Rechtswissenschaftler: US-Grundrechte werden in Krisenzeiten ausgehebelt
Der Rechtswissenschaftler und Historiker Prof. Knud Krakau vom Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der FU Berlin kritisiert die USA für die Gefangenentransporte des Geheimdienstes CIA. Damit hebelten die Amerikaner ihr Rechtssystem aus, so seine These. Die Gefangenentransporte verstießen nicht nur gegen internationales, sondern auch gegen amerikanisches Recht, sagte Krakau am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur.
Brink: Spätestens seit bekannt geworden ist, dass die CIA eigene Gefangene auch in Europa festgesetzt haben soll, flammt fast schon reflexartig eine Diskussion in Europa auf: Wie eigenmächtig handelt die Supermacht USA? Ich begrüße jetzt im Studio Prof. Knud Krakau, Rechtswissenschaftler am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien. Warum können amerikanische Behörden ausländische Bürger festnehmen und unter Verschluss halten? Warum geht das?
Krakau: Amerikanische Behörden können natürlich im Grunde wie jeder Staat auf ihrem eigenen Territorium auch fremde Staatsbürger verhaften und festhalten, wenn sie irgendeiner Straftat verdächtig sind, das steht völlig außer Zweifel. Das Problem ist hier, dass amerikanische Behörden irgendwo in der Welt tätig geworden sind, und dort entweder selbst Leute festgenommen haben oder sie von lokalen Behörden übernommen haben und dann hin- und hergeschickt haben und unter verschärften Bedingungen gelinde gesagt verhört haben. Das ist zweifellos ein Verstoß gegen internationales Recht und das Recht der betroffenen Staaten.
Brink: Ist es auch ein Verstoß gegen amerikanische Gesetzgebung, empfinden die das genauso?
Krakau: Im Grunde ist es mit Sicherheit auch ein Verstoß gegen amerikanische Gesetzgebung, das ist ja auch ein Grund, weshalb die amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen die politischen und die Organisationen wie die ACLU, wie eben schon erwähnt, dagegen opponieren, denn der Grundrechtsschutz in Amerika ist ja mindestens so ausgeprägt im Prinzip wie in Europa oder in Deutschland. Wenn Sie die "Bill of Rights", den Grundrechtskatalog der amerikanischen Verfassung ansehen, da heißt es schlicht "no Person", keine Person, unabhängig sogar von der Staatsbürgerschaft, darf also ihrer Freiheitsrechte beraubt werden "without the process of law", also ohne ordentliches gerichts- oder rechtmäßiges Verfahren.
Brink: Gerade die Individualrechte sind doch sehr hochgehalten worden in Amerika. Immer noch.
Krakau: Werden, wurden von Beginn an und werden heute noch im Prinzip hochgehalten, nur seitdem oder in Krisensituationen immer schon, in Krisensituationen vom Ende des 18. Jahrhunderts über die beiden Weltkriege bis in die Gegenwart ist dieses Phänomen zu beobachten, dass in Krisensituationen Bürgerrechte zwar nicht von der amerikanischen Bürgerschaft insgesamt, aber von den staatlichen Instanzen in Frage gestellt und eingeengt werden im Interesse der Gewährung, Gewährleistung von Sicherheit und so weiter mit dem altbekannten Argument: Wir müssen die Bürger sichern und infolgedessen können wir mehr tun als sonst.
Brink: Das ist ja auch das Argument, was sie haben: "War on terrorism", dieses Argument benutzen sie ja, um diese Verhaftungen vornehmen zu können.
Krakau: Dieser Begriff, war on terrorism, ist ein Gummibegriff, der die Büchse der Pandora wirklich darstellt beziehungsweise sie wird geöffnet, ist geöffnet worden. Präsident Bush hat den Begriff unmittelbar nach dem 11. September verwendet, ein oder zwei Tage danach, zunächst glaube ich einfach aus Verlegenheit, weil er nicht wusste, wie man diese Situation charakterisieren sollte, aber der Präsident und die amerikanische Administration haben dann gewissermaßen Geschmack gefunden an diesem Begriff. Er ist heute also fest etabliert, weil er eine ganze Reihe von Optionsmöglichkeiten eröffnet, von denen man Gebrauch macht. Er mobilisiert die Emotionen einfach, der Appell an den Patriotismus, des "rallying around the flag" ist ein typischer, an sich ganz normaler Reflex, das Sich-Versammeln unter oder hinter der Flagge, Zusammenhalten, Patriotismus beweisen, aber mit dem extremen Ergebnis, dass also zumindest so ungefähr ein Jahr lang nach dem 11. September jede kritische Äußerung, jede Form von Dissens also als Verrat an der Sache der Sicherheit der Vereinigten Staaten diskreditiert wurde von der Administration.
