Realität trifft Theater

Von Max Thomas Mehr · 16.01.2013
Kann das Theater die Finanzkrise aufarbeiten? Der Wirtschaftsjournalist Max Thomas Mehr hat grundlegende Zweifel. Er meint: Eine echte Aufklärung scheitert bislang an der Verschwiegenheit in der Finanzbranche.
Der Dokumentarfilmer und Theatermacher Andres Veiel hat eine besondere Stärke: Er bringt Menschen zum Reden, die eigentlich schweigen wollen.

Das war so bei seinem Film "Black Box BRD" über die RAF-Terroristen und bei seinem Theaterstück "Kick" über rechtsradikale Mörder. Für seine Inszenierung "Himbeerreich" hat Andres Veiel lange Gespräche in der Finanzbranche geführt - mit einfachen Bankmitarbeitern genauso wie mit hochrangigen Managern.

All diese Protagonisten haben eins gemein: Sie wollten sich in der Anonymität verstecken. Im Falle der Banker wachten darüber sogar Anwälte. Das ist der einfache Grund, weshalb Veiel seine Gesprächsprotokolle aus der Welt der Investmentbanker nicht zu einem Dokumentarfilm verdichten konnte, sondern das Destillat seiner Erkundungen in sechs Rollen von Schauspielern auf der Bühne sprechen lässt – vom Aufsichtsrat bis zum Vorstandsfahrer.

Diese Anonymität hat etwas Unheimliches. Und: Sie ist nicht nur auf das Theater beschränkt. Wer sich die Aufarbeitung der Finanzkrise genauer anschaut, den muss irritieren, wie anonym und abstrakt all diese Fehler, all das Versagen reflektiert werden – gerade in Deutschland. Es gibt etliche Sachbücher und Tausende von Zeitungsseiten, auch ein paar fiktionale Thriller. Eine Frankfurter Börsenhändlerin hat sogar ein Bekenntnisbuch geschrieben mit dem Titel "Die Gier war grenzenlos". Doch auch sie nennt sich selbst nur "Anne T."

Es bleibt deshalb eine Welt im Schatten, in der Geld mit Geld verdient oder eben auch vernichtet wird. Diese Krise und ihre Bewältigung kosten den deutschen Steuerzahler viel, auch wenn teilweise erst später gezahlt wird. Es könnten leicht 100 Milliarden Euro werden, vielleicht sogar noch mehr. Übrigens ganz ohne die Griechen und all die neueren Verwerfungen in der Euro-Zone.

Wer als Journalist in den letzten Jahren den Versuch gemacht hat, in die Welt der deutschen Finanzindustrie einzudringen, der hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie Andres Veiel. Anne T., die anonyme Brokerin aus Frankfurt, bringt es auf den Punkt: Niemand von uns Bankern hatte Lust, mit denen zu reden.

Gerade das Investmentbanking lebt vom Vorsprung an Informationen. Ihre Trader wollen die immer wieder neu strukturierten Wertpapiere verkaufen.

Sie wollen ungestört hochriskante Geschäfte machen und nicht der Öffentlichkeit ihre Risiken erklären. Kritische Journalisten stören da nur das Geschäft. Andres Veiel lässt einen seiner Banker-Darsteller lieber davon erzählen, dass es in der Wirtschaftspresse "richtige Lakaien" gebe, die da schreiben, was man ihnen sagt, weil sie nicht abgehängt werden wollen von Informationen und vielleicht nicht mal merken, wenn sie instrumentalisiert werden.

Die Öffentlichkeit kennt zwar die Vorstandsvorsitzenden der Banken. Die im Handelsraum arbeiten und Umsätze in Milliardenhöhe verantworten, die kennt sie nicht. Die ziehen die bequeme Anonymität vor – wie die Banker auf der Theaterbühne.

In Deutschland gab es in den fünf Jahren seit Ausbruch der Krise gerade einmal eine Verurteilung eines Spitzenbankers wegen seiner Verantwortung in der Finanzkrise – zu einer Bewährungsstrafe samt 100.000 Euro. Andere, wie der geschasste Chef der Hypo-Real-Estate, Georg Funke, verkaufen heute auf eigene Rechnung edle Fincas an Millionäre – auf Mallorca. Dabei hat Funke dem Staat eine Bad Bank mit faulen Wertpapieren und Staatsanleihen von über 170 Milliarden Euro hinterlassen.

In Amerika geht es da zumindest ein bisschen strenger zu. Immer wieder lesen wir von Strafzahlungen – zum Teil in Milliardenhöhe – mit denen sich die Banken und ihre Spitzenleute von Prozessen freikaufen, denen sie sich in der Folge der Finanzkrise sonst stellen müssten.

In Deutschland fehlen uns dafür offenbar die juristischen Werkzeuge. Erst die würden der Anonymität und damit der Verantwortungslosigkeit vieler Investmentbanker ein Ende bereiten - auf der Bühne genauso wie in der Wirklichkeit.

Max Thomas Mehr, Jahrgang 1953, ist politischer Journalist und Fernsehautor und hat die Tageszeitung "taz" mitbegründet. Für das Drehbuch des Films "Sebnitz: Die perfekte Story" (Arte) wurde der Dokumentarfilmer mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet.
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