Welche Bundeswehr wollen wir?
Ursula von der Leyen ist schuldlos am desolaten Zustand der Bundeswehr, schon in den Jahren zuvor ist viel zu wenig getan worden. Aber sie muss die Scherben nun aufkehren und Ordnung in ihren Laden bringen. Ihr hilft dabei nicht, dass ihr gleich zu Beginn ein Fehler unterlief.
Die Verteidigungsministerin feierte in dieser Woche Geburtstag. Ursula von der Leyen wurde 56 Jahre alt und der Gabentisch war reich bestückt - mit allerhand Problemen: Die Ausrüstung der Bundeswehr ist zu großen Teilen verschlissen. Viele Rüstungsprojekte verzögern sich seit Jahren. Die Waffenlieferungen an die Kurden gelangen nur stotternd ans Ziel. Die Hilfe für die Ebola-Gebiete verzögert sich. Ach ja, einen Blumenstrauß von der Kanzlerin gab's immerhin zum Wiegenfest der Ministerin.
Die Lage ist schwierig, aber sie birgt für von der Leyen nicht nur Gefahren. Zum einen trägt die Ministerin an Missständen, die sich über Jahre und Jahrzehnte in der Bundeswehr aufgestaut haben, keine Schuld. Das sieht selbst die Opposition ein. Zum anderen ermöglicht ihr diese Unbescholtenheit, nun an die Aufklärung zu gehen und Transparenz in einer Institution zu schaffen, deren Strukturen so durcheinander und verworren sind wie Spaghetti im brodelnden Wasser. Damit hat Ursula von der Leyen erkennbar begonnen. Bekanntermaßen kann man ihr ja vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie ängstlich sei.
Die Deutschen stehen der Bundeswehr gespalten gegenüber
Die Defizite und Fehlentwicklungen der Bundeswehr haben viele Gründe. Vielleicht der wichtigste ist die ambivalente Haltung der Deutschen zum Militär. Sie schätzen ihre Bundeswehr, wenn Sie offenkundig Gutes tut: Das kann man stets erleben, wenn Elbe oder Donau über die Ufer steigen und Soldaten Sandsäcke schleppen. Selbst das Engagement in Afghanistan wurde zu Hause anfangs geduldet, solange der Eindruck vorhielt, die Bundeswehr sorge nur dafür, dass Brunnen gebohrt würden und Mädchen in die Schule gehen können. Als das Sterben schlimmer wurde, schwand die Akzeptanz.
Diese Ambivalenz der Deutschen ist nichts, wofür sich dieses Land mit seiner Geschichte zu schämen bräuchte. Das Problem entsteht erst dadurch, dass die Politik diese Zwiespältigkeit widerspiegelt. Über die Verwendung der Bundeswehr herrscht eine dauerhafte Unsicherheit: Gilt nun die Kultur der militärischen Zurückhaltung oder will man mehr internationale Verantwortung? Hat die Landesverteidigung Vorrang oder die Interventionsarmee? Seit Jahren werden diese Fragen diskutiert und immer neu entschieden. Oder eben nicht.
Merkel hat sich nie besonders für die Bundeswehr interessiert
Das hat auch mit der Kanzlerin zu tun. Von der Leyen ist neun Monate im Amt, Angela Merkel neun Jahre. Aber für die Bundeswehr hat sie sich nie sonderlich interessiert. Das Ministerium besetzte Merkel stets nach Erwägungen, die mit seinem Gegenstand nichts zu tun hatten. Franz-Josef Jung ist als glücklos in Erinnerung geblieben, Karl-Theodor zu Guttenberg für eine Reform, deren größte Schäden dann Thomas de Maizière beseitigen musste, der dafür am Euro Hawk zugrunde ging.
Nun also von der Leyen. Ein schwerer Fehler ist ihr gleich zu Beginn ihrer Amtszeit unterlaufen: Sie warb für mehr internationale Verantwortung, bevor sie sich ein Bild vom Zustand der Bundeswehr gemacht hatte. Dass die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit nun besonders groß erscheint, hat von der Leyen sich also auch selbst zuzuschreiben. Man kann dem Nachbarn nicht versprechen, die Hecke zu schneiden, wenn man gar nicht weiß, ob man eine geeignete Schere hat.
Ob von der Leyen Erfolg hat, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen
Auf von der Leyen warten zwei Aufgaben: Sie wird die politische Diskussion über die Frage führen müssen - welche Bundeswehr wollen wir? Und verbunden damit, muss sie die Bundeswehr ausmisten, aufstellen und ausstatten. Manche Reform, die von der Leyen nun verfügt, wird sich nicht von heute auf morgen bewerkstelligen lassen, weshalb die Ministerin die ersten Schritte zwar in dieser Legislaturperiode mit demonstrativem Elan gehen kann. Ob der Weg aber wirklich zur Besserung führt, wird sich erst in einigen Jahren messen lassen.
Das ist für die Karriereplanung der Ministerin nicht unbedeutend. Es wäre gewiss unfair, ihr zu unterstellen, sie habe stets nur das eigene Fortkommen im Blick. Dafür hat sie in der Vergangenheit zu oft bewiesen, dass sie bereit ist, harte Schlachten für eine Überzeugung zu schlagen. Aber es kann auch nur wenig Zweifel daran geben, dass Ursula von der Leyen nichts dagegen hätte, mit Anfang 60 einem Verteidigungsminister zum Geburtstag zu gratulieren, den sie berufen hat.