Reform des Kindschaftsrechts

Mit welchen Problemen Trennungsfamilien heute kämpfen

27:36 Minuten
Eine Familie beim Spaziergang. Mutter und Vater laufen außen und die Kinder in der Mitte aber weit voneinander entfernt.
Manches Familienglück währt nicht ewig – und viele schaffen es nicht, die Betreuung der Kinder friedlich zu regeln. © Imago / Jochen Tack
Von Annette Wilmes · 25.03.2019
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Früher betreute der Vater das Kind nach der Trennung meist alle 14 Tage am Wochenende. Doch das klassische Elternmodell ist längst überholt. Die Wirklichkeit von Trennungskindern ist viel heterogener geworden. Nur das Gesetz hinkt da noch hinterher.
Eltern trennen sich, weil sie sich auseinander gelebt haben, weil sie sich nichts mehr zu sagen haben oder weil sie den ständigen Streit nicht mehr ertragen. Aber auch nach der Trennung wird in vielen Fällen weiter gestritten.
"Wenn's um die Kinder geht, betrifft der Streit mal die Frage, wer wie viel monatlichen Unterhalt an wen zahlen muss, mal die Frage, wer entscheiden darf, auf welche Schule das Kind geht, oft auch die Frage, bei welchem Elternteil das Kind wohnen soll."
Professor Rüdiger Ernst, Vorsitzender Richter eines Familiensenats am Kammergericht in Berlin.
"Also wir waren insgesamt zwölfeinhalb Jahre verheiratet, und der erste Sohn kam vor der Ehe und der zweite einige Jahre danach."

Wünsche der Kinder berücksichtigen

Auch bei Klaus Schulte währte das Familienglück nicht ewig.
"Es gab einige Unruhen in den letzten Jahren bis ich dann eines Tages nach der Arbeit überraschend nach Hause kam und die Frau teilte mir mit, dass sie heute ausgezogen ist und die Kinder standen beide sehr traurig und stillschweigend, ängstlich, mir fehlen die Worte, hinter der Terrassenscheibe und schauten zu, was Vater und Mutter da bereden, weil sie auch den Fakt schon kannten. Sie waren dann an dem Tag – und auch viel später habe ich immer wieder erfahren – erleichtert, dass es da keine Unruhe oder dass es einfach ein normales Gespräch war."
Klaus Schulte und seine Frau stritten zwar nach der Trennung ums Geld, um die Wohnung und Einrichtungsgegenstände, aber sie schafften es, das Wichtigste friedlich zu regeln: wie die beiden Söhne künftig betreut werden sollten. Sven und Tobi, ihre Namen sind wie der Name des Vaters erfunden, waren zu dem Zeitpunkt sechs und vierzehn Jahre alt.
"Wir hatten stets das gemeinsame Sorgerecht. Wir haben dann beide versucht, die Kinderwünsche zu berücksichtigen. Ich hatte am Anfang die Kinder von Donnerstag bis Sonntag, also zur Hälfte, fast, wohlgemerkt fast."
Sven, der Kleinere von beiden, lebt zurzeit noch hauptsächlich bei der Mutter. Klaus Schulte trifft ihn in der Regel alle 14 Tage von Freitag bis Sonntag. Das sei im Moment das Beste für den Jungen, er brauche noch die Beständigkeit.
"Es ist herzergreifend, wenn er mich begrüßt, wenn er mich sieht, wenn er mir sein Herz ausschüttet, was los war, wenn ich ihn nach seinen schulischen Sachen frage, wenn ich ihn nach seinen Freunden frage. Und es fällt ihm immer schwer, wenn er sich verabschiedet und wieder zur Mutter geht. Da kann ich Ihnen sagen, da kommt es vor, dass er siebenmal aus dem Auto rauskommt und sich bei mir verabschiedet und umarmt und 'ich wollte dir noch mal tschüss sagen'."
Der ältere Sohn lebt nach einigen Auseinandersetzungen inzwischen im wöchentlichen Wechsel bei Mutter und Vater. Tobi selbst habe es so gewollt.
"Das funktioniert wirklich sehr, sehr gut, es war anfangs so, dass die Mutter noch dabei war, dass wir da noch Übergabe gemacht haben, was mir wichtig war. Aber es funktioniert wirklich tadellos, und für ihn wirklich völlig sorgenfrei."