Brink: Aber kann man das nicht verstehen, die Außenministerin hat ja zum Beispiel gestern auch gesagt, diese Maßnahmen retten zum Beispiel auch Leben. Damit hat sie ja diesen Fehler auch eingestanden, den Fall El Masri. Die Amerikaner befinden sich ja ihrer Interpretation nach in einem Krieg. Muss man ihnen das nicht zubilligen?
Krakau: Frau Rice hat mit dieser Formulierung natürlich ein, das zentrale Dilemma angesprochen: Geheimdienstaktivitäten und so weiter sind zweifellos notwendig, um in dieser ungewöhnlichen neuen Situation auch Leben zu retten, bloß die Kehrseite der Medaille ist, dass die Administration sich im Hinblick auf dieses Ziel auf unbegrenzte Handlungsfreiheit beruft. Der Präsident hat eine Äußerung vor vier Wochen ungefähr, aber es gibt viele dieser Arten von Äußerungen, das ist keine einmalige Sache, an der ich ihn da also festnageln will, gesagt: "Wir befinden uns im Krieg. Wir werden bedroht. Die Regierung hat die Aufgabe, die Bevölkerung zu schützen. Infolgedessen ist alles, was wir tun, im Hinblick auf dieses Ziel, hält sich im Rahmen des Rechts." Nächster Satz: "Wir foltern nicht." Ende des Zitats. Das heißt nicht, dass wir nicht foltern oder Methoden anwenden, die von anderen als Folter vielleicht qualifiziert werden könnten und nach internationalen Maßstäben, sondern das, was wir tun, ist keine Folter, weil es gedeckt ist als Rechtsmaßnahme durch das übergreifende Ziel der Sicherung, des Schutzes der Bevölkerung.
Brink: Und weil sie sagen, es ist ein Krieg. Es ist also nicht eine Polizeiaktion, sondern ein Krieg, und da gelten andere Regeln.
Krakau: Weil Krieg in der Tat Handlungsmöglichkeiten eröffnet: Man darf zerstören, man darf in erhöhtem Maße Gewalt anwenden, natürlich, aber gleichzeitig löst der Begriff Krieg und die Anwendung von Kriegsrecht eben auch begrenzende Maßnahmen aus: die internationalen Verträge für das humanitäre Kriegsvölkerrecht, die Genfer Konvention und so weiter. Und die suchen die Vereinigten Staaten nun wiederum auszuhebeln und sich von ihren Beschränkungen zu befreien, indem sie argumentieren: Einerseits können wir im Krieg viel oder alles tun, andererseits aber ist der Gegner ein diffuser, ein besonders gefährlicher, perfider Gegner, der sich an diese Regeln nicht hält, infolgedessen wird er zu einer Art von Outlaw im praktisch mittelalterlichen Sinne: Jeder kann ihn erschlagen, der ihn trifft, und für uns gelten diese Beschränkungen eben nicht und wir können alles gegen diese Menschen tun, die wir nach eigener Definition für "enemy combattance", also für nicht soldatische Krieger in diesem Terrorkrieg definieren, und sie dann wegstecken, wegschließen, unter Umständen fürs ganze Leben ohne Möglichkeit der Kontrolle durch unabhängige Instanzen, Gerichte und so weiter.
Brink: Warum unterzeichnen denn die USA zum Beispiel keine Erklärung für einen internationalen Strafgerichthof?
Krakau: Das hängt mit der uralten Tradition dessen zusammen, was man früher Isolationismus nannte - eigentlich ein ganz falscher Begriff. Das ist immer nicht so sehr Isolationismus oder Enthaltsamkeit von internationaler Politik gewesen, sondern der Wunsch, mit freien ungebundenen Händen in der internationalen Politik zu agieren und in den letzten Jahren hat sich diese Tendenz intensiviert, keinerlei oder möglichst wenig Bindungen einzugehen, möglichst frei zu sein in dem, was man für die Verwirklichung der eigenen Sicherheitsziele für notwendig hält. Denken Sie an Beispiele, gerade in diesem engeren Zusammenhang, dass die Amerikaner, dass die USA die Unterwerfungserklärung unter den allgemeinen internationalen Gerichtshof aufgekündigt haben, nachdem sie in dem Nikaragua-Fall vor einiger Zeit in gewisser Weise unterlegen waren wegen ihrer Kontrakriegführung in Nikaragua. Denken Sie daran, dass sie die Landminenkonvention, die hauptsächlich dem Schutz von Kindern dient, nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, dass sie ein Zusatzabkommen zu der Konvention über Biowaffen, die Kontrollmöglichkeiten eröffnen sollte, nicht unterzeichnet haben, um sich selbst diesen Kontrollen nicht unterwerfen zu müssen. Insofern ist das Teil einer Linie, die einen größeren Zusammenhang darstellt und im Grunde nichts Neues beinhaltet.
