Rechtsanwalt: Betrug bei Doktoranden lässt sich kaum verhindern

Wolfgang Zimmerling im Gespräch mit Susanne Führer |
Die vom Hochschulverband vorgeschlagene Reform der eidesstattlichen Erklärkung bei Doktorarbeiten werde keine Betrüger abschrecken, sagt der Rechtsanwalt Wolfgang Zimmerling angesichts der Ermittlungen gegen rund 100 Professoren wegen mutmaßlich verkaufter Doktortitel.
Susanne Führer: Über das Wesen und Unwesen der Promotionsberatung spreche ich nun mit Rechtsanwalt Wolfgang Zimmerling. Er kennt sich in der Materie bestens aus, denn er arbeitet seit Langem auf dem Gebiet des Hochschulrechts und im Übrigen hat er selbst promoviert, ganz ohne helfende Agentur, im Jahr 1976 bereits. Guten Tag, Herr Dr. Zimmerling!

Wolfgang Zimmerling: Guten Tag!

Führer: Ja, nun erzählen Sie mal – was leistet denn nun eigentlich so eine Agentur für Promotionsberatung? Da die nicht verboten sind, nehme ich an, gibt es auch legale Hilfen.

Zimmerling: Gut, es kommt ja immer darauf an, um was die für Leistung erbringen. Zunächst einmal: Von der Idee her berät so eine Promotionsberatung die angehenden Promoventen bei der Auswahl des Themas, auch, vor allen Dingen bei der Suche nach einem Doktorvater. Denn wenn jemand von einer Universität weg ist, wenn er schon zehn Jahre im Beruf war, hat er nicht mehr den Kontakt zur Universität, er kennt nicht mehr die Professoren und er findet auch schwer einen Doktorvater. Man braucht keinen Doktorvater zum Promovieren, nur: Wenn man einen hat, der die Arbeit betreut und der dann auch Erstgutachter ist, ist das von einem erheblichen Vorteil. Das ist das erste Problem. Das zweite Problem ist: Es erkennen viele nach einigen Jahren Berufstätigkeit, dass sie promovieren wollen, obwohl sie kein Prädikatsexamen haben, und das ist bei den meisten Hochschulen Voraussetzung, um überhaupt promovieren zu können.

Führer: Bleiben wir noch mal bei dem ersten Fall, den Sie gerade genannt haben, Herr Zimmerling. Daraus schließe ich, dass das größte Klientel dieser Agenturen offensichtlich Menschen sind, die schon raus sind aus der Uni, die berufstätig sind, Akademiker, und die denken, ach so ein Titel, das wäre jetzt schick, entweder so für das Ansehen oder auch vielleicht für das Einkommen. Aber nun gibt es ja Leute, die sagen: Wenn man promovieren will, dann sollte man doch auch in der Lage sein, selbstständig einen Doktorvater oder eine Doktormutter zu finden, gar nicht zu reden vom Thema.

Zimmerling: Oh, das ist … Also erstens, das Thema ist ein großes Problem, denn gerade, wenn man von der Hochschule weg ist, hat man keine Ahnung, was da im Augenblick in der Forschung diskutiert wird. Man hat das Problem, ein geeignetes Thema zu finden und zwar ein Thema, das man in absehbarer Zeit auch bearbeiten kann.

Führer: Aber, Herr Zimmerling, das verstehe ich nicht. Also so ein Doktortitel, das ist ja ein wissenschaftlicher Grad, das heißt, ich bin in der Lage, wissenschaftlich selbstständig zu arbeiten. Und dann soll ich nicht in der Lage sein, zu überblicken, was in der Wissenschaft das Thema ist?

Zimmerling: Nein, sorry, da liegen Sie völlig daneben. Jeder ordentliche Professor hat eine Liste von möglichen Doktorthemen, weil die meisten ankommen und keine Ahnung haben, was sie für ein Thema suchen sollen. Sie sagen dann erst: suchen Sie mal selber und wenn Sie selbst nichts finden, dann kommen Sie an, dann habe ich hier eine Liste. Ich weiß von manchen Professoren, die haben 50 oder 100 Themen auf der Liste drauf und da kann sich dann der Doktorand was raussuchen. Das ist so üblich und es ist auch durchaus richtig, weil, wer außerhalb der Universität ist, der nicht immer am Lehrstuhl arbeitet, der hat nicht den Überblick.

Führer: Also, wir halten fest: Wenn eine Promotionsberatungsagentur die Suche des Themas wie auch die Suche nach Doktoreltern übernimmt, das ist legal?

Zimmerling: Das ist legal, vor allen Dingen, hier müssen Sie noch eins sehen: Es geht mir auch darum, was ich vorhin noch sagen wollte, dass viele Doktoranden dann nicht das erforderliche Prädikatsexamen haben. Jetzt haben aber zahlreiche Hochschulen Ausnahmegenehmigungen, das heißt, wenn man …

Führer: Entschuldigen Sie, ich muss das kurz erläutern: Also, wenn die Note der Diplom- oder Magisterarbeit nicht gut genug ist, darf man eigentlich nicht promovieren.