Trennungsfamilien brauchen professionelle Hilfe

Nicht allen Eltern gelingt es wie den Eltern von Sven und Tobi, nach der Trennung und Scheidung eine gute Betreuungsregel für die Kinder zu finden. Viele brauchen professionelle Unterstützung. Sie suchen meist sogar eine Anwältin oder einen Anwalt auf.
"Die kommen zu uns in die Praxis und äußern, je nachdem, wie sie bisher gelebt haben, ihre Sorge, wie künftig der Kontakt zu den Kindern laufen wird, wer sie betreut."
Eva Becker ist Fachanwältin für Familienrecht in Berlin.
"Aber eine große Sorge ist dabei natürlich auch, wie die finanzielle Situation der Familie sich dann gestaltet. Und da muss man mit ihnen ausgewogen die Möglichkeiten besprechen, was aus der bisherigen Situation folgt und wie die auch vielleicht sich verändert. Wenn einer bisher weniger betreut hat und mehr in die Betreuung rein möchte, ist das durchaus denkbar, denn eine Trennung ist ja auch eine Zäsur in einem Familienkonstrukt, so dass sich die bisherigen Verhältnisse auch ändern können."

Das Kindschaftsrecht, das unter anderem die Regeln zur elterlichen Sorge und zum Umgang und im weiteren Sinne auch zum Kindesunterhalt enthält, wurde zum letzten Mal 1998 umfassend reformiert. Seitdem, meint Eva Becker, habe sich viel verändert, was im Gesetz nicht mehr abgebildet sei.
Vater und Tochter sitzen auf der Couch. Der Vater arbeitet am Computer, die Tochter ist auf seinem Schoß eingeschlafen.
Immer mehr Väter wollen nach der Trennung größere Anteile an der Kinderbetreuung übernehmen.© Imago / Eloisa Ramos
"Das Gesetz stammt aus alter Zeit, in der eben die Erwerbssituation von Frauen eine ganz andere war, sie nur mit Zustimmung ihres Mannes womöglich arbeiten durfte, die Mutter und Ehefrau. Und Fremdbetreuung, wie das immer etwas despektierlich genannt wird, also Betreuung durch den Staat oder andere Dritte, noch nicht vorgesehen war. Das sind alles Dinge, die sich verändert haben. Und deswegen ändern sich auch die Vorstellungen davon, wie die Betreuungssituation von Kindern aktuell sein sollte."
Für das Kind ist es wichtig, auch nach der Trennung zu beiden Eltern Kontakt zu haben, nicht nur zur Mutter. Und immer mehr Väter wollen größere Anteile an der Kinderbetreuung übernehmen. Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und durch die Kinderrechtskonvention wurden die Rechte des Kindes gestärkt.
"Das Kind ist mehr in den Mittelpunkt gerückt, und die Eltern haben gleichermaßen Verantwortung zu tragen. Auch da hat sich peu à peu eine Rechtsentwicklung, denken wir nur an die gemeinsame elterliche Sorge nicht verheirateter Eltern, ergeben. So, und das bedeutet, dass die Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch zur Betreuungssituation, aber auch womöglich zum Unterhalt, einer Reform bedürfen, weil dieser Geist – die Entwicklung im Recht – womöglich eben da noch nicht hinreichend nachvollzogen ist."
Schon am Sprachgebrauch lässt sich die Entwicklung im Kindschaftsrecht ablesen. Als das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft trat, war von "elterlicher Gewalt" die Rede, die Eltern beherrschten die Kinder. 80 Jahre später wurde daraus "elterliche Sorge", die Eltern müssen sich um die Kinder kümmern, sie sind verantwortlich für ihr Wohlergehen.

