Rechtsterrorismus

Leben in ständiger Angst

07:24 Minuten
Eine Frau schaut durch eine Gardine hinaus.
Die Verfasser der Drohbriefe kennen die Meldeadresse der Journalistin. Seitdem fühlt sie sich nicht mehr sicher. (Symbolbild) © imago / Olaf Döring
Von Dena Kelishadi · 19.08.2019
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Das Bundeskriminalamt muss die von der rechtsextremen Gruppe Nordkreuz verfassten Todeslisten nicht veröffentlichen, hat ein Verwaltungsgericht entschieden. Eine Journalistin erhielt einen Drohbrief und befürchtet, dass sie auf solch einer Liste steht.
Am Tag des Interviews will Gamze Dalaman, die eigentlich anders heißt, den Termin noch abblasen. Am Ende kommt sie doch. Also setzen wir uns wie vereinbart in das Café eines urbanen Nachbarschaftsgartens in einem Viertel, in dem viele Einwanderer wohnen, und sprechen miteinander. Alles, was Rückschlüsse auf ihre Identität zulassen könnte, darf in diesem Beitrag nicht vorkommen. Ihre O-Töne lassen wir nachsprechen.
Gamze Dalaman und zwei ihrer Angehörigen sollen ermordet werden. Das stand auf einem Drohbrief, unterschrieben mit NSU 2.0 und mit Hakenkreuzen versehen. Das weiß sie von der Polizei, sie haben sie darüber informiert. Die Verfasser würden auch ihre Meldeadresse und ihr Geburtsdatum kennen. Obwohl sie ihre Melderegisterauskunft wegen der Bedrohungen, die sie seit mehreren Jahren als Journalistin bekommt, hat sperren lassen. Außerdem hatten sie die kompletten Daten ihrer Angehörigen, sagt sie. Ob das Geschwister, Eltern oder Freunde sind, will sie nicht preisgeben. Sie fürchtet, es könnte sie noch mehr in die Schusslinie bringen.
"Nur dass du Bescheid weißt, also, deswegen mache ich es so ein bisschen vage, weil ich weiß nicht, wie viele Drohbriefe die geschrieben haben."

Viele Fragen bleiben offen

Während Gamze Dalaman das sagt, schaut sie immer wieder zum Nebentisch, stellt sicher, dass niemand mithören kann. "Bin ich in Gefahr?" – Diese Frage beschäftigt Gamze Dalaman permanent, seitdem sie die Nachricht der Polizei erhalten hat. Allerdings erst über Umwege:
"Nicht ich, sondern meine Angehörigen haben zuerst davon erfahren. Sie haben mich dann gefragt, ob die Polizei schon bei mir war. Ich wollte sofort wissen, was los ist. Die haben dann erstmal rumgedruckst. Dann habe ich panisch versucht den Polizeibeamten zu erreichen, der meine Angehörigen informiert hat, hab ihn aber erstmal nicht erreicht. Also saß ich dann zwei Stunden lang da, in meiner Küche, mit einer großen Ungewissheit, denn viele Details hatten die Angehörigen nicht, die waren selber alarmiert und von der Situation völlig überfordert."
Irgendwann erreicht sie den Polizeibeamten endlich. Es ist ein kurzes Telefonat. Gamze Dalaman steht unter Schock. Erst später fallen ihr weitere Fragen ein.
"Die Polizei hat mir nicht gesagt, ob das jetzt bei einer Hausdurchsuchung oder Razzia gefunden wurde, oder ob das Schreiben im Polizeidrucker rumlag! Ich weiß auch nicht, von wann dieser Brief ist. Mir wurde nur gesagt, dass sie verpflichtet sind, mich zu informieren."
Die Polizei teilte Gamze Dalaman mit, dass das Schreiben unbedenklich sei, da sehr viele Leute darin adressiert wurden. Es könne einfach eine Einschüchterung sein. Für sie klingt das leichtfertig. Sie nimmt die Morddrohung sehr ernst.
"Ich habe überlegt, ob ich umziehen sollte. Bloß wie würde ich sicherstellen, dass sie nicht wieder meine neue Adresse rausfinden? Ich dachte auch ans Auswandern, in ein Land mit dem die internationalen Neonazi-Netzwerken nicht verknüpft sind, Thailand vielleicht."

