Reformen

Deutsche Rente, Europas Schaden

Sigmar Gabriel, Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags
Die Rentenpläne der Bundesregierung untergraben die Reformbereitschaft der europäischen Krisenstaaten, meint Günter Müchler. © dpa / pa / Kumm
Von Günter Müchler · 10.02.2014
Die Große Koalition verteilt Milliarden-Wohltaten an die deutschen Rentner. Das ist ein falsches Signal, meint Günter Müchler - denn dieser Politikwechsel wird Folgen für die Reformbereitschaft in Europa haben.
In Deutschland selbst hat die Bundesregierung für ihre rentenpolitischen Beschlüsse mehr Tadel als Lob bekommen. Dagegen kann das Gespann Merkel/Gabriel ausgerechnet dort auf Beifall hoffen, wo Berlin bisher überwiegend schlechte Karten hatte: Bei den europäischen Krisenländern.
Ob Griechen, Italiener oder Spanier: Sie fanden es in den letzten Jahren wenig amüsant, von Berlin ständig gemahnt zu werden, ihre Etats in Ordnung zu bringen und auf die Schuldenbremse zu treten. In diesen Ländern geht es wirklich zur Sache, folglich hagelte es gegen die deutschen Musterschüler manch bitterbösen Vorwurf, so als ob sie schuld wären an der sorglosen Politik, die diese Länder an den Rand der Staatspleite geführt hat. Das Startprogramm der Großen Koalition mit den Sonderangeboten gesetzlicher Mindestlohn und Rentenwende versetzt die südlichen Hauptstädte endlich wieder in Feierlaune. Denn nichts freut die Sünder mehr als ein Fehltritt des Tugendhaften.
Findet Deutschland Gefallen am dolce vita?
Vermutlich hat die Bundesregierung diesen Effekt nicht gewollt. Vermutlich steht hinter dem Anfall ihres Leichtsinns kein höherer Zweck als der, die sich sträubenden Teilstreitkräfte der Großen Koalition durch einen Kuhhandel zu besänftigen. Umso schlimmer: Deutschland ist Führungsmacht in Europa. Da kann man nicht fix einen Politikwechsel vollziehen und glauben, er fiele jenseits der Grenzen nicht auf.
Wie unbedacht und paradox das Handeln der Berliner Regierung ist, wird am Beispiel Frankreich deutlich. Im Nachbarland, das unter einem gewaltigen Reformstau leidet, hat Präsident Francois Hollande achtzehn Monate so getan, als gäbe es keine Krise. An der deutschen Stabilitätsvorstellung ließen die in Paris regierenden Sozialisten kein gutes Haar.
Inzwischen hat Hollande zur unvermeidlichen Kehrtwende angesetzt. Er definiert sich neu als Sozialdemokrat. Plötzlich steht Gerhard Schröder, den man lange einen üblen Renegaten hieß, hoch im Kurs. Peter Hartz, dem Spin Doktor der deutschen Sozialreform, wurde die Ehre eines Empfangs im Elysée zuteil! Und just in diesem Moment hat es den Anschein, als finde das deutsche Reformvorbild, als finde die vorsorgende Ameise der Lafontaine'schen Fabel Gefallen am dolce vita der Grille!
Ein brüsker Paradigmenwechsel
Eine übertriebene Darstellung? Wohl kaum. Die Rentenpolitik hat hohen Symbolwert. Sie gibt Auskunft über den Willen und die Fähigkeit einer Regierung, über den Tellerrand der nächsten Wahl hinauszublicken. Was an der unter Schröder beschlossenen Verlängerung der Lebensarbeitszeit auch Widerstrebende beeindruckte, war ihre Nachhaltigkeit. Wem die Alterssicherung der nächsten Generationen am Herzen liegt, der muss dafür sorgen, dass heute länger gearbeitet wird. Das war die Sinnstiftung der Rente mit 67. An sie haben sich die Regierungen Merkel eins und zwei gehalten.
Der Paradigmenwechsel, der jetzt unter Merkel drei vollzogen wird und der in seiner Brüskheit an den überfallartigen Atomausstieg der Kanzlerin nach Fukushima erinnert, wird Folgen für die Reformbereitschaft in Europa haben. Die Schuldenkrise ist nicht ausgestanden. An der Grundhaltung vieler Regierungen, dass in der Demokratie Geben seliger macht als Sparen, hat sich nur wenig geändert. Wo trotzdem der steinige Weg eingeschlagen wurde, bleibt die Rückfallgefahr latent.
Eben diese Gefahr hat die Bundesregierung jetzt durch das Aussenden falscher Signale verstärkt. Sie hat denen, die den Rücken krumm machen, einen schlechten Dienst erwiesen. Sich selbst übrigens auch: Wenn bei nächster Gelegenheit die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister die Krisenländer wieder zum Sparen anhalten müssen, werden sie sich noch schwerer tun als in der Vergangenheit. Der deutsche Steuerzahler wird es zu spüren bekommen. Ob der Koalitionskuhhandel das wert war?
Dr. Günter Müchler studierte Politikwissenschaften, Neuere Geschichte und Zeitungswissenschaften. Er arbeitete als Redakteur der Günzburger Zeitung und der Deutschen Zeitung/Christ und Welt, später als Bonner Korrespondent der Augsburger Allgemeinen und der Kölnischen Rundschau (1974 – 1987). Im Deutschlandfunk war er Leiter der Aktuellen Abteilung, Chefredakteur und Programmdirektor, zuletzt auch von Deutschlandradio Kultur (bis 2011). Buchveröffentlichungen: „CDU/CSU-Das schwierige Bündnis“ (München 1976) und „Wie ein treuer Spiegel. Die Geschichte der Cotta’schen Allgemeinen Zeitung“ (Darmstadt 1998)
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