Krakau: Amerikanische Behörden können natürlich im Grunde wie jeder Staat auf ihrem eigenen Territorium auch fremde Staatsbürger verhaften und festhalten, wenn sie irgendeiner Straftat verdächtig sind, das steht völlig außer Zweifel. Das Problem ist hier, dass amerikanische Behörden irgendwo in der Welt tätig geworden sind, und dort entweder selbst Leute festgenommen haben oder sie von lokalen Behörden übernommen haben und dann hin- und hergeschickt haben und unter verschärften Bedingungen gelinde gesagt verhört haben. Das ist zweifellos ein Verstoß gegen internationales Recht und das Recht der betroffenen Staaten.
Brink: Ist es auch ein Verstoß gegen amerikanische Gesetzgebung, empfinden die das genauso?
Krakau: Im Grunde ist es mit Sicherheit auch ein Verstoß gegen amerikanische Gesetzgebung, das ist ja auch ein Grund, weshalb die amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen die politischen und die Organisationen wie die ACLU, wie eben schon erwähnt, dagegen opponieren, denn der Grundrechtsschutz in Amerika ist ja mindestens so ausgeprägt im Prinzip wie in Europa oder in Deutschland. Wenn Sie die "Bill of Rights", den Grundrechtskatalog der amerikanischen Verfassung ansehen, da heißt es schlicht "no Person", keine Person, unabhängig sogar von der Staatsbürgerschaft, darf also ihrer Freiheitsrechte beraubt werden "without the process of law", also ohne ordentliches gerichts- oder rechtmäßiges Verfahren.
Brink: Gerade die Individualrechte sind doch sehr hochgehalten worden in Amerika. Immer noch.
Krakau: Werden, wurden von Beginn an und werden heute noch im Prinzip hochgehalten, nur seitdem oder in Krisensituationen immer schon, in Krisensituationen vom Ende des 18. Jahrhunderts über die beiden Weltkriege bis in die Gegenwart ist dieses Phänomen zu beobachten, dass in Krisensituationen Bürgerrechte zwar nicht von der amerikanischen Bürgerschaft insgesamt, aber von den staatlichen Instanzen in Frage gestellt und eingeengt werden im Interesse der Gewährung, Gewährleistung von Sicherheit und so weiter mit dem altbekannten Argument: Wir müssen die Bürger sichern und infolgedessen können wir mehr tun als sonst.
Brink: Das ist ja auch das Argument, was sie haben: "War on terrorism", dieses Argument benutzen sie ja, um diese Verhaftungen vornehmen zu können.
Krakau: Dieser Begriff, war on terrorism, ist ein Gummibegriff, der die Büchse der Pandora wirklich darstellt beziehungsweise sie wird geöffnet, ist geöffnet worden. Präsident Bush hat den Begriff unmittelbar nach dem 11. September verwendet, ein oder zwei Tage danach, zunächst glaube ich einfach aus Verlegenheit, weil er nicht wusste, wie man diese Situation charakterisieren sollte, aber der Präsident und die amerikanische Administration haben dann gewissermaßen Geschmack gefunden an diesem Begriff. Er ist heute also fest etabliert, weil er eine ganze Reihe von Optionsmöglichkeiten eröffnet, von denen man Gebrauch macht. Er mobilisiert die Emotionen einfach, der Appell an den Patriotismus, des "rallying around the flag" ist ein typischer, an sich ganz normaler Reflex, das Sich-Versammeln unter oder hinter der Flagge, Zusammenhalten, Patriotismus beweisen, aber mit dem extremen Ergebnis, dass also zumindest so ungefähr ein Jahr lang nach dem 11. September jede kritische Äußerung, jede Form von Dissens also als Verrat an der Sache der Sicherheit der Vereinigten Staaten diskreditiert wurde von der Administration.
Brink: Aber kann man das nicht verstehen, die Außenministerin hat ja zum Beispiel gestern auch gesagt, diese Maßnahmen retten zum Beispiel auch Leben. Damit hat sie ja diesen Fehler auch eingestanden, den Fall El Masri. Die Amerikaner befinden sich ja ihrer Interpretation nach in einem Krieg. Muss man ihnen das nicht zubilligen?