Gemeinsame Verantwortung, geteilte Betreuung

"Gemeinsam getragene Elternverantwortung nach Trennung und Scheidung" – unter diesem Titel hat die Jura-Professorin Eva Schumann von der Universität Göttingen im vergangenen Jahr ein Gutachten erstellt, das der Deutsche Juristentag in Auftrag gegeben hatte. Es diente als Grundlage zur Debatte um nötige Reformen im Kindschaftsrecht. Eva Schumann:
"Das Problem ist, dass unser geltendes Kindschaftsrecht auf das so genannte Residenzmodell zugeschnitten ist, und bei dem wird das Kind ganz überwiegend von einem Elternteil, meist der Mutter, betreut, während der andere Elternteil, meist der Vater, mit dem Kind Umgang hat und den Kindesunterhalt bezahlt. Und es ist derzeit so, dass das Residenzmodell noch von etwa zwei Drittel aller Eltern, die getrennt leben, praktiziert wird. Allerdings gibt es eben auch Trennungseltern, die ihr Kind im Wechsel betreuen, und vor allem wünschen sich auch immer mehr Eltern eine egalitärere Aufteilung der Betreuung."
Das muss nicht unbedingt eine genau gleiche Aufteilung bedeuten, also die Hälfte der Zeit bei der Mutter, die andere Hälfte beim Vater. Eva Schumann spricht hier von geteilter Betreuung. Das kann heißen: 40 Prozent beim Vater und 60 Prozent bei der Mutter oder 35 Prozent zu 65 Prozent oder eben auch 50 zu 50, wie beim so genannten Wechselmodell. Wenn sich die Eltern auf eine dieser Betreuungsarten einigen können, ist das kein Problem. Schwierig wird es im Konfliktfall, wenn die Sache schlimmstenfalls vor Gericht landet.
"Das Gericht kann das heute entscheiden im Rahmen einer Umgangsregelung. Dazu gibt es BGH-Rechtsprechung. Das heißt, man würde dann, wenn beispielsweise ein Elternkonflikt besteht und ein Elternteil das Kind überwiegend betreuen will und der andere das Kind zu 50 Prozent mit betreuen will, diesem Elternteil, der zu 50 Prozent mit betreuen will, ein Umgangsrecht im Umgang von 50 Prozent einräumen. Und da merken Sie schon, dass das eigentlich nicht so richtig passt, weil Umgang bedeutet, dass der Elternteil, der das Kind nicht überwiegend betreut, Kontakt zum Kind hat, es auch regelmäßig sehen kann. Aber es bedeutet eben nicht, dass er in gleicher Weise wie der überwiegend betreuende Elternteil sich einbringt in die Erziehung."

Elternkonflikte vor dem Familiengericht

Wenn Eltern sich nicht einigen können, landet ihr Konflikt zunächst beim Familiengericht.
"Sorge- und Umgangsverfahren nehmen zu, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern jetzt miteinander verheiratet sind oder ob sie nur eine Lebenspartnerschaft, also jetzt nicht im Sinne von Ehe, sondern der nichtehelichen Lebenspartnerschaft, geführt haben."
Brigitte Meyer-Wehage ist Direktorin des Amtsgerichts Brake in Niedersachsen, wo sie auch als Familienrichterin arbeitet. In Umgangsverfahren geht es darum, wie oft der Elternteil, der nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung lebt, das Kind sehen kann. Beim Streit um das Sorgerecht der Kinder geht es um grundsätzlichere Fragen.
"Wo soll das Kind leben? Also Aufenthaltsbestimmungsrecht. Dann die Gesundheitssorge. Das ist ganz wichtig, wenn ein Kind Impfungen haben soll. Aber auch die Vermögenssorge. Das sind wichtige Bestandteile des Sorgerechts, während es beim Umgang wirklich um den Kontakt zum Elternteil geht, bei dem das Kind nicht dauerhaft lebt."
Im verlassen Gang vom Familiengericht steht eine Person mit Kinderwagen. 
Das paritätische Wechselmodell wirft neue finanzielle Fragen auf, die häufig auch vor Gericht landen.© Imago / Lars Berg
Auch das finanzielle Problem spielt beim so genannten Wechselmodell eine Rolle.
"Hier wird nach Lösungen gesucht werden müssen, denn eins ist sicherlich richtig: Die Mehrkosten sind da. Denn es macht einen Unterschied, ob ich ein Kind in einem wirklich paritätischen Wechselmodell betreue, das heißt, ich muss auch ein Zimmer vorhalten, was vielleicht, wenn ich nur alle zwei Wochen Umgang habe mit dem Kind und dann nur am Wochenende, möglicherweise nicht so zwingend ist, weil dann auch schon mal gern die Couch genommen wird als Schlafstelle. Das ist natürlich bei der paritätischen Betreuung ausgeschlossen."
Schon beim so genannten erweiterten Umgang, wenn das Kind vier Tage bei der Mutter und im Anschluss drei Tage beim Vater verbringt, hat Meyer-Wehage Bedenken.
"Ich weiß, es gibt keine empirischen Studien darüber. Aber ich habe durchaus die eine oder andere Fallkonstellation gehabt, wo die Kinder mir in ihrer Anhörung gesagt haben: Das möchte ich einfach auf Dauer nicht. Das ist mir zu lästig. Da sind die Eltern gefragt. Es ist ja kein Modell für die Eltern, sondern es soll ja zum Wohl des Kindes sein. Es geht nicht darum, die Eltern glücklich zu machen."

