Reformbaustelle Redaktion
Der beliebteste deutsche Volkssport quer durch alle Bevölkerungskreise ist ja das Schuldzuweisen. Wer trägt die Verantwortung dafür, dass es uns so schlecht geht? Je nach Weltsicht sind es mal die Gewerkschaften. Oder die Beamten, insbesondere die Lehrer. Sind es die Männer? Die Wirtschaftsbosse? Vor allem natürlich die Politik, bevorzugt die Linken. Nicht zu vergessen, die Globalisierung. Und, klare Sache, die Vereinigten Staaten.
Eigentlich ist jeder Mal dran beim großen Schuldzuweisen. Nur eine Gruppe bringt es seit Jahren fertig, nie zu den Schuldigen zu gehören, sondern immer zu den Zuweisenden: Deutschlands Medienschaffende. Sie führen sich auf, als seien sie vom Himmel auserkoren, ewiger und selbstverständlicher Teil einer Lösung zu sein. Dabei sind sie bisweilen das Problem. Denn wenn sich das viel beklagte alte Deutschland irgendwo so richtig festgekrallt hat, dann in den Redaktionsstuben hierzulande.
Wohl in keiner anderen Branche außer Kfz-Werkstatt und Schützenverein ist der Typus "deutschstämmiger Mann um die 50" derart dominierend wie bei deutschen Meinungsmachern. Hier wird konsequent das Weltbild Heinz Erhards gelebt. Frauen gelten vor allem als Dekor; Menschen, die nicht über einen reindeutschen Stammbaum der letzten fünf Generationen verfügen, finden sich praktisch gar nicht in Führungs- oder Repräsentationspositionen.
Während beim Fernsehen in Frankreich, Großbritannien oder den USA die wichtigsten Einwanderergruppen bei der Besetzung der anchor men and women berücksichtigt werden, bleibt etwa den türkischstämmigen Fernsehschaffenden in Deutschland traditionell nur die Rolle des Späßchenmachers, der Onkel Ali und Tante Aishe veräppelt. Beim medial so fulminant kommentierten Dauerthema Integration beweist das hiesige Mediensystem ganz besonders eindrucksvoll, wo das Problem liegt: Sie findet nicht statt, schon gar nicht in den Medien selbst. Einwanderer werden ins Spartenfernsehen abgedrängelt.
Ohnehin tragen die hauptberuflichen Reform-Anmahner aus Print, Funk und Fernsehen viel dazu bei, dass die Reform als solche gesamtgesellschaftlich diskreditiert ist. Das liegt auch an einer besorgniserregenden Distanz zur Lebenswelt der Kundschaft. Nicht wenige leitende Journalisten, vor allem hier in der Hauptstadt Berlin, rollen des Morgens im Schutze ihrer klimatisierten und colorverglasten Limousinen in die Tiefgarage, nehmen den Aufzug in die Chefetage, um abends wieder zurück in ihre gediegene Wohngegend zu entschwinden, womöglich noch mit einem Abstecher zu einer Premierenfeier oder sonst welchen Häppchen-Events. Kontakt mit richtigen Menschen und einer Realität, in der es um Jobangst und Erwerbsstress, um Hartz IV oder fortschreitende Wohlstandsverwahrlosung geht - der findet schon lange nicht mehr statt.
Ein Teil der aktuellen Auflagenprobleme von Zeitungen und Magazinen mag auch daher rühren, dass die Macher nicht mehr genau wissen, wer das da draußen eigentlich ist, dieses unbekannte Wesen Leser und was er will. Journalisten machen Zeitung offenbar nicht für die Kundschaft, sondern bevorzugt für sich selbst.
Deswegen werden politische Zusammenhänge auch nicht gern erklärt, das dauert zu lange. Stattdessen wird jeder politische Vorgang in das immer gleiche Raster eingeordnet: Wer gegen wen? Wer ist Sieger, wer Verlierer? Und am Ende folgt der Kommentar, dass alles nur Stückwerk sei oder ein ganz und gar abzulehnender Kuhhandel. Halbgare Kompromisse statt kraftvoller Führung.
Hier werden Deutschlands Meinungsmacher ihren Aufgaben oftmals nur unzureichend gerecht. Wo Politikberichterstattung zum Sportreport verkommt, der nur Sieg und Niederlage kennt, bleibt die Darstellung der bisweilen hochkomplexen Handlungsbedingungen auf der Strecke.
Stattdessen wird der Mythos geschürt, in unseren dicht verflochtenen Systemen gäbe es einfache Lösungen, die alle glücklich machten. So baut die Medienwelt, durchaus mit Hilfe der Politik, immer wieder absurd hohe Erwartungen auf, dessen Nicht-Erfüllung hinterher umso vehementer beklagt werden. Der Kompromiss als einer der Pfeiler des demokratischen Miteinanders wird fortwährend diskreditiert. So basteln wir uns eine stabile Politikverdrossenheit.
Wenn ein ganzes Land vor der Daueraufgabe steht, sich zu modernisieren, dann kann sich das Mediensystem dabei nicht ausklinken. Ganz im Gegenteil: Als Mittler, Erklärer und Aufpasser kommt den Meinungsmachern in diesem Prozess eine ganz besonders verantwortungsvolle Rolle zu. Journalisten sind keine objektiven Beobachter, als die sie sich gerne sehen, sondern Akteure in der politischen Arena. Sie verbinden das Volk mit ihren Vertretern.
Ein schlauer Mann hat einmal gesagt, man müsse über die Vorgänge in Redaktionen nur eine Woche lang mit der gleichen Härte berichten, mit der Journalisten tagtäglich über Politik, Wirtschaft oder Kultur urteilen. Man würde womöglich viel Stückwerk, viel Kuhhandel, kurz: eine gewaltige Reformbaustelle entdecken.