Krakau: Frau Rice hat mit dieser Formulierung natürlich ein, das zentrale Dilemma angesprochen: Geheimdienstaktivitäten und so weiter sind zweifellos notwendig, um in dieser ungewöhnlichen neuen Situation auch Leben zu retten, bloß die Kehrseite der Medaille ist, dass die Administration sich im Hinblick auf dieses Ziel auf unbegrenzte Handlungsfreiheit beruft. Der Präsident hat eine Äußerung vor vier Wochen ungefähr, aber es gibt viele dieser Arten von Äußerungen, das ist keine einmalige Sache, an der ich ihn da also festnageln will, gesagt: "Wir befinden uns im Krieg. Wir werden bedroht. Die Regierung hat die Aufgabe, die Bevölkerung zu schützen. Infolgedessen ist alles, was wir tun, im Hinblick auf dieses Ziel, hält sich im Rahmen des Rechts." Nächster Satz: "Wir foltern nicht." Ende des Zitats. Das heißt nicht, dass wir nicht foltern oder Methoden anwenden, die von anderen als Folter vielleicht qualifiziert werden könnten und nach internationalen Maßstäben, sondern das, was wir tun, ist keine Folter, weil es gedeckt ist als Rechtsmaßnahme durch das übergreifende Ziel der Sicherung, des Schutzes der Bevölkerung.
Brink: Und weil sie sagen, es ist ein Krieg. Es ist also nicht eine Polizeiaktion, sondern ein Krieg, und da gelten andere Regeln.
Krakau: Weil Krieg in der Tat Handlungsmöglichkeiten eröffnet: Man darf zerstören, man darf in erhöhtem Maße Gewalt anwenden, natürlich, aber gleichzeitig löst der Begriff Krieg und die Anwendung von Kriegsrecht eben auch begrenzende Maßnahmen aus: die internationalen Verträge für das humanitäre Kriegsvölkerrecht, die Genfer Konvention und so weiter. Und die suchen die Vereinigten Staaten nun wiederum auszuhebeln und sich von ihren Beschränkungen zu befreien, indem sie argumentieren: Einerseits können wir im Krieg viel oder alles tun, andererseits aber ist der Gegner ein diffuser, ein besonders gefährlicher, perfider Gegner, der sich an diese Regeln nicht hält, infolgedessen wird er zu einer Art von Outlaw im praktisch mittelalterlichen Sinne: Jeder kann ihn erschlagen, der ihn trifft, und für uns gelten diese Beschränkungen eben nicht und wir können alles gegen diese Menschen tun, die wir nach eigener Definition für "enemy combattance", also für nicht soldatische Krieger in diesem Terrorkrieg definieren, und sie dann wegstecken, wegschließen, unter Umständen fürs ganze Leben ohne Möglichkeit der Kontrolle durch unabhängige Instanzen, Gerichte und so weiter.
Brink: Warum unterzeichnen denn die USA zum Beispiel keine Erklärung für einen internationalen Strafgerichthof?
Krakau: Das hängt mit der uralten Tradition dessen zusammen, was man früher Isolationismus nannte - eigentlich ein ganz falscher Begriff. Das ist immer nicht so sehr Isolationismus oder Enthaltsamkeit von internationaler Politik gewesen, sondern der Wunsch, mit freien ungebundenen Händen in der internationalen Politik zu agieren und in den letzten Jahren hat sich diese Tendenz intensiviert, keinerlei oder möglichst wenig Bindungen einzugehen, möglichst frei zu sein in dem, was man für die Verwirklichung der eigenen Sicherheitsziele für notwendig hält. Denken Sie an Beispiele, gerade in diesem engeren Zusammenhang, dass die Amerikaner, dass die USA die Unterwerfungserklärung unter den allgemeinen internationalen Gerichtshof aufgekündigt haben, nachdem sie in dem Nikaragua-Fall vor einiger Zeit in gewisser Weise unterlegen waren wegen ihrer Kontrakriegführung in Nikaragua. Denken Sie daran, dass sie die Landminenkonvention, die hauptsächlich dem Schutz von Kindern dient, nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, dass sie ein Zusatzabkommen zu der Konvention über Biowaffen, die Kontrollmöglichkeiten eröffnen sollte, nicht unterzeichnet haben, um sich selbst diesen Kontrollen nicht unterwerfen zu müssen. Insofern ist das Teil einer Linie, die einen größeren Zusammenhang darstellt und im Grunde nichts Neues beinhaltet.