Reflexion über das Verhältnis von Spiel und Wahrhaftigkeit

Von Christoph Leibold · 21.07.2012
Zwei Frauen im Ringen um das jeweils eigene Ich. Das ist die Handlung von "Persona", das Amélie Niermeyer als Bühnenfassung adaptierte. Die Schauspielerinnen werden dabei in der zweiten Aufführung in Tel Aviv die Rollen tauschen.
Die deutsche Schauspielerin Juliane Köhler und ihre russisch-israelische Kollegin Evgenia Dodina haben sich bei Dreharbeiten kennen und schätzen gelernt. So entstand der Wunsch, einmal gemeinsam Theater zu spielen. Aber wie sollte das gehen – ohne gemeinsame Sprache?

Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff wurden die beiden bei Ingmar Bergmann fündig. In dessen Film "Persona" (1966) spielt eine der beiden Hauptdarstellerinnen eine stumme Rollen. Regisseurin Amélie Niermeyer hat nun den Stoff für eine Koproduktion des Münchner Residenztheaters mit dem Habima Theater Tel Aviv adaptiert. Bei der deutschen Premiere spielt Evgenia Dodina die stumme Rolle und Juliane Köhler ihr beredtes Gegenüber. In Tel Aviv im Herbst wird es umgekehrt sein.

"Wir sehen uns ziemlich ähnlich, ich könnte mich in Dich verwandeln", sagt die Krankenschwester Alma zur Schauspielerin Elisabet Vogler, die sie betreut, seit diese inmitten einer Theateraufführung verstummt ist und nun dauerhaft schweigt. Über den genauen Grund für dieses Verstummen schweigt sich wiederum das Drehbuch von Ingmar Bergmann aus. Wohl aber hat es etwas mit der Angst der Schauspielerin zu tun, hinter ihren Rollen zu verschwinden.

Persona – der Begriff bezeichnet im antiken Theater die Maske, und - in Anlehnung daran - in der analytischen Psychologie die Rolle, die der Mensch im Leben spielt, also das Gegenteil seiner wahren Persönlichkeit. Diese eigene Identität gibt auch Alma preis, indem sie sich ihrem stummen Gegenüber immer weiter öffnet, intime Geheimnisse verrät und schließlich mit der berühmten Schauspielerin identifiziert.

"Persona" von Ingmar Bergman ist also zunächst einmal ein psychologisches Kammerspiel. Zwei Frauen im Ringen um das jeweils eigene Ich. Während Alma droht, sich in Elisabet zu verlieren, deckt sie zugleich die Verlorenheit Elisabets hinter der Maske der anfänglichen Souveränität auf.

"Persona" ist aber auch Reflexion über das Verhältnis von Spiel und Wahrhaftigkeit in der darstellenden Kunst. Bergman hat seinen Film erkennbar als Film inszeniert. So lässt er ihn etwa mit Aufflackern des Lichts in einem Projektor beginnen, begleitet vom Knistern und Rauschen des Verstärkers. Ähnliche Effekte strukturieren die ganze Handlung.

Amélie Niermeyer hat in ihrer Bühnenfassung für dieses Kenntlichmachen der Künstlichkeit eine ebenso simple wie einleuchtende, theatertaugliche Entsprechung gefunden. Im weitgehend leeren, abstrakten, jeglichen Naturalismus meidenden Raum, wechseln die Schauspielerinnen permanent zwischen Erzählung und Verkörperung, reden in der dritten Person über ihre Figuren, um später in diese Figuren hineinzuschlüpfen und "ich" zu sagen.

Dieses beständige Hin und Her zwischen Verfremdung und Verwandlung ist mittlerweile gang und gäbe auf deutschen Bühnen bei Film- oder auch Romanadaptionen. Bei "Persona" ist es jedoch mehr als nur probates Mittel, weil aus dem Stoff heraus entwickelt. Auch dass die beiden Hauptdarstellerinnen Juliane Köhler und Evgenia Dodina die Rollen wechseln werden, ist mehr als nur ein hübscher Einfall. Es ergibt Sinn, weil beide Figuren eng aufeinander bezogen sind und die Grenzen zwischen ihren Identitäten - so unterschiedlich beide Frauen auch scheinen mögen – durch Almas Identifikation mit Elisabet im Laufe der Handlung zunehmend verschwimmen.

Konzeptionell ist damit alles im grünen Bereich. Das Problem der Aufführung liegt anderswo. Im Kern ist "Persona" eben doch ein Psychodrama. Und das verlangt, trotz aller Verfremdung drum herum, nach schauspielerischer Einfühlung. Ein Angebot, das vor allem Juliane Köhler allzu hingebungsvoll annimmt. Ihre Alma ist anfangs von geradezu backfischartiger Plapperigkeit, wenn sie Elisabet ihr Herz ausschüttet.

Später, in aufgewühlterer Seelenlage, kippt ihr Spiel ins Melodramatische. Da ist es zum Psychokitsch nicht weit. Zurückgenommener, auch rollenbedingt, das stumme Spiel von Evgenia Dodina, deren Elisabet sich hinter einer Maske der Undurchdringlichkeit versteckt, in der sich nur allmählich feine Risse auftun. Am Ende stehen ihr die Tränen in den Augen, aber sie kullern nicht.

Wo Köhler in seelenpornografischer Selbstentblößung viel zu viel aus sich raus lässt, weiß Dodina, wo sie sich zurückhalten muss. Nun wäre es interessant zu sehen, ob die Inszenierung nach dem Rollenwechsel in Tel Aviv besser funktioniert.