Rechtsextreme Netzwerke in MV

Politik und Behörden unterwandert?

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Das Bild zeigt Männer mit kahlgeschorenen Köpfe und schwarzen T-Shirts. Auf einem steht: Weißer, arischer Widerstand.
Netzwerke von Rechtsextremisten haben Verbindungen zu staatlichen Organen von Mecklenburg-Vorpommern, so die Recherche von Journalist Jörg Köpke. © picture alliance / dpa / Stefan Sauer
Jörg Köpke im Gespräch mit Susanne Arlt · 31.08.2021
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Es sind schwere Vorwürfe, die der Journalist Jörg Köpke in seinem Buch "Unterwandert" erhebt. Rechtsextremisten unterhalten Netzwerke in die Politik und viele würden dort wegschauen, sagt er. Die Spuren führen immer wieder nach Mecklenburg-Vorpommern.
Seit mehr als 20 Jahren geben die Sozialdemokraten den Ton in der Staatskanzlei von Mecklenburg-Vorpommern an. Vieles wurde in diesen Jahren erreicht, doch einiges ist auch liegen geblieben oder wurde vielleicht ganz bewusst von der Politik ignoriert. Es geht um Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. Der Journalist Jörg Köpke ist jedenfalls der Meinung, auf diesem Gebiet wurde viel zu viel versäumt – von der Politik, vom Verfassungsschutz, von Polizei und Justiz.

Susanne Arlt: Sie waren Chefkorrespondent der "Ostsee-Zeitung", haben viel zum Thema Rechtsextremismus recherchiert und sind dabei immer wieder auf das Land Mecklenburg-Vorpommern gestoßen. In Ihrem Buch greifen Sie die Große Koalition in Schwerin scharf an - sie hätte nicht genug unternommen, um den "braunen Ungeist" zu bekämpfen. Woran machen Sie fest, dass Rot-Schwarz im Kampf gegen rechtsextreme Netzwerke versagt hat?
Jörg Köpke: Ich bin ja nach meiner Zeit in Mecklenburg-Vorpommern in die bundespolitische Berichterstattung gewechselt. Wie Sie richtig sagen, habe ich mich mit Rechtsextremismus befasst, auch mit Geheimdiensten und dergleichen. Und ich bin, das haben Sie auch angesprochen, immer wieder in Mecklenburg-Vorpommern gelandet. Warum?
Wir alle erinnern uns an den Fall Franco A. [AUDIO] , also an den Bundeswehroffizier, der im Gewand eines Syrers wohl offenkundig vorhatte, Terroranschläge zu verüben. Und um diesen Fall habe ich mich selbstverständlich auch in der Berichterstattung gekümmert. Und ich bin dann über die Ermittlung auch der Bundesanwaltschaft, des Bundeskriminalamtes immer wieder in Mecklenburg-Vorpommern gelandet. Warum? Weil eben auch im Telegram-Chat, also in konspirativen Chats, die sich mit diesem Fall befassten, die Spuren immer wieder nach Mecklenburg-Vorpommern führten – zu unterschiedlichen Netzwerken.

Vorbereitungen für den "Tag X"

Vor allen Dingen führte die Spur zu Nordkreuz, einem konspirativen Chat, eine Gruppe, die sich zusammensetzte entweder aus noch aktiven Elitesoldaten, Polizisten, Reservisten, sprich auch Waffenträgern, die sich auf einen sogenannten "Tag X" vorbereitet haben, an dem sie eben die bestehende Ordnung umstürzen wollten.
Vermummte Rechtsextreme zeigen die Reichskriegsflagge. Darunter steht: Das System ist am Ende, wir sind die Wende.
Rechtsextremisten träumen vom Umsturz des politischen Systems und bereiten sich auf einen "Tag X" vor.© Imago / Future Image
Zu diesem Zweck sind auch schon Leichensäcke und Löschkalk bestellt worden. Also überhaupt nicht lustig. Die Bundesanwaltschaft führt das Ganze, das ist vielleicht auch interessant, unter einem einzigen Aktenzeichen. Sowohl der Fall Franco A. als auch Nordkreuz als auch Uniter, ein anderes Netzwerk, was vielleicht auch bekannt ist, wird von der Bundesanwaltschaft unter einem Aktenzeichen geführt. Insofern können Sie sehen, das ist eine große Geschichte, und Wurzeln und Ableger führen immer wieder nach Mecklenburg-Vorpommern.

