Reduziert bis zum Quadrat

Von Volkhard App |
Sehr viel Augenmerk richtet sich zurzeit auf einen schwarzen Kubus, der vor der Hamburger Kunsthalle steht. Sicherheitsbedenken werden laut, weil der Würfel von Gregor Schneider an die Kaaba erinnert, das Heiligtum in Mekka. Dabei geht es in der Ausstellung nicht um den Islam, sondern um eine Hommage an Kasimir Malewitsch: Der hatte 1915 mit seinem berühmten "Schwarzen Quadrat" die Möglichkeiten der Malerei verändert.
Auf dem Plateau zwischen Altbau und der "Galerie der Gegenwart" erhebt sich Gregor Schneiders viel diskutierter Kubus: schwarz eingekleidet, 14 mal 13 mal 13 Meter groß. Und da dieser von der Kaaba, dem Heiligtum in Mekka inspirierte, aber durchaus mehrdeutige mächtige Würfel auf der Biennale in Venedig und auch in Berlin infolge übertriebener Vorsicht nicht errichtet werden durfte, zieht er in Hamburg alle Blicke auf sich - so sehr, dass es deutlich gesagt werden muss:

Die Schau der Hamburger Kunsthalle dreht sich nicht um diesen Kubus - es geht tatsächlich um die Inkunabel der Moderne von Malewitsch, um das 1915 in Petrograd erstmals gezeigte "Schwarze Quadrat" auf weißem Grund und um sein Echo in der Kunstgeschichte.

Malewitsch wollte sich von allem Ballast der Gegenständlichkeit befreien und durch Reduktion auf einfache geometrische Formen wie Quadrat, Kreis und Kreuz zu einem reinen und deshalb überlegenen Ausdruck der Empfindungen gelangen. Es war die Geburtsstunde des "Suprematismus".

Welche Bedeutung dieses "Schwarze Quadrat", das in Hamburg in einer späteren Fassung präsentiert wird, auf die Zeitgenossen haben musste, veranschaulicht das Entree dieser Ausstellung - vollgehängt sind die Wände mit der Salonmalerei älterer Provenienz, mit Historienbildern und Porträts - und dann der Schock des "Schwarzen Quadrats", das seine Faszination bis heute bewahrt hat. Ausstellungsleiter Felix Krämer:

"Es ist zum einen das Nichts und bedeutet andererseits alles. Es ist eine verblüffend einfache Form – eben schwarzes Quadrat auf weißem Grund -, die den Blick verstellt, aber auch Öffnung sein kann in den leeren Raum. Eine einfache Lösung, aber es war schwierig, dorthin zu gelangen – was wir uns heute nicht mehr vorstellen können, denn das Sehen hat sich gewandelt."

Auch weitere Gemälde von Malewitsch mit suprematistischen Formen - einem roten Quadrat auf weißem Grund und komplexeren Darstellungen - bezieht diese Schau ein, und die Kostümentwürfe zur Oper "Sieg über die Sonne", in deren Bühnenbild sich der Weg dieses Künstlers zum Suprematismus schon 1913 abzeichnete.

Auch Zeitgenossen wie El Lissitzky sind vertreten, die ihre avantgardistische Kunst wie Malewitsch dann in Korrespondenz zum politischen Umbruch in Russland sahen, zur Neugestaltung der Gesellschaft, des Denkens und Fühlens.

Vor allem aber wird der Bogen in die zeitgenössische Moderne geschlagen, in der die Formen von Malewitsch geradezu irrlichtern, so scheint es jedenfalls: Da sind die Kuben von Donald Judd und Sol LeWitt und die auf den Boden gelegten Metallplatten von Carl Andre. Von Günther Ueckers mit Nägeln übersätem Würfel bis zu Richard Serras Stahlplatten reicht das Spektrum, von Franz Erhard Walthers Aktionsversuchen auf quadratischem Stoffgrund bis zu Bruce Naumans experimentellen Videoarbeiten.