Das Wichtigste ist das Wohl des Kindes

Das Wohl des Kindes soll über allem stehen, das gilt auch schon nach jetziger Gesetzeslage. Professor Rüdiger Ernst, Vorsitzender Richter am Kammergericht in Berlin:
"Zum Kindeswohl gehören verschiedene Aspekte. Zum Beispiel muss geprüft werden, welcher Elternteil das Kind besser fördern kann, welcher Elternteil besser geeignet ist, das Kind zu erziehen, zu welchem Elternteil das Kind die engeren Beziehungen hat, ob noch Geschwisterkinder da sind, welcher Elternteil den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil besser unterstützt, welcher Elternteil besser für ein gleichmäßiges, stabiles, also kontinuierliches Erziehungsverhalten sorgen kann und welcher Elternteil eher eine Kontinuität auch der äußeren Lebensbedingungen für das Kind gewährleisten kann. Und schließlich, umso wichtiger, je älter das Kind ist: Was will das Kind selbst?"
Rüdiger Ernst ist am Kammergericht mit Familiensachen in zweiter Instanz befasst. Wenn also einer der Prozessbeteiligten mit der Entscheidung der Vorinstanz – dem Amtsgericht – nicht einverstanden ist, dann kann er beim Oberlandesgericht – in Berlin beim Kammergericht – Beschwerde einlegen. Hier wird der ganze Fall noch einmal behandelt.
Die Fälle, die beim Familiensenat am Kammergericht landen, sind besonders konfliktbeladen. Auch in ihnen werde deutlich, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert haben, erläutert Rüdiger Ernst:
"Man muss bedenken, dass noch bis in die 1980er-Jahre hinein selbst psychologische Sachverständige in Umgangsverfahren empfohlen haben, dass das Kind und der nicht betreuende Elternteil, das war in der Regel der Vater, an einem Wochenende im Monat miteinander Umgangskontakt haben sollen. Das hat sich natürlich extrem geändert. Als ganz allgemeine Tendenz kann man sagen: Diese Familienkonflikte haben sich auch deshalb geändert, weil Mütter stärker berufstätig sind und Väter mehr Zeit auch für ihre Kinder investieren möchten."
Auf einem Steg sitzt ein kleiner Junge und schaut aufs Meer. Er sieht einsam aus.
"Die häufigsten Probleme im Kontext von Trennungen sind tatsächlich Streit über den Umgang", berichtet eine Familienberaterin.© EyeEm / Esther Moreno
Dass sich die Verfahren immer mehr um die Kinder drehen, stellt auch Professorin Isabell Götz fest, Vorsitzende eines Familiensenats am Oberlandesgericht München.
"Und wenn die Leute dann erst mal beim Oberlandesgericht sind, sind sie natürlich schon sehr zerstritten. Meistens dauern die Verfahren schon sehr lange. Also, es ist hochstrittig und es wird mühsamer, habe ich den Eindruck."