Hajo Schumacher: Nach Abschluss der Münchner Journalistenschule schrieb Hajo Schumacher für die "Süddeutsche Zeitung". Dann arbeitete er rund zehn Jahre beim "SPIEGEL", zuletzt als stellvertretender Leiter des Berliner Büros und stellvertretender Ressortleiter Deutsche Politik. Anfang 2001 wurde Hajo Schumacher Chefredakteur von "Max". Nach seinem Ausscheiden arbeitet er jetzt als freier Journalist.
Wohl in keiner anderen Branche außer Kfz-Werkstatt und Schützenverein ist der Typus "deutschstämmiger Mann um die 50" derart dominierend wie bei deutschen Meinungsmachern. Hier wird konsequent das Weltbild Heinz Erhards gelebt. Frauen gelten vor allem als Dekor; Menschen, die nicht über einen reindeutschen Stammbaum der letzten fünf Generationen verfügen, finden sich praktisch gar nicht in Führungs- oder Repräsentationspositionen.
Während beim Fernsehen in Frankreich, Großbritannien oder den USA die wichtigsten Einwanderergruppen bei der Besetzung der anchor men and women berücksichtigt werden, bleibt etwa den türkischstämmigen Fernsehschaffenden in Deutschland traditionell nur die Rolle des Späßchenmachers, der Onkel Ali und Tante Aishe veräppelt. Beim medial so fulminant kommentierten Dauerthema Integration beweist das hiesige Mediensystem ganz besonders eindrucksvoll, wo das Problem liegt: Sie findet nicht statt, schon gar nicht in den Medien selbst. Einwanderer werden ins Spartenfernsehen abgedrängelt.
Ohnehin tragen die hauptberuflichen Reform-Anmahner aus Print, Funk und Fernsehen viel dazu bei, dass die Reform als solche gesamtgesellschaftlich diskreditiert ist. Das liegt auch an einer besorgniserregenden Distanz zur Lebenswelt der Kundschaft. Nicht wenige leitende Journalisten, vor allem hier in der Hauptstadt Berlin, rollen des Morgens im Schutze ihrer klimatisierten und colorverglasten Limousinen in die Tiefgarage, nehmen den Aufzug in die Chefetage, um abends wieder zurück in ihre gediegene Wohngegend zu entschwinden, womöglich noch mit einem Abstecher zu einer Premierenfeier oder sonst welchen Häppchen-Events. Kontakt mit richtigen Menschen und einer Realität, in der es um Jobangst und Erwerbsstress, um Hartz IV oder fortschreitende Wohlstandsverwahrlosung geht - der findet schon lange nicht mehr statt.
Ein Teil der aktuellen Auflagenprobleme von Zeitungen und Magazinen mag auch daher rühren, dass die Macher nicht mehr genau wissen, wer das da draußen eigentlich ist, dieses unbekannte Wesen Leser und was er will. Journalisten machen Zeitung offenbar nicht für die Kundschaft, sondern bevorzugt für sich selbst.
Deswegen werden politische Zusammenhänge auch nicht gern erklärt, das dauert zu lange. Stattdessen wird jeder politische Vorgang in das immer gleiche Raster eingeordnet: Wer gegen wen? Wer ist Sieger, wer Verlierer? Und am Ende folgt der Kommentar, dass alles nur Stückwerk sei oder ein ganz und gar abzulehnender Kuhhandel. Halbgare Kompromisse statt kraftvoller Führung.
Hier werden Deutschlands Meinungsmacher ihren Aufgaben oftmals nur unzureichend gerecht. Wo Politikberichterstattung zum Sportreport verkommt, der nur Sieg und Niederlage kennt, bleibt die Darstellung der bisweilen hochkomplexen Handlungsbedingungen auf der Strecke.
Stattdessen wird der Mythos geschürt, in unseren dicht verflochtenen Systemen gäbe es einfache Lösungen, die alle glücklich machten. So baut die Medienwelt, durchaus mit Hilfe der Politik, immer wieder absurd hohe Erwartungen auf, dessen Nicht-Erfüllung hinterher umso vehementer beklagt werden. Der Kompromiss als einer der Pfeiler des demokratischen Miteinanders wird fortwährend diskreditiert. So basteln wir uns eine stabile Politikverdrossenheit.
Wenn ein ganzes Land vor der Daueraufgabe steht, sich zu modernisieren, dann kann sich das Mediensystem dabei nicht ausklinken. Ganz im Gegenteil: Als Mittler, Erklärer und Aufpasser kommt den Meinungsmachern in diesem Prozess eine ganz besonders verantwortungsvolle Rolle zu. Journalisten sind keine objektiven Beobachter, als die sie sich gerne sehen, sondern Akteure in der politischen Arena. Sie verbinden das Volk mit ihren Vertretern.
Ein schlauer Mann hat einmal gesagt, man müsse über die Vorgänge in Redaktionen nur eine Woche lang mit der gleichen Härte berichten, mit der Journalisten tagtäglich über Politik, Wirtschaft oder Kultur urteilen. Man würde womöglich viel Stückwerk, viel Kuhhandel, kurz: eine gewaltige Reformbaustelle entdecken.
Hajo Schumacher: Nach Abschluss der Münchner Journalistenschule schrieb Hajo Schumacher für die "Süddeutsche Zeitung". Dann arbeitete er rund zehn Jahre beim "SPIEGEL", zuletzt als stellvertretender Leiter des Berliner Büros und stellvertretender Ressortleiter Deutsche Politik. Anfang 2001 wurde Hajo Schumacher Chefredakteur von "Max". Nach seinem Ausscheiden arbeitet er jetzt als freier Journalist.

Hajo Schumacher© privat