Tausende Schuss Munition abgezweigt

Arlt: Wenn wir jetzt mal bei dieser rechtsextremen Gruppe Nordkreuz bleiben, da war ja auch Frank T. Mitglied, der einen Schießstand betrieb, auf dem wohl auch viele Polizeibeamte damals trainiert haben. Dort kaufte sich auch der frühere CDU-Innenminister Lorenz Caffier laut eigener Aussage eine Waffe. Das hat er später dann auch eingeräumt und musste dann im vergangenen Jahr zurücktreten. Was steckt denn da eigentlich dahinter?
Köpke: Das ist eine sehr spannende Geschichte, die Sie ansprechen. Erstens, ob es tatsächlich ein Waffenkauf war oder ein Geschenk, das prüft derzeit die Staatsanwaltschaft in Rostock, die in der vergangenen Woche Ermittlungen aufgenommen hat gegen den früheren Innenminister Caffier.
Was dahintersteckt, ist, dass derjenige, der Nordkreuz geführt hat, ein gewisser Marco G., der eben auch regelmäßig auf diesem Platz Schießtrainings absolviert hat, auch eng verbandelt gewesen ist mit Frank T., der im Übrigen auch selbst Mitglied beim Nordkreuz gewesen ist.
Und während dieser Schießübungen sind Tausende Schuss Munition abgezweigt worden für die Vorbereitung auf diesen Tag X. Es sind Waffenlager angelegt worden. Und das alles unter den Augen der Landespolizei, denn die hatte das organisiert, und Schirmherr war Herr Caffier. Das muss man wissen, um das einfach zu verstehen.

Schießplatz spielt entscheidende Rolle

Und wenn dann herauskommt irgendwann, dass Herr Caffier eine Glock 19, also eine Waffe, von diesem Frank T., also aus dem Umfeld von Nordkreuz bezogen hat, dann hat das nicht nur ein gewisses Geschmäckle, sondern das ist tatsächlich sehr, sehr anrüchig vermutlich.
Natürlich gilt die Unschuldsvermutung, das alles muss erst mal noch eingehend untersucht werden, aber wir merken vielleicht, in welchem Dunstkreis und in welchem Umfeld wir uns hier bewegen. Nordkreuz und dieser Schießplatz und Frank T. spielen eine ganz, ganz entscheidende Rolle in den Vorbereitungen auf den sogenannten Tag X.
Und Herr Caffier hat eben durch seine Schirmherrschaft für gewisse Schießtrainings der sogenannten Baltic Shooters auch eine gewisse Verantwortung getragen. Und das ist schon ein Unterschied, ob man hier eine Waffe bezieht oder einfach ins Geschäft geht. Ich sage bewusst beziehen, denn es kann sich sogar um ein Geschenk gehandelt haben, die Staatsanwaltschaft in Rostock nennt das Ganze "Klimapflege", was auch immer darunter zu verstehen ist. Es geht eben um den Verdacht der Vorteilsnahme im rechten Milieu, also kein Kavaliersdelikt.
Innenminister Caffier steht vor Mikrofonen und Kameras bei einer Pressekonferenz.
Innenminister Caffier äußert sich bei einer Pressekonferenz zu dem Verdacht, dass drei SEK-Beamte Munition beiseitegeschafft haben sollen.© picture alliance / dpa / Bodo Marks
Arlt: Ich habe auch den Eindruck, Sie mussten erst das Land verlassen, in die Hauptstadt gehen, um eigentlich dann zu recherchieren, was in Ihrem Bundesland so alles passiert. Was ist denn Ihr Eindruck, wer am intensivsten versucht, diese ganzen Informationen unter der Decke zu halten?
Köpke: Wenn Sie dann feststellen, dass einige Mitglieder von Nordkreuz aktive CDU-Mitglieder sind, könnte das zumindest, aber das ist eine Vermutung, auch ein Anlass dafür gewesen sein, warum versucht wurde, das Ganze so ein bisschen über Jahre unter der Decke zu halten. Und genau das ist ja auch passiert.
Der Verfassungsschutz hat viele Informationen im Land, in Schwerin auch zusammengetragen, hat aber nicht entsprechend seiner Verpflichtung, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, dann auch die entsprechenden Gremien im Parlament informiert, sondern hat das Ganze versucht, unter der Decke zu halten, um den Minister zu schützen. Das ist zumindest meine Ansicht. Und der Minister war ja jahrelang eben auch CDU-Parteivorsitzender, also Landesvorsitzender. Ich glaube, dass das eine große Rolle spielt, die nicht unterschätzt werden darf.

