Rechtsstreit

Ärger in der Backstube

Von Ernst-Ludwig von Aster  · 22.02.2014
Über Jahrzehnte haben etliche deutsche Bäcker "Schlesischen Streuselkuchen" verkauft. Seitdem der Kuchen als regionaltypische Spezialität in der EU geschützt wurde, kämpfen sie um ihr Produkt - auch an der polnischen Grenze.
Michael Tschirch grüßt die Kunden, lässt den Blick kurz über die Auslage schweifen: "Liegnitzer Bomben", "Alte Schlesier", Brot und Kuchen: Alles noch ausreichend da.
"Den Betrieb gibt es in der vierten Generation, wir haben jetzt 120 Jahre und in der Region hat man generell immer den Schlesischen Streuselkuchen gebacken."
Der Bäckermeister greift zu seiner großen Tasse, macht sich einen Ingwer Tee. Er blickt durch das große Fenster nach Osten. Drüben hinter der Baumreihe beginnt Polen. "Der Schlesien-Bäcker", nennt sich Michael Tschirch. Wegen der Rezepte. Und der Region. Denn zu Preussens Zeiten gehörte die zu Schlesien, genauer zu Niederschlesien. Tschirch nimmt die Tasse und geht in die Backstube. Zehn Männer und Frauen kneten, streuseln, backen.
"Hier liegt schon mal eine Schüssel mit geschätzten 20 Kilo Buttersteusel."
Am Metalltisch steht Samuel, der polnische Auszubildende mit seiner deutschen Kollegin. Beide drücken Butterstreusel. Dann zum Schluss wirklich so andrücken, das der Streusel möglichst beim Kunden landet und nicht auf dem Blech. Da machst du ein bisschen zu groß. Samuel drückt kleiner, Tschirch nickt zufrieden
"Das wird Streuselkuchen, Butterstreuselkuchen, in der Region eigentlich schlesisch, aber ..."
Tschirch verzieht das Gesicht. Als ob er sich am Ingwer-Tee verbrüht hätte. Doch ihm drückt die Sache mit dem Streuselkuchen auf den Magen. Der bullige Bäckermeister geht nach nebenan, ins Büro. Knallgelb leuchtet ein Ordner im Regal:
"Wir haben die extra schon gelb markiert, also Schlesien, einen Ordner, einen Streuselkuchenordner."
Das Streuselkuchendrama. Es beginnt mit einer Mail vom Zentralbäckerverband. Da steht, dass sich polnische Kollegen den Begriff "Schlesischer Streuselkuchen" haben schützen lassen, als regionale Spezialität, EU-weit.
"Und jetzt stehen alle da und wissen nicht, wie kriegen wir das alles wieder geregelt. Aber nun ist es in allen möglichen Parlamenten und jetzt ist es in Brüssel gelandet."
Deutsch-polnische Gespräche über Streuselkuchen
Und in Luxemburg: Beim Europäischen Gerichtshof. Der deutsche Bäckerverband klagt gegen die Eintragung. Doch ein Urteil lässt auf sich warten. Damit er keinen Ärger kriegt, ist für Michael Tschirch erstmal Schluss mit Schlesisch.
"Der heißt jetzt bei mir im Laden Butterdrückstreuselkuchen. Das ist eigentlich ein verflixt langer und auch ein bisschen blöder Name."
Der Bäckermeister nimmt noch einen Schluck Ingwertee. Klappt den Ordner zu. Schüttelt den Kopf. Er kann sich das alles nicht erklären.
Dass es vielleicht sogar nur ein Übersetzungsfehler ist, das wäre natürlich schön, wenn man das also das ersteimal im Ursprung an ´nem kleinen Tisch bei ´ner Tasse Kaffee klärt, ob es wirklich so ist.
In Zgorcelez, drüben auf der anderen Neisse-Seite, sitzt ein deutsch-polnisches Trio bei Kaffee und Kuchen in einer Konditorei. Carolina, Harmut Heinze und Sigwarth Thürmer treffen sich jede Woche zum Sprachkurs, praktizieren deutsch-polnische Verständigung. Heute in Sachen Streuselkuchen.
"Dann habe ich hier die EU-Verordnung in deutsch, polnisch und englisch."
EU-Schriftstück C 299/7. Fünf Seiten.
"Wobei die EU-Verordnungen in polnisch und englisch identisch sind, in der deutschen Verordnung steckt eine Unrichtigkeit drin."
Der Finger des pensionierten Informatikprofessors gleitet zu Punkt 3.2., der Beschreibung des geschützten Produkts: "Kolocz slaski" oder "Kolacz slaski" steht in der polnischen und englischen Fassung. Auf Deutsch aber steht "Der schlesische Streuselkuchen Kolocz slaski oder Kolacz slanki." Thürmer schüttelt den Kopf. Der Zusatz vor dem Kolocz oder Kolacz macht den Unterschied, der Zusatz: "Schlesischer Streuselkuchen". Und der kommt, so steht es unter Punkt 4, originär aus dem ehemaligen Oberschlesien.
Die "Liegnitzer Bombe" und die "Alten Schlesier"
"Das ist nicht erlaubt Kolacz Slonski hier zu verkaufen, auch in Zgorzelec, weil es halt Niederschlesien ist, dolne slonsk."
Also herrscht Schlesisches-Streuselkuchen-Verbot theoretisch auch hier, in diesem Kaffee in Niederschlesien. Hartmut Heinze und Sigwart Thürmer beugen sich über ihr Kuchenstück. Oben Streusel, drei Schichten.
"Too jest kolatsch"
Eindeutig Kolac sagt Thürmer. Hartmut Heinze schluckt, genießt. Und stutzt.

"Aber du sagtest doch dieser Kuchen darf hier nicht so genannt werden, also wenn sie die Kolatsch herstellen in Niederschlesien, dürfen sie ihn nicht so nennen. Dann ist das ja doch ein Problem."
Schulterzucken in der Runde. Carolina lacht. Die Verwirrung ist komplett. In seiner Bäckerei auf der anderen Neisse-Seite blickt Bäckermeister Tschirch auf den Boden seiner großen Tasse.
"Mein Stand ist nur Hände und Füße stillhalten und warten, was da in Brüssel und Europa entschieden wird."
Ob nun sein Butterdrückstreuselkuchen bald wieder Schlesischer Streuselkuchen heißen darf oder nicht. Die "Liegnitzer Bombe" und die "Alten Schlesier" jedenfalls heißen bei ihm weiter so. Und den Namen "Alte Schlesier", den kann ihm auch keiner nehmen. Das weiß er genau.
"Das wollte ich mir eintragen lassen, wurde mir aber nicht gestattet, weil ich damit eine Volksgruppe diskriminieren würde oder könnte. Wenn ich es nicht eintragen lassen kann, dann kann es auch kein anderer machen."
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