Rechtsterroristen

"Einsame Wölfe" in einer digitalen Gesellschaft

Eine Illustration zeigt den Schattenumriss eines Mannes an einem Schreibtisch vor einem grafischen Hintergrund.
Auch wenn Rechtsterroristen als "einsame Wölfe" handeln, seien sie Teil eines "ideologischen Rudels", sagt der Politologe Florian Hartleb. © imago images / Ikon Images / Gary Waters
Von Sören Musyal · 09.03.2020
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Anschläge verübt von scheinbaren Einzeltätern: Rechtsterroristen, die nicht in Gruppen organisiert sind, stellen Politik und Polizei vor große Herausforderungen – weil sie sich in einer digital vernetzten rechtsextremen Szene selbst aktivieren.
"Es wird keine absolute Sicherheit geben können. Sicherheitsbehörden werden es nicht schaffen, einzelne Täter, einzelne sich selbst aktivierende Täter dingfest zu machen. Es ist eine Form von DIY Terrorismus", sagt Maik Fielitz, Terrorismus- und Rechtsextremismus-Experte des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft.
Neun Menschen sterben am 19. Februar in Hanau, weil sie ein rassistischer Verschwörungstheoretiker für Muslime hält – für nicht deutsch. Die Tat macht fassungslos. Nicht nur, weil Hass und Rassismus Menschenleben gekostet haben – schon wieder. Sondern auch, weil sich der Eindruck verfestigt: Gegen diese Form des Terrors sind wir machtlos.
Im Stillen radikalisiert, der Polizei oft unbekannt, morden sie unvermittelt – sogenannte Einzeltäter sind der Albtraum der Sicherheitsbehörden. Untersuchungen des "Institute für Economics & Peace" zeigen: Es werden immer mehr.
Die Zahl rechtsterroristischer Anschläge weltweit ist in den letzten fünf Jahren um 320 Prozent gestiegen. 60 Prozent dieser Attentate wurden von Personen begangen, die keinen direkten Kontakt zu rechtsextremen Organisationen oder Kadern hatten.

Schwierigkeiten beim Aufspüren rechtsextremer Gefährder

Für die Sicherheitsbehörden stellen diese allein agierenden Täter eine große Herausforderung dar. Das bestätigt auch Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, BKA:
"Wir sehen keine direkte Einwirkung von Strukturen bei diesen Tätern. Das ist ja das Schwierige. Das ist bei anderen anders, die sich gemeinschaftlich verabreden, bestimmte Taten zu begehen oder eben auch interagieren in solchen Vorbereitungen. Und insofern ist unsere Aufgabe, hier zu schauen: Wie kann man diesen Typus besser detektieren? Was enorm schwierig ist, weil sie sehr wenig interagieren. Und das wird ein Thema sein, das wir in den nächsten Jahren sehr stark intensivieren müssen."
Tatsächlich scheint es Nachholbedarf zu geben bei deutschen Sicherheitsbehörden. Der Verfassungsschutz warnt in seinen Berichten vor 12.700 gewaltorientierten Rechtsextremisten. Das BKA aber hatte im Februar 2020 gerade einmal 60 Personen als Gefährder im Fokus. Bei religiös motivierten Tätern spricht der Verfassungsschutz von gut 26.000 Gewaltbereiten. Das BKA betrachtet allerdings auch weit über 600 von ihnen als Gefährder.
Zwar können die Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren einige medienwirksame Erfolge im Bereich des Rechtsterrorismus vorweisen. "Gruppe Freital", "Revolution Chemnitz", "Old School Society", die "Gruppe S.", zuletzt der "Aryan Circle Germany". Es sind aber vor allem Gruppen, gegen die Verfassungsschutz und Polizei gewappnet zu sein scheinen.
Es sei kein Zufall, dass Erfolge vor allem gegen Gruppierungen verzeichnet werden können, meint Florian Hartleb. Der Politikwissenschaftler hat ein Buch über das Phänomen der "einsamen Wölfe" geschrieben. Über Täter, die alleine zuschlagen. Er sagt: Schon viel länger hätten Politik und Behörden sich auf Einzeltäter konzentrieren müssen.
"Wir hatten ja in Deutschland eine solche Tat am 22. Juli 2016 am OEZ in München", sagt Florian Hartleb. "Nur wurde diese Tat als unpolitisch abqualifiziert und das war eben eine Fehleinschätzung. Und mein Eindruck war eben auch, dass man sich sehr stark in Deutschland auf diesen gruppenförmigen Terrorismus konzentriert hat und diesen Einzeltäter-Terrorismus nicht ernst genommen hat."