Streit meist auch ums Geld

Wenn um die Betreuung der Kinder gestritten wird, geht es meist auch ums Geld. Selbst wenn die Eltern sich die Betreuung der Kinder zur Hälfte teilen, wie im Wechselmodell, ist nicht sofort klar, wer wie viel noch zum Unterhalt des Kindes beitragen muss.
"Wenn die Eltern wirklich fifty-fifty betreuen, dann tun wir uns noch relativ leicht, denn dann ermitteln wir den Bedarf, den das Kind hat, wie viel braucht das Kind, und verteilen den zwischen den Eltern, und zwar entsprechend deren Einkommensverhältnissen. Also, wenn einer doppelt so viel verdient wie der andere, dann trägt halt der Doppelverdiener zwei Drittel und der andere ein Drittel. Das ist noch relativ einfach.
Schwieriger ist es in dem Grenzbereich, wenn sie also nicht hälftig betreuen, sondern etwas darunter, aber trotzdem ein Elternteil das Kind relativ lange hat. Nehmen wir an: Ein Drittel des Monats, zehn Tage beim einen, zwanzig Tage beim andern. Dann sagt natürlich der, der das Kind zehn Tage hat, nicht zu Unrecht: Ich leiste einen wesentlichen Betreuungsanteil. Ich bringe das Kind unter in der Zeit. Es hat bei mir was zum Essen. Ich möchte das im Unterhalt eingepreist sehen. Und in diesem Graubereich, ja, da wird jetzt gerechnet wie wild. Alle sind sich, glaube ich, drüber einig, dass man es berücksichtigen muss, dass man nicht sagen kann: Auch wenn du das Kind zehn Tage hast, zahlst du den vollen Unterhalt. Bloß, wie genau wir das jetzt machen, darüber streiten wir gerade noch trefflich."
Isabell Götz würde sich wünschen, dass sich die Eltern bei diesen Rechnungen etwas großzügiger zeigten.
"Aber das ist natürlich auch so ein Punkt, der mich immer ein bisschen auf die Palme bringt, wenn man rechnet mit Komma 32 und Komma 64. Geschuldet ist der angemessene Unterhalt. Und mit diesen, mit diesen feindseligen Rechnungen erzeugen wir eine Scheingerechtigkeit und meinen, wenn dann unten steht: 134,68, dann wird das schon richtig sein. Also, man sollte da ruhig es wagen, ein bisschen zu runden. Und im Sitzungssaal hab ich auch die Erfahrung gemacht, dass man da nie auf Kritik oder Widerstand stößt, wenn man es so tut."
Aber nicht alle Fälle sind so strittig, dass sie vor Gericht landen und dann sogar noch den Instanzenweg nehmen. Es gibt auch Eltern, die sich nach der Trennung nur unsicher sind, wie es am besten weiter gehen soll, vor allem für die Kinder. In solchen Fällen kann Anne Waterstraat helfen. Sie arbeitet als Erziehungs- und Familienberaterin beim Deutschen Roten Kreuz in Berlin. Dort gibt es zum Beispiel auch das Kursangebot "Kinder im Blick".
"Die häufigsten Probleme im Kontext von Trennungen sind tatsächlich Streit über den Umgang. Also wie die Betreuungszeiten aufgeteilt werden. Da geht es auch um ganz kleinteilige Absprachen, um Urlaubsfragen, Feiertage, wer bringt das Kind wohin, wer ist für welches Hobby zuständig, kann man zusammen auf 'nen Elternabend in der Schule gehen, oder teilt man sich das auf. Also wirklich sehr viele, sehr alltagsnahe und kleinschrittige Fragen und Themen, die es zu lösen gilt."

