Reclamheftchen fürs Amüsement

06.02.2008
Zeichnen macht glücklich, behauptet Hans Traxler in seinem Buch "Meine Klassiker - Bildergedichte". Zumindest dem Leser seiner Klassikerverballhornungen und gewitzten Reime zaubert er ein Schmunzeln aufs Gesicht. Der Mitbegründer der "Neuen Frankfurter Schule" lässt Goethe im Dichterduell mit Robert Gernhardt antreten und fragt, wohin van Goghs Ohr gelangt ist.
Ach, wenn wir damals solche Reclam-Heftchen hätten durchnehmen dürfen! Wir hatten "Wallenstein" und keinen Lehrer, der uns plausibel machen konnte, warum Sechzehnjährige sich dafür interessieren sollten. Am Ende des Schuljahrs waren alle unsere damals schmuddelweißen Heftchen mit hässlichen Zeichnungen bekritzelt. Ergebnis purer Langeweile.

Mit Hans Traxlers KLASSIKERN wäre das nie passiert! Und das liegt nicht an den heutigen lebhaft bunten Umschlägen - auch das Sonnengelb der einsprachig deutschen Ausgaben ließe sich ja trefflich beschmieren -, es liegt an Traxler. Es liegt an dem, was er mit seinen Klassikern anstellt. Bei diesen 160 Seiten Bilder-Gedichten muss einem niemand plausibel machen, warum man sich dafür interessieren soll - egal, wie alt man ist. Und Langeweile ist ein Fremdwort aus einer anderen Galaxie.

Dabei gibt's auch hier Goethe, immer wieder Goethe. Einmal gar im direkten Dichterduell mit - Robert Gernhardt! Eben! Thema sind auch Flauberts Schreibschwierigkeiten, Nietzsches Drang zur Peitsche oder die heimliche Verbindung von Dostojewski und Tolstoi. Traxler löst nebenbei etliche der drängendsten Rätsel der Kulturgeschichte, selbstverständlich nicht nur Dichter betreffende: Warum wurde Einstein Forscher statt Fiedler? Woher hat Dalí seine zerlaufenden Uhren? Wie entdeckte Marx die Vorzüge der Antithese? Wohin kam van Goghs Ohr? Warum würden Kaninchen Le Corbusier lynchen? Wie lösten Chopin und George Sand ihre mallorquiner Beziehungs- und Freud seine Peniskrise, und wie wird aus dem Ödipus-Komplex eitel Freud' (ohne Sigmund)?

Man weiß nicht, was mehr entzückt - die Bilder oder die Gedichte. Casanovas Nachtgebet etwa beginnt so:

"Müde bin ich,
gebe Ruh,
mache meine Hose zu..."


Die Zeichnungen zu diesen ganz harmlos daherkommenden Worten sind fast alle von allersparsamstem Strich, immer von punktgenauer Treffsicherheit und dennoch voller Zitate und Anspielungen: Buschs Fromme Helene, Hockneys Swimming-Pool, Walter Triers Tiere... Manchmal stellt Traxler sich selbst mit ins Bild wie im Sechsteiler "Begegnung im Watt".

Wer steigt da aus dem Wattenmeer?
Das ist doch Tomi Ungerer.
Nein! Jetzt, wo ich ihn besser seh,
erkenn ich deutlich den Sempé!
Der Nebel fällt, die Sicht wird schlechter,
ist das nicht doch der F.K. Waechter?
Moment! Moment mal! Das Gesicht!?
Nee, auch Paul Flora isses nicht!
Da schau! Die Nas! Das Paletot!
Nein, diese Freude, Herr Loriot!


Im letzten Bild verneigt sich der gezeichnete Zeichner mit dem Zeichenbrett unterm Arm vor - Loriots Knollennasenmännchen. Traxler ist ein warmherziger Porträtist, die Jagd nach der spitzesten Feder ist nicht sein Ding. Er legt Kerne frei, mit scharfem Blick, aber sein Spott kommt nie von oben herab. Er ist lebensklug oder mit einem altmodischen Wort: gewitzt. Wie sonst hätte ihm dieser Satz einfallen können, der zur verbalen Ikone der Frankfurter Schule (die er bekanntlich mitgegründet hat) werden sollte?

"Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche."

So einer darf im Anhang in seinen "10 Gründen, weshalb ich gerne zeichne" erklären: "Zeichnen macht glücklich." Und wir dürfen ihm das abnehmen, in aller Dialektik. Und uns dieses "Reclam-Heftchen" als Lehrstoff ersehnen.

Rezensiert von Pieke Biermann

Hans Traxler: Meine Klassiker - Bildergedichte
Philipp Reclam jun., Stuttgart 2008
160 S., 4 Euro (Reclams Universalbibliothek No. 18.547)