Einsame Wölfe in einem ideologischen Rudel

Für Hartleb erfüllen die Täter von Halle und Hanau das Profil des "einsamen Wolfes". Er plädiert dafür, dass wir uns stärker mit diesem Konzept auseinandersetzen, warnt jedoch auch davor, deswegen davon auszugehen, dass die Täter alleine wären.
"Der 'einsame Wolf' bezieht sich auf die Tatausführung, was oftmals auch missverstanden wird", erläutert Florian Hartleb. "Denn natürlich sind 'einsame Wölfe' auch Kinder ihrer Zeit und Teil eines größeren ideologischen Rudels. Aber 'einsame Wölfe' sind eben nicht Teil einer klassischen Partei oder Organisation, sondern sie suchen sich ihre Netzwerke über virtuelle Räume aus."
Dieses "ideologische Rudel", wie es Hartleb nennt, lebt im Digitalen. Der Anschlag auf eine Synagoge in Halle steht in einer Reihe von Attentaten, die 2019 weltweit verübt wurden. Nach ganz ähnlichem Muster töteten Rechtsextreme in Poway, El Paso und Christchurch. Von ihnen inspiriert, kündigt der Täter von Halle seine Tat in einem Online-Forum an, streamt das Geschehen live ins Internet, damit Gleichgesinnte ihm zujubeln können.
Es bedürfe dabei keiner persönlichen Begegnungen mehr, um sich als Teil dieser Gemeinschaft zu sehen, sagt Maik Fielitz. Der Terrorismus- und Rechtsextremismus-Experte des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft meint: Gerade im Digitalen würden neue Wahrnehmungsstrukturen geschaffen, sodass man sich Gemeinschaften einbilde, in deren Namen man Gewalttaten begeht.
"Das mag für uns parasozial klingen, weil es kein direkter Austausch ist", sagt Maik Fielitz. "Aber für die Menschen, die sehr viel Zeit dort verbringen in diesen Foren ist das eben eine Form der Sozialität, die ihre Handlung prägt. Das heißt, die Leute, die diese Gewalttaten begehen, müssen nicht unbedingt die organisierten Neonazis sein, sondern die organisierten Neonazis leiten in dem Sinn die Gewalttaten an, indem sie die Vorstellung von Menschen prägen, indem sie Gewaltfantasien in den Bild- und Videoprodukten ausdrücken, die dann Gewalttaten anleiten."

Unübersichtliches Spektrum rechtsextremer Radikalisierung

Für Sicherheitsbehörden heißt das: Zu den organisierten Strukturen gewaltbereiter Extremisten gesellt sich ein unüberschaubares Spektrum von Menschen, das Gefahr läuft, durch Verschwörungstheorien, Memes oder extreme Propaganda radikalisiert zu werden.
Auch deshalb will das BKA das Analysetool "Radar" künftig nicht nur im Islamismus einsetzen, sondern auch im Bereich des Rechtsextremismus. Mit "Radar" können Biografien von Menschen analysiert und einer Risikoskala zugeordnet werden. Gefährder sollen so schneller identifiziert werden können.
Doch die Übertragung auf Rechtsextremisten ist nicht so leicht, so Münch vom BKA: "Es geht darum, das Risiko, das von radikalisierten Gewalttätern, besser einschätzen zu können. Und die Anpassungsleistung ist deshalb nicht gering, weil wir eben schauen müssen, was ist in den Biografien rechts anders, was sie gefährlich macht, als bei einem Islamisten. Zum Beispiel ist eine Dschihad-Reise natürlich nichts, woran man sich orientieren kann. Insofern wird es einige Monate dauern. Wir müssen diese Biografien von rechten Gewalttätern stärker aufbereiten. Wir machen das quasi beim Gehen. Wir sind jetzt schon dabei, Fachkonferenzen durchzuführen, die wir mit Biografien der Täter vorbereiten. Und das nutzen wir gleichzeitig für die Entwicklung von 'Radar'."
Bis Mitte 2021 soll es dauern, bis "Radar" auch den Landeskriminalämtern zur Verfügung gestellt werden kann.
Und die Politik? Andrea Lindholz, Vorsitzende des Innenausschusses und CSU-Mitglied, ist die Stärkung des Verfassungsschutzes ein wichtiges Anliegen:
"Wir arbeiten auch gerade am Verfassungsschutzgesetz, mit dem wir dem Verfassungsschutz auch die Möglichkeit geben wollen, Personen schon früher im Netz ins Blickfeld nehmen zu können. Ähnliche Befugnisse, wie sie das BKA hat, aber das BKA ist Strafverfolgungsbehörde – da muss erst etwas passiert sein, Verfassungsschutz ist noch eine präventive Vorstufe."

Ist stärkere Überwachung einzelner die Lösung?

Im Grunde heißt das: präventive Online-Überwachung. Bisher gebe es für den Verfassungsschutz nicht die Möglichkeit, IP-Adressen zu erfragen oder auch dann aktiv zu werden, wenn nur Einzelpersonen auffällig würden, so Lindholz. Das solle sich nun ändern.
Doch löst die stärkere Überwachung einzelner die Probleme? Wohl nicht. Zwar handelten Täter zunächst allein, sagt Terrorexperte Fielitz. Doch seien es vor allem die Online-Gemeinschaften und ihre Eigendynamiken, die solche Taten ermöglichten.
"Ich glaube, das ist in den Sicherheitsbehörden noch nicht wirklich angekommen", sagt Maik Fielitz. "Die verselbständigende Wirkung solcher Communities, die eben ein ganz neues Handlungsfeld auch eröffnen."
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