Rechtsexpertin: Ein Rückschritt auf den Stand von vor 1870

Moderation: Liane von Billerbeck |
Die Professorin für Kriminologie und Strafrecht an der Uni Kiel, Monika Frommel, befürchtet durch die Föderalismusreform eine Verschlechterung des Strafvollzugs. Die geplante Verlagerung der Zuständigkeit auf die Bundesländer bringe nur kurzfristig mehr Sicherheit und weniger Investitionen, langfristig handele man sich viele Probleme ein, sagte die Rechtsexpertin.
Liane von Billerbeck: Heute wollen die Ministerpräsidenten über das Reformpaket, wie es immer so schön praktisch heißt, beraten und dazu gehört auch, dass künftig die Länder autonom darüber entscheiden sollen, wie es wird, wenn man zu einer Haftstrafe verurteilt wird. Sie gehören zu einer Reihe namhafter Anwälte, Anwaltsvereinen, der Richterbund und Strafrechtsexperten, die einen Appell gegen die Verlagerung der Zuständigkeit auf die Länder unterzeichnet haben. Nun haben wir eben im Beitrag gehört, was droht: Wird also in Zukunft eine Verurteilung in Hamburg schwerer wiegen als eine in Berlin?

Monika Frommel: Ich fürchte, dass sich der Strafvollzug in allen Ländern verschlechtern wird, aufgrund dieser Gegenreform, - das Wort Reform kann man hier gar nicht benutzen -, denn die Länder sind ganz stark unter Pressedruck, wenn es zu einem Entweichen kommt eines Gefangenen. Dann ist die regionale, die lokale Presse aufgeregt, und es wird dann einen ganz kurzen Weg geben, zu Abstrichen bei den Ansprüchen, die der Strafvollzug hat. Und das Motto ist dann: kurzfristig mehr Sicherheit, kurzfristig vielleicht auch weniger Investitionen. Langfristig aber handelt man sich dann sehr viel mehr Probleme ein, denn der Strafvollzug der letzten 30 Jahre war stabil und hat sich am Ende bewährt.

Von Billerbeck: Wenn die Reform dann durchkommt, kann man dann eigentlich noch von einer Rechtseinheit reden, die in Deutschland herrscht, wenn Strafvollzug in jedem Land anders abläuft?

Frommel: Na ja, eine Länderzuständigkeit für den Strafvollzug ist ein Rückschritt hinter den Stand, den man im Grunde 1870 schon erreicht hatte. Also das Strafvollzugsgesetz 1977 hat vollendet, was eigentlich eine Rechtsvereinheitlichung mal bedeutet hat. Und es gab immer Polemik gegen den Resozialisierungsvollzug. Hessen, Bayern, mittlerweile besonders Hamburg gehören zu den Polemikern. - Es gibt aber keine fachlichen, keine sachlichen Argumente, es gibt keine empirischen Studien, die das Ganze belegen. Das ist blanker Populismus, kurzatmige Gegenreform.

Von Billerbeck: Nun klagen ja die Länder über knappe Kassen. Was heißt das, wenn jetzt der Strafvollzug auf Länder verlagert wird, die unter großem Kostendruck stehen?

Frommel: Alle stehen im Moment unter großem Kostendruck, das heißt, eine Kriminalpolitik der Finanzminister geht immer so vor sich, dass man kurzfristig einspart und nicht bedenkt, dass das Versäumen eines vernünftigen Vollzuges bei einem jungen Mann, im Alter zwischen 18 und 28, möglicherweise dazu führt, dass er ganz rausfällt aus den gesellschaftlichen Regelsystemen und wir uns im Grunde da noch eine größere Zahl von wirklich hartnäckigen Wiederholungstätern schaffen. Es ist also ein Versäumen von langfristigen Konzeptionen und ein Sparen sozusagen heute und jetzt.

Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprechen wir mit der Rechtsprofessorin Monika Frommel über die Verlagerung der Kompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder. Angenommen auch in den Haftanstalten droht etwas, was wir aus Amerika kennen, nämlich eine Privatisierung. Welche Konsequenzen würde das für die Strafhaft haben?

Frommel: Das würde diese Druck zu kurzfristigen Kosteneinspaarungen noch verschärfen, denn man fängt dann plötzlich an, das Produkt Sicherheit betriebswirtschaftlich zu kalkulieren und schafft dann einen Strafvollzug, der die Ziele, die man 1977 mal für wichtig gehalten hat, und die sich eigentlich auch bewährt haben, völlig denaturieren.

Von Billerbeck: Meinen Sie, dass die Öffentlichkeit Ihrem Protest sich anschließen würde, diese Kompetenz auf die Länder zu verlagern? Oder herrscht in der Öffentlichkeit doch eher so die Meinung, wegsperren ist besser, angeheizt von Boulevardmedien? Wir hatten ja mehrere spektakuläre Mordfälle, gerade an Kindern. Da ist ja immer schnell dabei mit solchen Dingen.

Frommel: Ich denke, dass populistischer Druck hier eher negativ wirkt. Das erklärt ja auch, warum die ehemalige und jetzige Justizministerin den Strafvollzug so schnell geopfert hat. Da ging sie davon aus, kriegt sie am wenigsten Presseschelte. Das scheint nicht ganz so der Fall zu sein, denn mittlerweile merken viele Eltern, dass ihre minderjährigen, heranwachsenden, jungen erwachsenen Söhne sehr wohl relativ schnell in die Gefahr kommen, eine Strafverfolgungsmaßnahme zu erleiden.

Von Billerbeck: Welche Chancen sehen Sie denn noch, diesen Versuch, die Kompetenz auf die Länder zu verlagern, zu verhindern, im Laufe dieser Woche?

Frommel: Es gibt einige Länder, wie zum Beispiel Schleswig Holstein, also eine große Koalition, die im Bundesrat ihre Zustimmung verweigern. Es gibt einen entsprechenden Beschluss des Landtages. Im Grunde könnte diese Gegenreform verhindert werden, wenn alle Landesregierungen mit der FDP an der Regierung sich verweigern würden. Das heißt, wir müssten eigentlich Druck machen auf den baden-württembergischen Justizminister Goll, dass er hier das liberale Prinzip, dass die FDP immer hochgehalten hat, was seine Parteikollegin Leutheusser-Schnarrenberger immer sehr verteidigt hat, dass das jetzt nicht den Bach hinunter geht. Also ich würde nie wieder die FDP ernst nehmen, wenn sie hier nicht mal ihre rechtspolitischen Grundsätze bewahrt. Also wenn sie her umfällt, dann hat sie sich eigentlich rechtspolitisch ins Abseits gestellt.

Von Billerbeck: Wir sprachen mit Professorin Monika Frommel über: Was aus dem Gleichheitsgrundsatz wird, wenn nicht mehr der Bund, sondern jedes Land einzeln für seine Strafgefangenen zuständig ist. Herzlichen Dank, Frau Frommel.

Frommel: Dankeschön.