Immer wieder stellt sich allerdings die Frage, ob sich die jeweiligen Künstler tatsächlich auf Malewitsch beziehen, vielleicht auch durch sein Werk geprägt sind - oder ob die Verbindung erst durch die findigen Denker der Kunsthalle hergestellt wird. Eine Installation hat den Kurator besonders beeindruckt:

"Es ist eine Arbeit des Japaners Noriyuki Haraguchi, der ein Bassin mit Altöl gefüllt hat. Es erinnert an einen Spiegel, ist aber noch etwas ganz anderes, hat eine geheimnisvolle Qualität. Es geht ein Sog von diesem schwarzen Behälter aus, Energie - er ist ein Energiespeicher."

Jean Tinguely setzte auf seinen Objektkästen geometrische Formen per Motor in Bewegung, und Allan McCollum steckte schwarze Rechtecke in konventionelle Bilderrahmen und placierte sie in großer Zahl an der Wand. Entwaffnend!

Überhaupt sind in Hamburg gerade die ironischen Repliken amüsant: Rosemarie Trockel widmet dem "schwarzen Quadrat" eine Strickarbeit - und Sigmar Polke behauptet schon im Titel seines berühmten Bildes, höhere Wesen hätten ihm den Befehl erteilt, die rechte obere Ecke seines Werks schwarz zu malen.

Während Heribert C. Ottersbach akkurate schwarze Rechtecke mitten in seine gegenständlichen Gemälde gesetzt hat, wo sie eher stören. Eine Kritik an Malewitsch?

"Nein, es ist keine Kritik, sondern eher eine Form der Distanznahme. Ich glaube, wir haben zu lange die Heroisierung der Moderne betrieben - und durch die Forderung 'weniger ist mehr' haben wir in der Malerei eine Phase erlebt, in der die Malerei an den Hungerhaken gelangt ist. Es ging ja nur noch um die Frage, was alles nicht mehr möglich ist. Heute sollten wir darüber nachdenken, was alles wieder möglich ist. Und da spielen für uns Maler auch virtuelle Bildwelten, die sich über die Neuen Medien auftun, eine große Rolle."

Ernst zu nehmende kritische Impulse kommen auch von der slowenischen Künstlergruppe "Irwin". Malewitsch hatte testamentarisch verfügt, vor seinem "Schwarzen Quadrat" aufgebahrt zu werden, und seinen Sarg sollten suprematistische Symbole wie Kreis und Quadrat zieren. Die Gruppe "Irwin" hat diese Aufbahrung nachgestellt und sogar zugespitzt - und möchte so auf den dogmenhaften, ja totalitären Anspruch jener Kunst- und Gesellschaftsvorstellungen hinweisen.

Malewitsch als ambivalentes Kraftzentrum. Aber das Positive überwiegt bei weitem. Auch die längst gewohnte Treppenhausgestaltung von Gerhard Merz im Altbau mit der Reduktion auf eine klare Geometrie erscheint nun in einem neuen Licht.

Und der skandalisierte Schwarze Kubus von Gregor Schneider gewinnt eine zusätzliche Bedeutung, wird er doch ein Stück weit in die Kunstgeschichte zurückgenommen: Er wirkt nun als "Schwarzes Quadrat", das in den Raum vorgestoßen, dreidimensional geworden ist - ohne dass die religiösen Anspielungen ganz und gar verschwänden.

Von keiner muslimischen Seite ist in der Hansestadt bisher Protest gegen dieses Bauwerk erhoben worden. Dennoch darf man nach den Sicherheitsmaßnahmen fragen. Felix Krämer:

"Der Kubus ist bewacht, aber besondere Sicherheitsvorkehrungen sind nicht nötig. Es gab ja in der Vorzeit viel Aufregung, und ich habe zahlreiche E-Mails und Briefe von so genannten Islam-Kennern bekommen, in denen wir davor gewarnt wurden, diesen Kubus zu errichten. Aber es war keine kritische Stimme von muslimischer Seite dabei. Im Gegenteil, wir haben zu diesen Gemeinden eine gute Beziehung - die begrüßen sehr, dass wir das machen. Es ist nichts passiert, und ich gehe davon aus, dass es so bleibt."