Väter sind heute mit im Boot

In der letzten Kindschaftsrechtsreform von 1998 war eine wesentliche Änderung, dass nach der Scheidung die Eltern das gemeinsame Sorgerecht automatisch behalten. Dadurch habe sich im Bewusstsein der Eltern viel verändert, meint Anne Waterstraat:
"Ich glaube, man kann schon sagen, dass die allermeisten Eltern davon ausgehen, dass in irgendeiner Form ein Weg gefunden werden sollte, dass beide Eltern in der Verantwortung bleiben, auch in der konkreten Betreuung. Wie das aufgeteilt wird, ist sehr, sehr unterschiedlich. Aber auch, wenn es so ist, dass, wie früher das klassische Modell eher war, der Vater 14-tägig die Kinder betreut am Wochenende, auch dann gibt es trotzdem das Bild, dass er eben mit erzieht, mit Verantwortung trägt, die großen Fragen mit entscheidet, also schon wirklich im Boot ist."
Es komme zwar noch vor, dass nach der Trennung ein Elternteil aus dem Leben der Kinder ganz verschwindet, aber sehr viel seltener als in früheren Zeiten, in denen der Vater nur für den Unterhalt aufkam und sonst mit den Kindern kaum Kontakt hatte.
Problematisch findet Anne Waterstraat, wie die Diskussion um die verschiedenen Bereuungsmodelle zurzeit geführt wird. Da sei viel Schwarz-Weiß-Malerei dabei.
"Also die gesellschaftlichen Debatten dazu sind sehr aufgeladen. Ich glaube, wie bei allem, wenn es um Kinder geht. Es gibt ganz starke Verfechter, die sagen, das Wechselmodell ist das einzig wahre und wichtige, und das muss als Leitmodell verankert werden gesetzlich. Dann gibt es die, die sagen, das sehen sie problematisch, Kinder brauchen einen Lebensmittelpunkt. Es ist eine Überforderung, immer zwischen zwei Haushalten zu pendeln."
Der Kampf der Ideologien gehe in den letzten Jahren zurück, wirft Richterin Isabell Götz ein:
"Der war am Anfang, vor zwei, drei, vier Jahren, größer. Da haben die Väterverbände den Mütterverbänden vorgeworfen: Ihr wollt das Wechselmodell nicht, weil ihr das Geld allein für euch haben wollt. Und die Mütterverbände haben den Väterverbänden vorgeworfen: Ihr wollt nur mitbetreuen, sozusagen als Unterhalt-Sparmodell. Und beide haben sicher in mancher Hinsicht Recht gehabt. Aber da sind wir jetzt, hoffe ich, weg davon und reden miteinander schon gut in der Sache, weil, es geht ja letztlich darum: Wie machen wir es für die Kinder gut und richtig und nicht für die Eltern."

