Reformpartei?

Von Dieter Wonka, Leipziger Volkszeitung. |
Wie wir in Deutschland zurzeit regiert werden, kann jeder selbst beantworten. Ein naheliegendes Fazit könnte sein: Es ging uns schon mal schlechter. Bleibt die spannende Frage: Von wem werden wir regiert und wieso gerade von der? Vieles in letzter Zeit sieht sozialdemokratisch aus. Es geht um überforderte Amtsträger oder um sich selbst zauselnde Genossen. Stets dabei: Lafontaine. und immer wieder Beck.
Wo bleibt die Hauptperson: Angela Merkel! Selten zuvor hat ein Bundeskanzler die Richtlinien-Kompetenz so pflichtwidrig vernachlässigt. Das letzte Mal sorgte Frau Merkel für Schlagzeilen, als sie ein gut dekolletiertes Ballkleid zur Schau stellte – natürlich im Ausland. Prompt wurde spekuliert, welche Absicht hinter dem neuen Einblick stecken könnte. So banal ist Politik geworden.

Es ist dieses Prinzip des Herrschens ohne selbst am Steuer erwischt zu werden, das der CDU-Vorsitzenden genügt. Sie hat die Lektion begriffen: Als radikale Reformerin, den Leipziger Parteitag im Gepäck, wäre sie 2005 um ein Haar an der Machtmaschine Schröder gescheitert. Dessen männlicher Adrenalinschub am Wahlabend bewahrte sie vor dem schlimmsten. Seitdem spielt sie die Vorzüge des Regierens aus – als Bundes-Auslands-Kanzlerin. Dort spricht sie über Menschenrechte, lässt sich als toughe Europa-Frau feiern und sagt viel Gutes. In ihren inländischen Erholungsphasen erledigt sie Akten, den Rest an widerständischem CDU-Denken und auch die Bündnisfrage.

Mit Merkel können heute Grüne, FDP und die Sozis regieren. Merkwürdig, dass sich kaum jemand dafür interessiert, was mit dieser CDU geschehen ist.

In dieser Woche machte SPD-Chef Kurt Beck in einem unpolitischen Interview mit dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung" auf sich aufmerksam. Seine Behauptung: "Noch bin ich da" schmückte das Titelblatt. Unterlegt war das mit seinem verschwommenem bärtigen Konterfei, griffbereit daneben lag ein Radiergummi. Ist eine brutalere Form der Merkelisierung des Wettlaufs um Platz eins denkbar: Ein optisches Gimmick genügt.

Unverbindlichkeit legt sich wie Mehltau über die Politik. Wichtig für Merkel ist nur, dass sie das Amt behält. Nicht noch einmal möchte die CDU-Vorsitzende wegen klarer Aussagen vor der Wahl beim Wort genommen zu werden. Zu Pass kommt ihr dabei der Selbstbeschäftigungsprozess der SPD, das Treiben des Trommlers Lafontaine und Merkels Perfektion der medialen Beeinflussung.

Über Gerhard Schröder hieß es, er sei, dank "Bild", "BamS" und "Glotze", ein "Medien-Kanzler". Aber, Schröder verschwand immerhin als einer, der der Politik eine Agenda-Richtung gegeben hat. Seine Nachfolgerin hat die Medien-Kanzlerschaft auf die Spitze getrieben. Sie verweigert sich regelmäßig der kritischen Medienkonfrontation, pflegt lieber kleine Chef-Kränzchen, wo sie listig und charmant umgarnen kann. Nur bloß kein Risiko eingehen, sich möglichst nicht der ungefilterten Nachfrage stellen.

In der CDU, so heißt es, grummelt und murrt man. Aber Roland Koch ist klein geschrumpft. Jürgen Rüttgers wird ignoriert, weil er zu doll der Linken hinterher läuft. Und Christian Wulff hat bisher nur bewiesen, dass er schnell den Platz des Kronprinzen für sich buchen konnte. Diskutieren mit offenem Ergebnis, etwa im Präsidium, wie es ein Parteichef Wolfgang Schäuble gewagt hatte, ist passe.

Per vorgeschalteter Telefonkette sorgen Merkel und ihre Funktionäre bereits vorab für klare Fronten. Und noch immer wird nicht laut die entscheidende Frage gestellt: Kann und will es sich die Union leisten, in Bayern ihre Allmacht zu verlieren, im Osten deutlich hinter der Linkspartei zu liegen und im Bund, trotz schwindsüchtiger SPD, nicht die Machtmarke von 40 Prozent plus x zu schaffen?

Deutschland wird regiert von einer Lieblingsfigur der Demoskopie. Warum eigentlich?