Rechtsruck in Polen

Die Angst vor einem Kulturkampf in Breslau

Blick über Breslau
Blick über Breslau © dpa/picture alliance/Forum Marek Maruszak
Von Markus Nowak |
Der Countdown für Breslau läuft: Die Stadt trägt 2016 neben San Sebastián in Spanien den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt. Eigentlich wäre das ein Grund zum Feiern. Doch seit den Neuwahlen hat sich die Stimmung gewandelt.
In der alten Breslauer Eisenbahn-Ausbesserungshalle geht es laut zu. Wo einst die Lokomotiven instandgesetzt wurden, üben derzeit Performance-Künstler: In einer Ecke wird jongliert, gleich daneben trainiert eine Capoeira-Gruppe neue Schritte, in der Mitte üben drei junge Musiker an einem Synthesizer. Über allem hat Chris Baldwin die Kontrolle:
"Meine Idee ist es, vier verschiedene Geister in vier Teilen von Breslau erwachen zu lassen. Dann machen sich die Geister auf den Weg ins Stadtzentrum. Nach drei Stunden treffen sie aufeinander und erzählen sie eine gemeinsame Geschichte."
Baldwin verantwortet als einer von neun Kuratoren des Kulturhauptstadtprogramms Wroclaw 2016 die Eröffnungszeremonie. Der Brite war engagiert worden, da er schon bei den Olympischen Spielen in London 2012 Ideengeber einiger Performances war.
"Ich persönlich habe hier bislang nur Zuspruch erhalten für meine Arbeit. Diesen Sommer hatten wir schon eine Performance und es kamen ausende Besucher. Wir alle feierten die polnisch-, deutsche- und tschechische Identität Breslaus."
"Wir haben so etwas wie einen Kulturkampf in Polen"
Mit einer multikulturellen Identität und Weltoffenheit – so will sich Breslau als Europäische Kulturhauptstadt präsentieren. Doch nach dem Wahlsieg der konservativen PiS-Partei bei den Parlamentswahlen im Herbst sei die Stimmung gekippt, beobachtet etwa die Breslauer Journalistin Katarzyna Kaczorowska.
"Wir haben so etwas wie einen Kulturkampf in Polen. Und dieser dreht sich auch um die Kirche. Da gibt es auf der einen Seite überhitzte Aktivisten. Das was und wie sie von sich geben wird gegen sie verwendet. Ich würde es so bezeichnen, die Atmosphäre ist sehr angespannt."
Erst vor wenigen Tagen versuchten erzkatholische Demonstranten in einem Breslauer Theater die Aufführung von Elfriede Jelineks "Der Tod und das Mädchen" zu blockieren. Auch der neue Kulturminister aus den Reihen der PiS, Piotr Glinski, versuchte das Stück zu verhindern. Angeblich weil sexuelle Handlungen auf der Bühne geplant waren. Die Angst geht um in der Kulturszene Breslaus, beobachtet die Kulturjournalistin Malgorzata Matuszewska.
"Das war ein typischer Fall einer vorauseilenden Zensur. Es war der erste Versuch der Einflussnahme in einem Theater seit der Unabhängigkeit. Das zeugt doch von etwas: Von der Wiederkehr des Totalitarismus. Auch innerhalb meines Freundeskreises empfinden viele eine Angst. Angst vor der Beschränkung der Meinungsfreiheit."
"Die Kunst entwickelt sich am besten in repressiven Systemen"
Von Beschränkung der Medienfreiheit zu reden oder politischer Einflussnahme auf die Kunst war in einem Land wie Polen, das die Solidarność hervorgebracht hat, vor diesem Herbst noch undenkbar. Doch nach dem Wahlsieg der konservativen Kaczynski-Partei, die mit Ungarns Viktor Orbán sympathisiert, hat sich der Wind gedreht. Das Kulturministerium in Warschau spricht etwa davon, "nationale Medien" zu schaffen oder vermehrt "patriotische Filme" in Auftrag zu geben. Auch in Breslau ist der neue Wind zu spüren, sagt die Kuratorin Daniela Szymczak.
"Wenn man sich die Ankündigungen anhört, dann bekommt man es mit der Angst zu tun. Für Institutionen, die staatliche Zuschüsse erhalten, bedeutet das künftig vielleicht nicht eine inhaltliche Zensur. Aber zumindest eine Kürzung von Fördergeldern, um etwas zu erreichen. Ich hoffe aber, das alles ist nur ein Sturm im Wasserglas."
Auch wenn vieles nur Ankündigungen bleiben wird. Die Ereignisse seitdem politischen Wechsel in Warschau liegen wie ein Schatten über Breslau, der Kulturhauptstadt 2016. Bislang geht niemand von einer Einflussnahme Warschaus auf das Programm aus. Und da wären die Lehren aus der Geschichte, erinnert die Breslauer Journalistin Katarzyna Kaczorowska.
"Wir sind in einer Übergangszeit. Aber es ist ja eigentlich so, dass sich die Kunst am besten in repressiven Systemen entwickelt. Polen brachte im Kommunismus ausgezeichnete Künstler hervor und hervorragende Film. Formal gab es aber eine Zensur."
Ausgezeichnete Kunst trotz oder wegen der Zensur? Wie auch immer, es klingt wenig erstrebenswert. Und so bleibt die Hoffnung der Kulturschaffenden, dass sich ihre bislang noch diffusen Befürchtungen nicht bewahrheiten. Denn sie wollen keinen Kulturkampf in Breslau, der Kulturhauptstadt 2016.
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