Recht ist kein Geschenk des Himmels!
Von Katja Wilke · 10.04.2012
Dass die Kirchen bei Themen wie dem Betreuungsgeld eine eigene Meinung vertreten, ist ihr gutes Recht. Allerdings mischen sie sich gerne auch ins Privatleben ihrer Angestellten ein, darauf weist die Arbeitsrechtlerin Katja Wilke hin - und fordert ein Ende der kirchlichen Sonderregeln im Arbeitsrecht.
Stellen Sie sich vor, Ihr Arbeitgeber verbietet Ihnen, für ein höheres Gehalt zu streiken. Einen Betriebsrat zu gründen, erlaubt er auch nicht. Damit nicht genug: Auch in Ihr Privatleben regiert er hinein. Wenn Sie sich zum Beispiel scheiden lassen und wieder heiraten wollen, feuert er Sie – wenn es ihm beliebt.
So etwas gibt es nicht im Jahre 2012 in Deutschland? Doch, das gibt es. Unter diesen Umständen arbeiten rund 1,3 Millionen Arbeitnehmer: und zwar die Angestellten der großen Kirchen und ihren Einrichtungen, also Wohlfahrtsverbänden wie Diakonie und Caritas, Kindergärten oder Kliniken. Grund ist das Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht, das Glaubensgemeinschaften genießen und aufgrund dessen sie sich ihr eigenes Arbeitsrecht verordnen dürfen.
Immer wieder kommt die Frage auf, ob das noch zeitgemäß ist. Doch das ist die falsche Frage, denn sie ist viel zu zaghaft. Die richtige Frage lautet: Warum schützt der Staat seine Bürger nicht endlich umfassend? Und zwar auch die, die bei den Kirchen beschäftigt sind.
Regelmäßig werden Missstände bekannt, wie etwa Dumpinglöhne in evangelischen Einrichtungen. Und in der katholischen Kirche wird schon mal Ärzten oder Krankenpflegern gekündigt, wenn sie den Moralvorstellungen nicht gerecht werden.
Dass sich Pfarrer – und andere direkt in den Kirchen Beschäftigte – nach den Glaubenssätzen richten müssen, leuchtet ein. In diesem Rahmen ist das Selbstverwaltungsrecht sinnvoll und wegen der Religionsfreiheit auch unantastbar. Deswegen sollte sich der Sonderweg auf diesen Bereich beschränken – auch wenn die Kirchen warnen, dass der Verlust ihrer Privilegien ihrem glaubwürdigen Außenauftritt schaden würde.
Doch was tut die Politik? Sie verschließt die Augen vor der Tatsache, dass auch Arbeitnehmer in den kirchennahen Organisationen Schutz gebrauchen könnten. Sonst greift der Staat in puncto Arbeitsrecht gerne in die unternehmerische Freiheit ein, und er breitet seinen Paternalismus in diesem Bereich auch immer weiter aus – Stichwort Mindestlöhne. Vor den mächtigen Kirchen aber schreckt er zurück. Vor jenen Kirchen, die sich des Staats als Steuereintreiber bedienen. Den Kirchen, die sich die theologischen Lehrstühle an den Universitäten vom Staat bezahlen lassen. Den Kirchen, die zahlreiche ihrer Einrichtungen ohne üppige Finanzspritzen des Staates gar nicht aufrecht erhalten könnten.
Die alten Pfründe bleiben auch im einundzwanzigsten Jahrhundert unangetastet. Im Kirchenarbeitsrecht überlässt die Politik der Rechtsprechung die unangenehme Arbeit. Gerichte müssen sich regelmäßig an der misslichen Frage abarbeiten, welche Mitarbeiter der Kirchen nach den Zehn Geboten leben müssen und welche nicht.
Ein Minimalkonsens in der Politik ist höchstens beim umstrittenen kirchlichen Arbeitskampfrecht zu erkennen, genauer: beim nicht vorhandenen kirchlichen Arbeitskampfrecht. Es wächst die Erkenntnis, dass es für das Streikverbot in kirchennahen Einrichtungen keinen nachvollziehbaren Grund gibt. Doch auch hier drückt sich der Staat bislang um seine Verantwortung und lässt die Gerichte Lösungen finden.
Dass es auch anders geht, dass der Staat den Kirchen nicht jeden Sonderweg gestatten muss, das zeigt sich bislang nur im ganz Kleinen: in einzelnen Kommunen. Zum Beispiel in einer Gemeinde nahe Königswinter. Dort hat die Kirche die Leiterin eines katholischen Kindergartens entlassen, weil diese ihren Mann verlassen und mit dem neuen Partner zusammengezogen war. Die Kommune – die die Einrichtung finanziert – zog Konsequenzen: Sie kündigte der Katholischen Kirche den Trägervertrag.
Auf solche mutigen Aktionen sollte sich der Gesetzgeber genauso wenig verlassen wie auf Richtersprüche. Vielmehr ist es an der Zeit, die überflüssigen Privilegien der Kirche endlich zurechtzustutzen. Denn Recht ist kein Geschenk des Himmels. Recht muss man durchsetzen.
Katja Wilke arbeitet als freie Journalistin und Rechtsanwältin in Berlin. Sie schreibt für Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazine über Rechtspolitik und Wirtschaftsrecht. Sie arbeitete zuvor als Redakteurin für die Financial Times Deutschland. Das Volontariat absolvierte sie an der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf.