Hochgradig unangenehm

Und dann sind wir bei der Gesamtverantwortung der Landesregierung, die, wie Sie sagten, seit 15 Jahren eigentlich eine SPD-geführte Große Koalition ist, da hat dann auch die SPD weggeschaut. Denn auch bei den Schießtrainings von Nordkreuz auf dem besagten Schießplatz waren auch SPD-verbandelte Leute mit dabei, die da auch eine große Verantwortung gespielt haben.
Es war allen irgendwann nur noch hochgradig unangenehm. Deswegen wurde der Verfassungsschutz nicht zu einem Behüter und Schützer der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern zu einem Behüter und Schützer des Ministers und derjenigen, die dort vielleicht an falscher Stelle falsche Verantwortung übernommen hatten.
Arlt: Die SPD haben Sie gerade angesprochen, Caffier musste dann nach 14 Jahren im Amt gehen, als er dann aber ging, hat Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, SPD-Frau, sein Engagement gelobt, er habe ja 30 Jahre lang Mecklenburg-Vorpommern mit aufgebaut. Wie haben Sie damals diese Worte, diesen Abschied für ihn empfunden?
Ministerpräsidentin Schwesig und Innenminister Caffier unterhalten sich an einem Sitzungstisch.
Ministerpräsidentin Schwesig hatte Innenminister Caffier zu mehr Aufklärung drängen sollen, fordert Journalist Köpke.© picture alliance / dpa-Zentralbild / Jens Büttner
Köpke: Nun, ich kenne Herrn Caffier persönlich auch schon sehr, sehr lange, seit mehr als 15 Jahren. Ich habe ihn als einen sehr honorigen Menschen kennengelernt und als einen Politiker, der mit Verve seinerzeit auch das NPD-Verbotsverfahren betrieben hat. Das darf nicht vergessen werden. Herrn Caffier jetzt einseitig in die rechte Ecke stellen zu wollen, das wäre verkehrt und würde die Geschichte auch in unzulässiger Weise verkürzen.
Aber – und das muss man ihm wirklich ankreiden – er hat eben hier an der einen oder anderen Stelle nicht dafür gesorgt, dass ausreichend Transparenz geschaffen wurde, dass an die ganzen dicken Blasen, die sich da unter dem Teppich gebildet hatten, dass da irgendwann mal Luft reinkommt und man die ganzen Fälle vom NSU über Nordkreuz bis hin zu anderen rechtsextremen Netzwerken, dass das Ganze wirklich mal aufgeklärt und beleuchtet wird.

Keine Aufklärung eingefordert

Und vor dem Hintergrund, muss man natürlich sagen, ist die Bemerkung von Frau Schwesig dann doch sehr, sehr einseitig gewesen. Ich hätte mir von Frau Schwesig viel klarer und viel früher gewünscht, dass sie das Innenministerium in Schwerin nicht nur als Bad Bank für rechtsextreme Netzwerke betrachtet, mit der sie nichts zu tun haben will, sondern dass sie auch ihren Innenminister mal auffordert: Was ist da überhaupt los in deinem Ministerium? Klär' uns doch wirklich mal auf. Wir erfahren das nur von überregionalen Medien, vielleicht aus der "New York Times", aus der "Zeit" oder aus der "taz", aber wir erfahren überhaupt nichts von dir, bitte klär' uns auf.
Das hat sie nicht gemacht, insofern war ich natürlich schon etwas enttäuscht, um nicht zu sagen entsetzt, über die Äußerung von Frau Schwesig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Jörg Köpke: "Unterwandert"
Unter Mitarbeit von Dirk Friedriszik
Eulenspiegel, 2021
192 Seiten, 15 Euro

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