Rechtsextreme Musik

"Popstrategien gehören zum Repertoire der Rechten"

Der Sänger Xavier Naidoo steht mit Mütze und Sonnebrille am Mikrofon.
Der Sänger Xavier Naidoo © KEYSTONE
Dirk Schneider im Gespräch mit Mathias Mauersberger · 16.08.2018
Die Zeiten von Springerstiefeln und Skinheadmusik sind vorbei. Rechte nutzen längst die Popästhetik, die einst den Linken vorbehalten war. Immer erfolgreicher: Rechte Popmusiker erobern problemlos den Mainstream.
Der Song "The Kids Are Alright" von The Who ist ein Song aus dem Jahr 1965 und eine Hymne der Mod-Subkultur und der Jugendkulturen überhaupt. "The Kids Are Alt-Right?" unter diesem Titel präsentiert Deutschlandfunk Kultur am Donnerstagabend auf dem Berliner Popkultur-Festival einen Talk, der von Hartwig Vens und Dirk Schneider moderiert wird und sich dem Rechtsruck im Pop widmet.
Mathias Mauersberger: Dirk Schneider, welchen Bezug hat dieser Name denn zum Song von The Who?
Dirk Schneider: Das Stück war eine Hymne der Mod-Subkultur und der Jugendkulturen überhaupt – traue keinem über 30, aber was die Kids in dieser Welt wollen, das ist in Ordnung. Widersprochen wurde dem schon öfters, "The Kids Aren’t All Right" sang die Band Offspring, "The Kids Are Insane" texteten Urge Overkill, und bei der Band Lagwagon hieß es "The Kids Are All Wrong". 1992 konstatierte der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen unter dem Titel "The Kids Are Not All Right" den Abschied von der Popkultur, als er beim Pogrom von Rostock erkannte, dass die rassistischen Täter T-Shirts von als links geltenden Bands trugen und Malcolm-X-Baseballkappen: Links und Rechts waren plötzlich nicht mehr auseinanderzuhalten, und beide hörten dieselbe Musik. 2018 gehören Popästhetik und Popstrategien fast selbstverständlich zum Repertoire der Rechten, und was das bedeutet, darüber wollen wir heute Abend sprechen.
Mauersberger: Was hat denn die Rechte von der Popkultur gelernt?
Schneider: Vielleicht kann man noch nicht "die Rechte" sagen, jemand wie Alexander Gauland von der AfD zum Beispiel agiert ja noch eher wie der Typ alter Nazi, aber wenn man sich zum Beispiel eine rechtsextreme Demonstration anschaut, dann findet man da nicht nur die stiernackigen Skinheads in T-Shirts mit Frakturschrift. Bis auf die Slogans und die Symbole, die da gezeigt werden, sind die Leute in ihrem Auftreten und Dresscode mit schwarzen Kapuzenpullis und Baseballkappen kaum von den Vertretern der extremen Linken zu unterscheiden. Ähnliches findet aber auch auf parlamentarischer Ebene statt, seit Jörg Haider zum Beispiel spricht man in Österreich vom Neo-Feschismus, Haider als junger, sonnengebräunter Typus stellt ja etwas ganz anderes dar als jemand wie Gauland mit seinem grünen Tweedanzug und der Hundekrawatte.
Wie politisch Mode ist, hat sich auch in den USA gezeigt, als es geradezu zu einer Spaltung in der Modeindustrie kam in der Frage, welches Label denn bereit sei, Trump für seine Inaugurationsfeier auszustatten. Über solche Fragen werden wir heute Abend mehr erfahren von Elke Gaugele, sie ist Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und forscht zu Mode und Styles, und da geht es dann natürlich auch um rechte Modemarken und Figuren wie den Nipster, den Nazi-Hipster.
Mauersberger: Wo agieren denn solche Leute politisch? Der typische AfD-Wähler sieht ja wahrscheinlich anders aus.
Schneider: Darüber werden wir heute Abend mehr erfahren vom Soziologen und Blogger Jerome Trebing, der zu den Identitären forscht, die als hippe Abteilung der Rechten gelten und das Internet und soziale Medien sehr gut für sich zu nutzen wissen, was Trebing auch zu spüren bekommt, gegen ihn hat sich ein gut organisierter rechter Shitstorm gerichtet, nachdem es einen Anschlag auf das Haus der Identitären Bewegung in Halle gegeben hat. Es sind alte Pop-Strategien wie Provokation, Amoralismus, Spiel mit Symbolen, Uneindeutigkeit, und da wird es natürlich auch schwierig: Pop kann man ja nie richtig fassen, es ist am Ende immer "nur", in Anführungszeichen, Pop, und wenn sich Pop und Politik vermischen, wird das sehr schwierig – Streit um Sachfragen ist in der Politik immens wichtig, über Pop zu streiten, ist sehr schwer, und immer häufiger hört man ja auch von rechts, dass gewisse Dinge, die gesagt wurden, ja gar nicht so gemeint seien.
Das zeigen ja auch die Diskussionen um Popmusiker, die sich rechte Inhalte zu eigen machen und damit mittlerweile problemlos den Mainstream bedienen, wie Frei*Wild, Xavier Naidoo, oder eben auch die Diskussion um den Echo an Kollegah und Farid Bang, wo dann ja allerdings eine eindeutige Grenze gezogen wurde. Und die wurde als erstem ausgerechnet von Tote-Hosen-Sänger Campino gezogen, einem früheren Punk, dessen Geschäft ja lange die Provokation war, der bei der Echo-Verleihung aber gesagt hat, stop, bei Holocaust-Vergleichen ist Schluss, und das ist auch eine Frage, die uns beschäftigen wird: Was bedeutet die Vereinnahmung des Pop von rechts eigentlich für ein linkes Popverständnis?
Mauersberger: Ein ehemaliger Punk wird auch auf dem Panel vertreten sein, nämlich Ted Gaier von der Band Die Goldenen Zitronen. Die hatte sich ja Anfang der 90er-Jahre vom Fun-Punk verabschiedet, als sie gemerkt hat, dass in ihrem Publikum Leute waren, mit denen sie eigentlich nichts zu tun haben wollte.
Schneider: Genau, die haben dann 1994 das Album "Das bisschen Totschlag" veröffentlicht, auf dem sie explizit die politische Lage in Deutschland thematisiert haben und sich auch musikalisch neu aufstellten, um nicht als Partyband auch von Rechts vereinnahmt werden zu können. Und darüber wollen wir dann heute mit Ted Gaier sprechen: Kann es denn überhaupt Pop geben, der eindeutig links ist? Wie kann man sich davor schützen, dass die eigene Musik, die eigenen Slogans plötzlich auf einer rechten Demo oder Parteiveranstaltung zu hören sind.

Der Deutschlandfunk-Kultur-Talk "The Kids are Alt-right? Der Rechtsruck und die Popkultur" findet heute Abend um 18.40 Uhr statt beim Pop-Kultur-Festival in Berlin, im Kino in der Kulturbrauerei. Auszüge des Gesprächs können Sie in der Sendung "Kompressor" kommenden Donnerstag, den 23. August, hören.

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