Rechte Gewalt und Popkultur

Warum redet niemand mehr vom Deutschen Herbst 1991?

19:26 Minuten
Teilnehmer eines "Trauermarsches" in Dresden für den erschossenen Neonazi Rainer Sonntag. Viele junge Männer bilden einen Pulk und heben ihre Hände zum Hitlergruß, wobei sie Zeige- und Mittelfinger spreizen.
Die "Entmenschlichung" ist immer noch spürbar: Neonazis in Dresden im Juni 1991. © picture-alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Manja Präkels und Janosch Steuwer im Gespräch mit Ramona Westhof · 12.12.2022
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Die Erinnerung an die rechte Gewalt Anfang der 1990er-Jahre verschwimmt oft zu einem Komplex, dabei war der "Deutsche Herbst" 1991 ein ganz besonders dunkler Moment. Und es lohnt sich, die damalige Gewaltwelle genau zu analysieren.
Der "Deutsche Herbst" ist als Schlagwort in die Geschichte eingegangen, der Kampf der RAF gegen den deutschen Staat hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Den "Deutschen Herbst" 1991 kennt dagegen niemand mehr, obwohl das Schlagwort seinerzeit kursierte und die Häufung von rechten Anschlägen nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda bezeichnete. Warum ist das so? Warum erinnern wir uns anders an den linken Terror als an den rechten?
Sicher ist: Die RAF und ihre Protagonisten kennen wir auch aus einer Vielzahl von Filmen und anderen popkulturellen Zusammenhängen. Beim rechten Terror Anfang der 1990er-Jahre ist das anders. Die Schriftstellerin und Musikerin Manja Präkels ("Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß") erklärt das unter anderem mit schierer Verdrängung. Diese Verdrängung sei riesengroß und dauere immer noch an, sagt sie. Selbst heute noch werde die Gefahr von rechts verleugnet. So würden beispielsweise die "Reichsbürger", die den politischen Umsturz geplant hatten und gerade aufgeflogen seien, zu Clowns erklärt.

Fünf Brandanschläge – jeden Tag

Janosch Steuwer, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hat sich gerade in einem Aufsatz mit dem Deutschen Herbst 1991 auseinandergesetzt. Die Geschehnisse in Hoyerswerda hätten damals eine Welle von Nachahmungstaten nach sich gezogen, sagt er. "Es ist erstaunlich, dass wir sie so nicht mehr erinnern." Anfang 1991 gab es Steuwer zufolge rund 30 fremdenfeindliche Gewalttaten, im September war es 220, im Oktober dann 490. In diesem Monat gab es alleine 150 Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, jeden Tag fünf.
Es gebe die Erinnerung an Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen, aber das verschwimme in der Wahrnehmung zu einem Ereignis, meint der Historiker. Es lohne sich aber, den besonderen Moment im Herbst 1991 zu betrachten. Denn hier könne man nicht nur auf die Gewaltexplosion blicken, sondern auch darauf, wie die Gesellschaft reagiert habe. Diese Erfahrung im Blick zu behalten, habe etwas Produktives. „Es gibt eine Geschichte der Reaktion auf rechte Gewalt, die weitgehend vergessen ist, die untergeht, aus der man aber eine ganze Menge lernen kann", betont Steuwer.
Präkels stimmt dem zu. Sie erinnere sich noch sehr gut an den Herbst 1991, berichtet sie: "Wer betroffen war, hat das nicht vergessen können." Die rechte Gewalt habe sich im ganzen Land verbreitet, auf den Schulhöfen sei Rechtssein plötzlich die neue Jugendkultur gewesen. Niemand habe damals bei rechten Gewalttaten geholfen, die Polizei sei nicht gekommen, die Täter kamen straffrei davon. "Das machte den Herbst zu einer brutalen Zeit", sagt Präkels. Das Mitklatschen, Mitmachen, das Mitgerissen Werden von der Gewaltwelle, mit Angstlust gepaart, sei viel zu wenig besprochen und erinnert worden, kritisiert die Schriftstellerin.

Gewalt als vermeintliches Protestverhalten

Die Gewalt sei anfangs nicht als politisches Problem wahrgenommen, sondern als jugendliches Protestverhalten interpretiert worden, so Steuwer. Jugendforscher, Sozialarbeiter und Pädagogen sollten sich kümmern. Erst nach Mölln habe sich der Staat dann auch auf seinen Sicherheitsapparat besonnen.
So sieht es auch Präkels und weist darauf hin, dass die jugendlichen Täter in der Erinnerung immer noch als Wendeverlierer imaginiert würden, denen es schlecht gegangen sei. Dabei hätten sie sich für die Gewalt entschieden: "Das würde ich stark machen, auch in der Erinnerung." Die Entmenschlichung hätte damals in jedem Gespräch thematisiert werden müssen, sei aber ausgeblendet worden. "Das ist heute noch spürbar."
Doch was zumindest die Erinnerung angeht, sieht Steuwer einen Trend in die richtige Richtung: In den letzten zehn Jahren sei langsam eine Erinnerungskultur gewachsen, betont er, getragen von Initiativen und neuen Romanen und Büchern. Die eigentliche Frage sei jetzt: "Schafft diese Erinnerung den Sprung auf die Hauptbühne, um zum Teil der Geschichte des Landes zu werden?"
(ahe)
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