Der Polizei traut der Journalistin nicht

Vor allem eine Frage drängt sich ihr auf: Wie haben sie ihre Adresse, wenn sie eine Melderegistersperre hat? Sie wählt wieder die Nummer der Polizei. Doch die Beamten am anderen Ende der Leitung wiegeln ihre Nachfragen ab. Das örtliche LKA hat die Informationen nur von Kollegen weitergeleitet bekommen. Aus welchen Bundesländern die Auskünfte kamen, will Gamze Dalaman der Öffentlichkeit nicht verraten.
"Polizisten waren selber nicht gut informiert. Sie haben mir gesagt, selbst wenn sie es genauer wüssten, dürften sie mir nichts verraten, weil das die Ermittlungen behindern könnte. Ich bezweifle, dass überhaupt ermittelt wird. Ich fühle mich nicht geschützt, allein schon wegen dieser Relativierung und auch dadurch, dass so getan wird, als wäre es unwahrscheinlich, dass rechte Leute militant werden. Wenn fast täglich in den Medien von einem Fall von rechter Gewalt berichtet wird, finde ich das einfach katastrophal und da merkt man einfach auch, für wen die Polizei ist und für wen nicht. Die Polizei ist da, um den Staat zu schützen und nicht die Leute, vor allen Dingen nicht die Leute, die von Rassismus betroffen sind. Zumindest hat sie das schon bei den Opfern des NSU nicht getan und das tut sie auch wieder nicht."
Gamze Dalamans Vertrauen in die Sicherheitsbehörden ist schon seit Längerem erschüttert. Sie befasst sich seit Jahren intensiv mit Rechtsextremismus, tauscht sich unter anderem mit Aktivisten aus. Sie berichten ihr, die Polizei sehe bei Angriffen von rechts bewusst weg, tue nichts oder handle selber rassistisch. Hinzu kommt, dass Verbindungen zwischen rechtsextremen Aktivitäten und Vorfällen in deutschen Polizeibehörden derzeit wieder kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
"Die Polizei ist für mich kein Ansprechpartner. Ich habe einfach gemerkt, wie inkompetent die sind. Klar, bei manchen Dingen muss man sie informieren, bei Einbruch, damit das festgehalten wird für die Versicherungen. Aber wenn ich einen Hinweis finden würde, der zu dem Täter führt, würde ich damit nicht zur Polizei gehen, sondern eher zu linken Recherche-Netzwerken."

Ihre Freunde geben ihr Kraft

Am Hals der jungen Journalistin hängt eine Smartphone-Kordel. Sie nimmt ihr Handy, öffnet eine Hassnachricht, in der ihr eine tödliche Krankheit gewünscht wird und zeigt sie mir. Sie möchte auch hier nicht den genauen Wortlaut teilen. Ähnliche Kommentare kriege sie ständig und auch schon länger. Das alles habe dazu geführt, dass sie Meldungen in den Nachrichten über Neonazis nicht mehr ertrage.
"Jedes Mal, wenn ich irgendwas über Neonazis höre, muss ich das sofort auf mich beziehen. Als in Mecklenburg-Vorpommern 'Prepper' versucht haben 200 Leichensäcke zu bestellen, habe ich zu meinen Freunden gesagt: Leute, falls ich verschwinden sollte, bin ich nicht abgehauen!"
Ihre Freunde geben ihr Kraft. Ein Angriff auf eine von uns, ist ein Angriff auf uns alle, beteuern sie. In Therapie sei sie ohnehin, dort könne sie das Erlebte auch besprechen.
"Es ist es sehr schwer im Moment zu bleiben. Ich kiffe viel, ehrlich gesagt, um zu vergessen. Es braucht nur eine Überschrift und ich bin wieder in diesem Gedankenstrudel. Ich fühle mich auf dem Sprung, denke mir, wenn ich in zwei Jahren das Land verlassen sollte, spielt es dann überhaupt noch eine Rolle, ob ich die Mieterhöhung unterschreibe oder nicht. Ich versuche, trotzdem an den schönen Dingen im Leben festzuhalten."

"Eine Art Kapitualtion"

Fest steht für die Journalistin auch, dass sie weiterhin schreiben wird, aber mit der Polemik in ihren Texten in Zukunft sparsamer sein will und politischen Themen vorerst lieber aus dem Weg geht.
"Es ist natürlich eine Art Kapitulation, aber wenn man sich dadurch sicherer fühlt, soll man das auch machen".
Von der Polizei erhofft sie sich nicht viel. Sie seufzt. Aber der Staat könnte mehr tun, um Menschen wie Gamze Dalaman zu unterstützen. Zwei Maßnahmen fallen ihr ein:
"Ich würde mir zum Beispiel Geld wünschen, mit dem ich mir einen Personenschutz leisten kann. Oder dass sie mir anbieten: Du kannst auf unbestimmte Zeit eine andere Wohnung bekommen. Ich möchte aber nicht von Polizisten geschützt werden."
Gamze Dalaman hat das Gespräch aufgewühlt. Sie wirkt nachdenklich, muss sich jetzt erstmal erholen. Vielleicht war genau diese tiefe Verunsicherung die Absicht hinter der Morddrohung. Auch deshalb nimmt sie sich vor, der Angst zu trotzen und sich nicht einschüchtern zu lassen.
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