vom Bundesteam der katholischen Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche".
Weisner: Ich möchte doch erst noch mal sagen, dass der Respekt vor der großen Lebensleistung des Papstes, des verstorbenen Papstes, unbestritten ist. Vor allen Dingen aber auch - da merkt man schon die Ambivalenz dieses sehr langen Pontifikats - die Leistungen sind vor allem doch in der Politik, im Bereich von Frieden und Gerechtigkeit gewesen. Das ist auch sehr, sehr wichtig. Aber die innerkirchlichen Belange, die sind in dieser Zeit etwas zu kurz gekommen. Das ist schmerzhaft, besonders schmerzhaft deswegen, dass die Forderung nach Reformen und Dialog, die Johannes Paul II. so glaubwürdig nach außen vertreten hat, dass die innerhalb seiner eigenen Kirche nicht so zum Zuge gekommen sind, sondern eher unterdrückt worden sind. Und um es konkret zu sagen, Befreiungstheologie, das ist ja die Theologie, die sich eigentlich auch für die Gerechtigkeit der Menschen einsetzt, die ist von Rom, unter seiner Verantwortung bekämpft worden. Die Rolle der Frauen, da sind gute Aussagen im Vorderen an die Welt gestellt worden, aber innerhalb der römisch-katholischen Kirche haben die Frauen noch kein Wort zu sagen.
Hettinger: Frauen und Kirche in der Dritten Welt als zentrale Punkte eines Papstes, der, wenn ich Sie richtig verstanden habe Herr Weisner, nach außen hin in die Welt vorbildlich gewirkt hat, aber den innerkirchlichen Dialog etwas vernachlässigt hat. Wie kann man diesen Dialog wieder in Gang bringen?
Weisner: Der Verlust ist jetzt erstmal sehr groß. Aber wir müssen uns jetzt auch bewusst werden, dass es nicht der Papst allein sein kann, der die römisch-katholische Kirche vertritt - das ist jetzt, auch durch die Medien, viel zu sehr in den letzten 26 Jahren der Fall gewesen - sondern dass die Kirche eine kollegiale Kirche ist, dass also Kardinäle und Bischöfe in Synoden zum Beispiel die Kirchenleitung haben und dass letztlich wir alle Kirche sind. Das ist ja auch der Name unserer Bewegung "Wir sind Kirche". Ich denke, wir müssen vielmehr wieder dieses Bewusstsein bekommen, dass wir alle letztlich ja Nachfolge Jesu leisten wollen und sollen. Ich kann nur hoffen, dass reformorientierte Kardinäle und Bischöfe, die gibt es ja, die haben bloß in den letzten Jahren leider sehr ihren Mund gehalten, dass die jetzt doch wieder den Mut haben, auch dieses anzusprechen, einzufordern. Ich kann also wirklich auch nur hoffen, dass wir die Bischofsynoden wieder mehr bekommen, ein stärkeres Gewicht bekommen, die Ortskirchen auch ein Gewicht bekommen und nicht alles von Rom zentral durch Gesetze, Lehrschreiben und Verordnungen bestimmt wird.
Hettinger: Also, weg von einer Romfixiertheit hin zu einer gelebten Weltkirche mit durchaus regionaler Eigenständigkeit. Das ist ja eine Forderung die, Sie haben es eben erwähnt, Kirche und Kardinäle durchaus fordern. Wäre es hilfreich, wenn der nächste Papst, wie oft boykottiert, aus der Dritten Welt käme?
Weisner: Das wäre sicher ein Zeichen, weil ja die meisten Katholiken und Katholikinnen derzeit in Südamerika leben. Aber ich glaube, es kann vielleicht doch viel besser sein, wenn einer die schwierige Nachfolge zugegebenermaßen antritt, der sich auch in Rom sehr gut auskennt, der vor allem auch die römische Kurie ein bisschen in die Schranken verweisen kann. Bei Johannes Paul II. ist es ja so gewesen, bei allem bewundernswerten missionarischem Einsatz, den er gezeigt hat in der Welt, es ist ja doch sehr wenig in Rom gewesen. Er hat dann zwar Kardinäle und Bischöfe, die ihm nahe standen, eingesetzt aber ich glaube nicht, und das sind verlässliche Aussagen, dass er alles dann so im Griff haben konnte. Es wäre vielleicht gut, jetzt einen Papst zu haben, der ein bisschen Reform in die römische Kurie bringt. Ein bisschen ist untertrieben gesagt, der eine deutliche Reform in die römische Kurie bringt.