Zimmerling: Richtig, man braucht also ein Prädikat mit der Note zwei oder besser. Jetzt haben aber viele Hochschulen Ausnahmebestimmungen, das heißt, man macht dort eine Seminararbeit, die muss mit gut oder sehr gut bewertet werden und dann bekommt man die Ausnahmegenehmigung. So, aber diese Hochschule müssen Sie erst mal finden. Das können Sie natürlich machen, indem Sie sich ans Internet setzen und versuchen, alle Doktor- und Promotionsordnungen durchzusehen, ob es da die Möglichkeit der Ausnahmeregelung überhaupt gibt. Dann ist die nächste Frage: Wie ist die Praxis an der Hochschule? Und das wiederum weiß kein Mensch. Es gibt Hochschulen, die machen von dieser Ausnahmeregelung keinen Gebrauch, weil sie so viele Doktoranden haben, zum Beispiel Freiburg, die machen das gar nicht. Es gibt aber auch Hochschulen, wie Hannover, die waren dankbar für jeden Doktoranden, die haben von der Ausnahmeregelung großzügigst Gebrauch gemacht. Das weiß aber ein Außenstehender nicht, und dafür haben wir halt diese Agenturen zur Promotionsberatung, die über dieses Wissen verfügen.

Führer: Hm. Und wo, Herr Zimmerling, beginnt es nun, ein bisschen gräulich bis illegal zu werden?

Zimmerling: Solange sich das darauf beschränkt, diese Promotionsberatung, auf das Suchen und Finden eines Doktorvaters in der betreffenden Fakultät und des Themas, ist das also völlig legal. Es darf natürlich nicht so weit gehen, dass dann diese Promotionsberatung auch noch den Ghostwriter sucht und findet, der in Wirklichkeit die Arbeit schreibt. Das ist schlichtweg unzulässig. Hier war es so, in Hannover, dass diese Promotionsberatung einen Rechtsprofessor, sagen wir mal, bestochen hat, dass er diese Kunden von ihnen als Doktoranden annehmen. Das ist natürlich ein strafrechtliches Delikt. Ich kann keinem Professor Geld dafür geben, dass der jemanden als Doktoranden annimmt, das gehört gewissermaßen zu seinen Dienstpflichten, entweder nimmt er einen an oder er nimmt ihn nicht an, aber er darf dafür kein Geld kassieren. Das war eindeutig strafbar.

Führer: Nun habe ich gelesen, dass die Universität Hannover die Zusammenarbeit mit Promotionsberatern inzwischen untersagt hat, das heißt, auch die von ihnen genannten legalen Tätigkeiten werden dann auch verboten?

Zimmerling: Richtig. Wir haben die Promotionsordnung 2004 eine Bestimmung aufgenommen, dass man bei Abgabe der Doktorarbeit eidesstattlich versichern muss, dass man keine gewerbliche Promotionsberatung in Anspruch genommen hat.

Führer: Da kommen wir zu dem Punkt, dass es in Deutschland keine bundesweite Regelung für Promotionsordnungen gibt, sondern jede Hochschule regelt das so, wie sie will.

Zimmerling: Ja.

Führer: Warum ist das so? Ist das sinnvoll?

Zimmerling: Das ist der deutsche Föderalismus, zunächst einmal, und auch die Autonomie der Hochschule, die können also machen, was sie wollen. Das hat was mit Freiheit von Forschung und Lehre zu tun. Wir haben also nicht einmal eine Rahmenpromotionsordnung. Für Diplomordnungen oder so was haben wir eine Rahmendiplomordnung von der Kultusministerkonferenz, die haben das mal rausgegeben. Aber für Promotionsordnungen, da macht jede Hochschule, was sie will und vor allem auch in jedem Studiengang. Also, Sie dürfen nicht glauben, dass das … an einer Hochschule alle Promotionsordnungen gleich sind. Die variiert von Fakultät zu Fakultät.

Führer: Und deswegen schaffen sie sozusagen den Bedarf für Promotionsagenturen, wenn ich Sie richtig verstehe.

Zimmerling: Richtig, richtig, ja.

Führer: Herr Zimmerling, was mir nicht so recht klar ist: Nun wird ja da gegen rund 100 Professoren, Privatdozenten ermittelt und es gibt Menschen, die sagen, das sei nur die Spitze des Eisberges. Es gibt doch … Also, man schreibt ja nicht nur eine Promotion – mal angenommen, das hat jetzt ein Ghostwriter für mich gemacht –, sondern es gibt dann ja auch immer noch einen Zweitgutachter und es gibt auch immer noch ein Rigorosum oder eine Disputation, also etwas wie eine mündliche Prüfung. Wie ist denn dann so ein Betrug in so einem großen Maßstab überhaupt möglich?