Was meinen Sie: Sind die kirchlichen Sonderregeln im Arbeitsrecht noch zeitgemäß? Sollte der Staat eingreifen, um die Angestellten der Kirchen vor Eingriffen ins Privatleben zu schützen? - Diskutieren Sie mit auf unserer Facebook-Seite.
So etwas gibt es nicht im Jahre 2012 in Deutschland? Doch, das gibt es. Unter diesen Umständen arbeiten rund 1,3 Millionen Arbeitnehmer: und zwar die Angestellten der großen Kirchen und ihren Einrichtungen, also Wohlfahrtsverbänden wie Diakonie und Caritas, Kindergärten oder Kliniken. Grund ist das Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht, das Glaubensgemeinschaften genießen und aufgrund dessen sie sich ihr eigenes Arbeitsrecht verordnen dürfen.
Immer wieder kommt die Frage auf, ob das noch zeitgemäß ist. Doch das ist die falsche Frage, denn sie ist viel zu zaghaft. Die richtige Frage lautet: Warum schützt der Staat seine Bürger nicht endlich umfassend? Und zwar auch die, die bei den Kirchen beschäftigt sind.
Regelmäßig werden Missstände bekannt, wie etwa Dumpinglöhne in evangelischen Einrichtungen. Und in der katholischen Kirche wird schon mal Ärzten oder Krankenpflegern gekündigt, wenn sie den Moralvorstellungen nicht gerecht werden.
Dass sich Pfarrer – und andere direkt in den Kirchen Beschäftigte – nach den Glaubenssätzen richten müssen, leuchtet ein. In diesem Rahmen ist das Selbstverwaltungsrecht sinnvoll und wegen der Religionsfreiheit auch unantastbar. Deswegen sollte sich der Sonderweg auf diesen Bereich beschränken – auch wenn die Kirchen warnen, dass der Verlust ihrer Privilegien ihrem glaubwürdigen Außenauftritt schaden würde.
Doch was tut die Politik? Sie verschließt die Augen vor der Tatsache, dass auch Arbeitnehmer in den kirchennahen Organisationen Schutz gebrauchen könnten. Sonst greift der Staat in puncto Arbeitsrecht gerne in die unternehmerische Freiheit ein, und er breitet seinen Paternalismus in diesem Bereich auch immer weiter aus – Stichwort Mindestlöhne. Vor den mächtigen Kirchen aber schreckt er zurück. Vor jenen Kirchen, die sich des Staats als Steuereintreiber bedienen. Den Kirchen, die sich die theologischen Lehrstühle an den Universitäten vom Staat bezahlen lassen. Den Kirchen, die zahlreiche ihrer Einrichtungen ohne üppige Finanzspritzen des Staates gar nicht aufrecht erhalten könnten.
Die alten Pfründe bleiben auch im einundzwanzigsten Jahrhundert unangetastet. Im Kirchenarbeitsrecht überlässt die Politik der Rechtsprechung die unangenehme Arbeit. Gerichte müssen sich regelmäßig an der misslichen Frage abarbeiten, welche Mitarbeiter der Kirchen nach den Zehn Geboten leben müssen und welche nicht.
Ein Minimalkonsens in der Politik ist höchstens beim umstrittenen kirchlichen Arbeitskampfrecht zu erkennen, genauer: beim nicht vorhandenen kirchlichen Arbeitskampfrecht. Es wächst die Erkenntnis, dass es für das Streikverbot in kirchennahen Einrichtungen keinen nachvollziehbaren Grund gibt. Doch auch hier drückt sich der Staat bislang um seine Verantwortung und lässt die Gerichte Lösungen finden.
Dass es auch anders geht, dass der Staat den Kirchen nicht jeden Sonderweg gestatten muss, das zeigt sich bislang nur im ganz Kleinen: in einzelnen Kommunen. Zum Beispiel in einer Gemeinde nahe Königswinter. Dort hat die Kirche die Leiterin eines katholischen Kindergartens entlassen, weil diese ihren Mann verlassen und mit dem neuen Partner zusammengezogen war. Die Kommune – die die Einrichtung finanziert – zog Konsequenzen: Sie kündigte der Katholischen Kirche den Trägervertrag.
Auf solche mutigen Aktionen sollte sich der Gesetzgeber genauso wenig verlassen wie auf Richtersprüche. Vielmehr ist es an der Zeit, die überflüssigen Privilegien der Kirche endlich zurechtzustutzen. Denn Recht ist kein Geschenk des Himmels. Recht muss man durchsetzen.
Katja Wilke arbeitet als freie Journalistin und Rechtsanwältin in Berlin. Sie schreibt für Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazine über Rechtspolitik und Wirtschaftsrecht. Sie arbeitete zuvor als Redakteurin für die Financial Times Deutschland. Das Volontariat absolvierte sie an der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf.
Was meinen Sie: Sind die kirchlichen Sonderregeln im Arbeitsrecht noch zeitgemäß? Sollte der Staat eingreifen, um die Angestellten der Kirchen vor Eingriffen ins Privatleben zu schützen? - Diskutieren Sie mit auf unserer Facebook-Seite.

Katja Wilke© Privat