Hettinger: Der also die päpstliche Administration in Rom durchlüftet. Worauf spielen Sie da konkret an?
Weisner: Wir haben von Deutschland aus ja zwei Kardinäle an entscheidender Stelle, das ist der Chef der Glaubenkongregation, Josef Kardinal Ratzinger, das andere ist Kardinal Kasper, der für die Ökumene zuständig ist. Wir es haben ja selber in Deutschland sehr stark erlebt, die Aussagen, die gerade von Kardinal Ratzinger gemacht worden sind, dem Papst vorgelegt worden sind und vom Papst auch unterschrieben worden sind in der Schwangerschaftskonfliktberatung. Da ist es doch sehr um Kontroversen gegangen. Ich kann nur hoffen, dass dieser Stil nicht so weiter gefahren wird. Es hat in diesem langen Pontifikat auch viel zu viel Papier aus Rom gegeben. Ich denke, wir müssen auch wieder mehr zum Dialog zurückkehren. Aber Dialog nicht nur, dass der Papst zuhört, sondern dass er auch aufnimmt, was die Ortskirchen zu sagen haben. Und dieses ist genau auf der Linie des zweiten vatikanischen Konzils, das ist also auch ein urkatholisches Prinzip, dass die Leitung kollegial erfolgen soll, also durch Bischofsynoden. Natürlich fällt das immer der Zentrale schwer, Macht und Einfluss abzugeben. Aber ich denke, es ist auf Dauer der bessere Gewinn, weil einfach dann die Ortskirchen viel besser sehen. Ich denke nur an China im Augenblick. Das ist sicher der Bereich, wo die katholische Kirche in den nächsten Jahren, Jahrzehnten am stärksten wachsen wird, im asiatischen Bereich mit den Kulturen. Aber da sind wir in einem ganz anderen Umfeld. Da gilt nicht mehr die griechische Philosophie, die Basis, mit der man sich auseinander setzt, sondern da muss man eingehen auf die Religionen dort vor Ort und dort in einen Dialog treten und dann auch eine Stelle finden. Ich denke, die Globalisierung darf nicht heißen, eine Vereinheitlichung, eine Einheitskirche, sondern es muss eine Öffnung beinhalten.
Hettinger: Aber irgendeine Handschrift muss doch spürbar sein. Vom Sitz des Heiligen Vaters als Oberhirte, in Anführungszeichen, wie kann dieser Spagat überhaupt gelingen?
Weisner: Ich bin nun selber kein Theologe und kein Kirchenhistoriker, obwohl mich das sehr spannend interessiert. Aber schauen wir uns die Religion an, aus der wir kommen, das Judentum. Das Judentum lebt vom Dialog, ohne dass es Sachen in dieser Form festschreibt, wie es die römisch-katholische Kirche tut. Ich denke, wir sind viel zu sehr eine Gesetzeskirche gewesen. Und dann ist es vielleicht noch so, dass wir gerade in Deutschland diese Punkte alle immer noch sehr, sehr ernst nehmen und dann auch genau, Paragraph für Paragraph, befolgen wollen. In anderen Ländern, in romanischen Ländern sieht man das schon sehr viel lockerer. Ich würde mir also wünschen, dass die Kirche auch wieder mehr von dem Geist lebt, das soll nicht heißen, dass Johannes Paul II. das Reden abzusprechen sei, aber die römische Kurie hat doch sehr verwaltungsmäßig agiert.
Hettinger: Stichwort "Geist". Wenn man sich die öffentlichen Auftritte von Johannes Paul II. anschaut. Da war eine unglaubliche Präsenz zu spüren. Eine wahnsinnige Reaktion der Menge auf jede noch so kleine Geste, wenn ich an die letzte Mittwochsaudienz denke. Nun hat ja gerade Johannes Paul II. diese Brillanz im Umgang mit der Öffentlichkeit genutzt, das hat ihm ja auch Kritik eingetragen. Wie müsste sein Nachfolger auf dieser Klaviertour spielen?