Zimmerling: Ja, gut, das, was in Hannover sich abgespielt hat, das war einfach die Bestechung eines Professors. Der war dann auch Gutachter in den ganzen Promotionsverfahren. Da gab es aber insgesamt fünf Gutachten. Da waren … fünf Professoren haben Gutachten erstellt und davon war halt, der eine wurde bestochen oder wie es sagt die Fakultät, befangen. Das hat aber noch nichts mit der Qualität der Arbeit zu tun, die Arbeit kann trotzdem sehr gut gewesen sein und zu Recht haben die Leute den Promotionstitel erworben, denn die wussten ja nichts davon, dass diese Agentur einen Teil des Honorars, was sie von den Leuten bekommen haben, an diesen Professor weitergegeben hat. Damit muss man ja wohl nicht rechnen, dass, wenn man auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft promoviert, bei einem Rechtsprofessor, der zugleich Richter am Oberlandesgericht Celle ist, dass der sich bestechen lässt von irgendjemandem. Auf die Idee ist vorher noch nie einer gekommen.

Führer: Herr Zimmerling, der Hochschulverband, also die Standesorganisation der Uni-Professoren, fordert jetzt, die bei Promotionen ja übliche eidesstattliche Erklärung zu reformieren, das heißt, zukünftig soll der Doktorand verpflichtet werden, namentlich aufzuführen, wer ihm oder ihr bei der Dissertation geholfen hat. Wird das die Betrüger abschrecken?

Zimmerling: Also mit Sicherheit nicht, das war bisher genauso. Man darf bei einer Arbeit genauso wie bei einer normalen Prüfung ja nicht täuschen, und ich täusche dann, wenn ich fremde Hilfe in Anspruch nehme. Also, wenn ich jetzt meine Doktorarbeit, was weiß ich, meine Endfassung hat auch eine Sekretärin von der Uni geschrieben, das ist natürlich keine unerlaubte Hilfe. Und die Frage ist ja: Wo geht die Hilfe so weit, dass das geistige Eigentum oder das, was derjenige gedacht hat, seine wissenschaftliche Leistung, wo die nicht mehr von ihm stammt? Das ist auch bisher schon unzulässig, und mehr wird sich daran in Zukunft nicht ändern. Sie wollen mehr Transparenz schaffen, das ist ja in Ordnung, aber von der Sache her wird sich nichts ändern. Man sollte davon ausgehen, dass ein ordentlicher, deutscher Professor die Sache richtig macht und halt die wissenschaftliche Arbeit tatsächlich von seinem Doktoranden stammt. Und wenn der sich einen anderen Ghostwriter noch geholt hat, mit dem er jeden Abend alles Mögliche durchdiskutiert hat – das werden Sie letztendlich nicht verhindern können, auch nicht mit dem größten Aufwand.

Führer: Das heißt, man kann eigentlich nichts tun?

Zimmerling: Man wird nichts Wesentliches ändern können, das ist meine Überzeugung.

Führer: Ich habe heute im Internet gefunden, ich zitiere mal, Werbung: "Unser Team von über 400 akademischen Ghostwritern aller Fachrichtungen arbeitet auf höchstem wissenschaftlichen Niveau, kostengünstig, interdisziplinär, termingerecht und vertraulich. Unsere Kapazität gestattet es auch, größere Aufträge zügig in Ihrem Sinne zu bearbeiten." Da verstehe ich nicht, warum da eigentlich nicht sofort die Staatsanwaltschaft aktiv wird, oder?

Zimmerling: Das ist eine gute Frage. Wissen Sie, das haben Sie aber doch auch schon im Bereich der Diplomarbeiten. Ich weiß also aus Zeiten, als ich noch an der Uni war, ich habe einen gekannt in einem anderen Fachbereich, der hat davon gelebt, dass der für die Studenten die Diplomarbeit für 2000 DM damals geschrieben hat. Das war für den keine größere Leistung.

Führer: Und das haben Sie als Jurist nicht angezeigt?

Zimmerling: Das wusste jeder, was da läuft, genauso … Wissen Sie, gerade bei den Juristen – Juristen sind keine Heilige, eher Scheinheilige. Es gab ja bei den Juristen früher Hausarbeiten im Staatsexamen. Das wurde abgeschafft, weil damit viel Unfug getrieben wurde. Man hat also insbesondere denjenigen, die als Repetitoren tätig waren, also, die die Juristen fürs Examen geschult haben, denen hat man häufig nachgesagt, dass die solche Doktorarbeiten gegen ein Entgelt schreiben. Gut, die Juristen haben die Konsequenz gezogen und haben die Hausarbeit abgeschafft, in Klausuren kann keiner pfuschen.

Führer: Promotionsberatung im Zwielicht, darüber habe ich mit Rechtsanwalt Wolfgang Zimmerling gesprochen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Zimmerling!

Zimmerling: Danke!