Fachleute gegen das Wechselmodell als Regelfall

"Getrennt leben ‒ Gemeinsam erziehen: Familienrechtliches Wechselmodell als Regelfall einführen" – unter dieser Überschrift hatten die Freien Demokraten im März 2018 einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Ob ihm jedoch von der Mehrheit des Parlaments zugestimmt wird, ist mehr als fraglich. Denn bei einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss haben sich im Februar dieses Jahres die meisten Experten gegen das Wechselmodell als Regelfall ausgesprochen.
Rechtsanwältin Eva Becker, Fachanwältin für Familienrecht und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein, gehörte dazu.
"Wir haben derzeit kein Leitbild im Gesetz, wie eine Betreuungssituation zu regeln ist. Und das Verdikt, dass jeder Einzelfall, jedes Kind gesondert zu betrachten ist mit seinen individuellen Bedürfnissen, Rechten und Pflichten, verbietet es aus meiner Sicht, dass man ein Leitbild ins Gesetz aufnimmt, wie Betreuung stattzufinden hat, ob im Residenzmodell, ob paritätisch oder anders."
Bei jeder Rechtsberatung und bei jeder Gerichtsentscheidung im Kindschaftsrecht müsse auch in Zukunft auf den Einzelfall geschaut werden, meint Eva Becker:
"Was habe ich für eine Familie? Habe ich eine Doppelverdiener-Beziehung oder -Ehe? Habe ich ein klassisches Hausfrauenmodell, in dem zehn Jahre einer nicht gearbeitet hat, der andere schon? Und wie hat dieses Kind gelebt? Was braucht es nach einer Trennung? Man darf dabei aber nicht vergessen, wie gesagt: Eine Trennung ist auch eine Zäsur. Kinder sind keine Persönlichkeiten, die nur statisch leben, sondern die sich auch entwickeln. Das heißt, die können nach einer Trennung der Eltern durchaus eine Veränderung in ihrer Betreuungsform verkraften und manchmal brauchen sie das auch, damit sie keine Verlustängste entwickeln."
Zwei Erwachsene streiten sich in einer Wohnung, während die Tochter traurig ist (Symbolfoto). 
Braucht es ein Leitbild für die Betreuung von Trennungskindern? Es müsse auf den Einzelfall geschaut werden, meinen Experten.© picture alliance/dpa Themendienst/Silvia Marks
Wie Eva Becker meint auch die Juraprofessorin Eva Schumann von der Universität Göttingen, dass es kein Leitbild und keinen Regelfall für die Betreuung von Kindern nach der Trennung oder Scheidung der Eltern im Gesetz geben dürfe. Sie hält es sogar für verfassungsrechtlich bedenklich.
"Denn wir haben dazu eine umfangreiche Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht. Und das leitet aus Artikel 6 Grundgesetz, der schützt die Eltern-Kind-Beziehung, ab, dass die Eltern ihr familiäres Leben nach ihren eigenen Vorstellungen verwirklichen dürfen, und damit dürfen sie eben auch selbst entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein oder eben von beiden Eltern wechselseitig betreut wird.
Und wir können ja auch nicht zusammenlebenden Eltern vorgeben, wie sie die Aufgaben in der Familie verteilen. Und man muss sich ja auch klar machen, dass hierfür eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle spielen. Das fängt an mit der Distanz der Elternhäuser, dann mit dem Alter, der Persönlichkeit und auch dem Willen des Kindes. Es geht auch darum, wie stark ist beispielsweise ein Elternkonflikt und so weiter. Wenn man jetzt hier ein gesetzliches Leitbild vorgeben würde, für ein ganz bestimmtes Betreuungsmodell, dann könnten diese Vielzahl von Faktoren im Einzelfall gar nicht mehr angemessen berücksichtigt werden."

Das neue Gesetz braucht Stimmigkeit

Vor dem Rechtsausschuss wurde auch Amtsgerichtsdirektorin Brigitte Meyer-Wehage als Expertin gehört. Sie war in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende der Kommission für Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften im Deutschen Juristinnenbund eingeladen worden. Sie sprach sich ebenfalls gegen das Wechselmodell als Regelfall aus und erhofft sich von einem neuen Gesetz vor allem Stimmigkeit.
"Stimmigkeit deshalb, weil wir im Kindesunterhalt, Stichwort: Alleinerziehende, häufig auch den Bezug von SGB II-Leistungen haben, also Sozialhilfeleistungen, Transferleistungen. Und das darf nicht aus dem Blick geraten.
Also, der Unterhalt wird im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Dafür ist das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz zuständig. Aber wenn wir jetzt zum Beispiel die Unterhaltsvorschussleistung haben, das ist im Bundesfamilienministerium angesiedelt. Und wenn wir über Sozialleistungen sprechen, dann sind wir beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Das heißt also, wenn ich eine Stimmigkeit erzielen will, dann muss das ressortübergreifend sein."

Armutsrisiko für Kinder in Trennungsfamilien

Bei Trennungsfamilien, vor allem bei Alleinerziehenden, ist das Armutsrisiko für die Kinder besonders hoch. Deshalb müsste bei einer Reform nicht nur das Sozial-, sondern auch das Steuerrecht mit in den Blick genommen werden. Dadurch könnten vielleicht auch die Mehrkosten aufgefangen werden, die entstehen, wenn die Eltern im Wechsel ihre Kinder betreuen. So würde diese besondere Betreuungsform auch den nicht wohlhabenden Trennungsfamilien ermöglicht.
Für eine Reform im Kindschaftsrecht spricht sich auch Richterin Isabell Götz aus:
"Tatsächlich ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die alten Vorschriften durchzulüften und sozusagen jetzt ein Modell uns anzubieten, das allen gerecht werden kann. Es liegt in der Verantwortung der Eltern, das darf man ja nun mal nicht vergessen, zu entscheiden: Wie betreuen wir unser Kind nach einer Trennung, und wie sorgen wir dafür, dass es seines Lebens fristen kann im Unterhalt? Erst wenn die Eltern das nicht können, dann ist der Richter aufgerufen, es zu tun. Aber einfach ein offenes Modell, das alle Varianten zulässt: also, eine geteilte Mitbetreuung, ein Wechselmodell, aber das keine dieser Varianten vorgibt."

Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern

Nach Ansicht von Rüdiger Ernst, Richter am Kammergericht, sollte auch für nicht verheiratete Paare die gemeinsame elterliche Sorge automatisch gelten. Das ist bisher nur bei Ehepaaren der Fall. Nicht verheiratete Eltern müssen beim Jugendamt erklären, dass sie sich einig sind und das gemeinsame Sorgerecht haben wollen. Wenn sie dies nicht tun, bleibt das Sorgerecht allein bei der Mutter.
"Ich meine, das sollte geändert werden. Im Grundsatz sollten die Eltern immer automatisch die gemeinsame elterliche Sorge haben. Ich würde nur einen Ausnahmefall machen: Wenn ein Vater seine Vaterschaft nicht freiwillig anerkennt. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es nicht zu vertreten, dass ein Elternteil kraft Gesetzes geringere Rechte hat als der andere."
Eine Gesetzesreform könnte schließlich auch für die Familien- und Erziehungsberatungsstellen hilfreich sein, die Trennungsfamilien psychologisch und sozialpädagogisch unterstützen. Anne Waterstraat:

Lange Gerichtsverfahren für Kinder schwer zu ertragen

"Ich würde es hoffen, dass es dazu führen würde, dass ein bisschen mehr Gefühl von Gerechtigkeit entstehen würde. Denn jetzt haben wir viel damit zu kämpfen, dass Elternteile die Lösungen, die gefunden werden, sehr ungerecht empfinden. Also gerade die Väter, wenn sie vollen Unterhalt zahlen müssen und relativ viel Betreuung der Kinder leisten, die erleben das als sehr ungerecht."
Das war zunächst auch bei Klaus Schulte so. Es dauerte, bis er und seine Ex-Frau sich einig wurden, wie die Kinder am besten zu versorgen sind, nämlich dass eben der 16-jährige Tobi im Wechsel bei Mutter und Vater lebt, während der jüngere Sven nur alle 14 Tage am Wochenende zum Vater geht.
"Und da kann man nicht schauen, was möchte ich, was möchte ich nicht, sondern da sollten sich beide sehr wohl überlegen, was tut meinem Kind oder unserem Kind, um mal die alte Variante zu nehmen, das war ja mal unser Kind, heute sagt jeder, es ist sein Kind, aber was ist für das Kind wichtig. Da muss man Wege finden. Hier sehe ich noch einen Nachholbedarf, wo beide Eltern geschützt oder unterstützt werden sollten. Wo meiner Meinung nach eine schnellere Regelung herbeigeführt werden könnte."
Vor allem für die Trennungsfamilien, die ihren Konflikt vor Gericht austragen müssen, ist es wichtig, schnellere Regelungen zu finden. Bisher werden Umgang, Sorge und Kindesunterhalt getrennt verhandelt. Es kommt vor, dass mehrere Verfahren zeitlich verschoben anhängig sind und sich entsprechend hinziehen, was vor allem für die Kinder schwer zu ertragen ist. Deshalb gibt es den Vorschlag aus der Anwaltschaft, alle Belange des Kindes in einem Verfahren zusammen zu führen.
Im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz prüft zurzeit eine Arbeitsgruppe Änderungsbedarf im Sorge- und Umgangsrecht. Erste Ergebnisse, ließ Justizministerin Katharina Barley unlängst wissen, werden im Spätsommer dieses Jahres erwartet. Eine umfassende Gesetzesänderung im Kindschaftsrecht wird noch länger dauern. Dabei ist noch nicht raus ist, ob nur an den Stellen, wo es Lücken und Defizite gibt, etwas ergänzt, oder ob das Kindschaftsrecht komplett neugestaltet wird.
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