Weisner: Das ist eine ganz schwere Frage. Ich denke, er muss einfach - und das hat der Chicagoer Kardinal schon gesagt - der neue Papst, der nächste Papst muss ein ganz anderer Papst sein. Er kann nicht dieses nachtun. Er muss sich einen ganz anderen Stil erarbeiten. Papst Johannes Paul II. hat das Papsttum in diesen 26 Jahren sehr, sehr geprägt auf seine Art und Weise, mit seiner tiefen Gläubigkeit, Frömmigkeit, aber auch mit seiner sehr harten Moralvorstellung, die er zwar freundlich lächelnd aber sehr hart verkündet hat. Ich denke an die vielen Priester, die alle nicht ehrenhaft laisiert werden konnten. Unter diesem Papst, bei allem Positiven, haben auch sehr viele Menschen in der Kirche gelitten. Da zeigt sich, dass es auch Schattenseiten gibt, wenn man dieses Papstamt in dieser Form ausgeprägt hat. Da bleibt für den Nachfolger sehr viel zu tun. Ich denke, ein bescheideneres Papstamt, mehr Einbeziehung der Kollegialität, der Kardinäle, der Bischofsynoden würde der ganzen katholischen Kirche gut tun. Wir werden das Gedenken von Johannes Paul II. immer in Ehren behalten. Aber die Kirche hat sich immer weiter entwickelt, sie kann auch nicht stehen bleiben, bei dem Papstbild, was dieser Papst verkörpert hat.
Hettinger: Nun ist doch der administrative Apparat der römischen-katholischen Kirche der gleiche auch beim Nachfolger von Johannes Paul II. Welche Möglichkeit einer Zusammenarbeit, einer Neugewichtung bietet sich denn hier überhaupt?
Weisner: Ich kann wirklich nur hoffen und appellieren, dass die Bischöfe und jetzt im besonderen Fall natürlich erstmal die Kardinäle, die in das Konklave ziehen in knapp zwei Wochen, dass die wirklich auch das Ohr in der Welt haben, am Kirchenvolk, dass sie also keine Machtspiele nur untereinander ausüben, sondern dass sie auch sehen, dass die Kirche in die Zukunft geführt werden muss, und das heißt auch immer Veränderungen. Die Grundbotschaft, die ist unverändert aber sie muss immer wieder neu den Menschen überbracht werden. Da müssen also neue Wege gesucht werden. Ich komme noch mal auf das Thema Frauen. Das Thema Frauen ist ein zentrales Thema für das dritte Jahrtausend. Das hat übrigens Johannes Paul I., der nur 33 Tage Papst war vor diesem Papst, zum Ausdruck gebracht. Er ist dann leider sehr, sehr früh gestorben. Ich hoffe sehr, dass der nächste Papst diese Worte weiterführt, die Kirche den Frauen öffnet, von einer ganz engen Sexualmoral wegkommt, die sogar Kondome verbietet und damit auch der Aidsausbreitung in Afrika Vorschub leistet und einer Ökumene, also die nächsten Schritte in der Ökumene, die Papst Johannes Paul II. angestoßen hat, auch wirklich fortführt.
Hettinger: Nun gibt es ja Kritiker, die in diesem Zurückweichen ein Aufweichen sehen der strikten Moralvorstellungen, "die Leuchtturmfunktion wird dadurch untergraben". Was sagen Sie dazu?
Weisner: Ich glaube, allen spielt so im Hinterkopf immer das Bild vom Zusammenbruch des Kommunismus. Aber das würde ja heißen, dass die katholische Kirche eine Ideologie wäre, wie der Kommunismus. Ich denke, da ist einfach, da haben wir einfach viel zu wenig Gottvertrauen, auch viel zu wenig Vertrauen in den Heiligen Geist, der die Kirche leitet, der die Menschen in die Welt leitet auf allen Wegen. Und ich denke, die biblische Botschaft ist da sehr, sehr viel stärker, als so ein kommunistisches Manifest gewesen ist. Und dass wir da diese Angst vor Aufweichung, wenn man erstmal einen Stein aus der Mauer nehmen würde, dass dann die ganze Mauer aufbricht, diese Angst habe ich nicht. Ich denke, wir müssen vielmehr wieder zu einer Kirche wirklich des Dialoges werden und nicht einer Kirche der Gesetze und der Anordnungen. Es wird ja manchmal immer gesagt, die Kirche soll nicht dem Zeitgeist folgen. Ich frage mich, ob sie nicht gerade in ihrem Fundamentalismus - und leider eben auch unter Papst Johannes Paul II. hat sie fundamentalistische Züge gehabt - ob sie in diesen fundamentalistischen Zügen nicht genau dem Zeitgeist folgt im Augenblick, den zum Beispiel amerikanische Politik macht. Wäre es nicht ein Gegenzeichen, zu zeigen, wir können auch anders. Die christliche Botschaft ist eine Botschaft der Freiheit.
Hettinger: Christian Weisner war das vom Bundesteam der katholischen Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche".