Realität brüchig wie Glas
Christian Haller bündelt in seinem Roman eine ganze Reihe großer Themen: Vergänglichkeit, Quantenphysik, die Wirtschaftskrise. Das ergibt einen unterhaltsamen, intellektuellen Roman - doch zum Schluss verheddert auch er sich ein wenig in all den Themen.
Manch einer schenkt sich zum Geburtstag einen Kühlschrank oder eine Reise - der Schweizer Christian Haller hat sich zu seinem 70. Geburtstag einen Roman geschenkt, in dem er eine Reihe großer Themen bündelt: Es geht um Erinnerungen, um die Frage nach der Vergänglichkeit und den Verzweigungen des Lebensweges, um die Wirtschaftskrise und quantenphysikalische Erkenntnisse.
Der Fotograf Clemens Lang lebt mit seiner Frau, einer Astrophysikerin, in einem kleinen Ort in der Schweiz und hofft, dass seine stockende Karriere wieder Fahrt aufnimmt. Als er eine Einladung zu einem Kongress in eine ungenannte asiatische Metropole erhält, nimmt er an und trifft schon am Flughafen den "seltsamen Fremden" des Titels: Der stellt sich als Langs Begleiter vor und gibt als Beruf "Causeur" an: Ein Plauderer also, ein unterhaltsamer Schwadroneur wie in den Salons des 19. Jahrhunderts.
Unterhaltsam ist der Fremde tatsächlich und ein bisschen diabolisch dazu: Immer wieder scheint er Züge von Personen aus Langs Umfeld anzunehmen, von seiner Zigarre steigt kein Rauch auf, und obwohl er nicht älter aussieht als Mitte 40 erzählt er vom Ersten Weltkrieg.
Clemens Lang ist von dem merkwürdigen Mann einerseits irritiert, andererseits verspürt er in seiner Gegenwart eine wunderbare Leichtigkeit - auch wenn er mitunter einen sanften Schwefelgeruch wahrzunehmen scheint. Mit Eleganz und Anmut gleitet Hallers Prosa durch eine eigenartige Welt, in der die Wirklichkeit einer smoggeplagten Stadt in Fernost mit der mysteriösen Aura des Fremden kontrastiert - ein Spiegelkabinett, in dem sich nicht nur Clemens Lang zu verirren droht.
Denn Haller präsentiert sein labyrinthisches Spiel mit Anspielungen und thematischen Bocksprüngen. Er bezieht sich auf Dante, den Trojanischen Krieg und Mark Twains unvollendete Erzählung "The mysterious stranger", er beschäftigt sich mit der Frage der Wahrnehmung und dem Blick des Fotografen durch den Sucher einer Kamera, mit dem Vergehen der Zeit und verpassten Augenblicken.
Die Stadt, die Lang auf der Suche nach Motiven durchstreift, gleicht einem Inferno aus Schmutz, Elend und vergifteten Früchten, der Causeur spielt ein grimmiges Spiel mit einem stellvertretenden Minister und Lang rutscht immer tiefer in Erinnerungen an seinen Mentor Grünfeld, in dessen Roman Lang selbst die Hauptrolle spielt, oder an seine Mutter, die ihre Vergangenheit retouchierte: Die Realität in Hallers Roman ist brüchig wie Glas, schwankend und ganz und gar unzuverlässig.
Allerdings löst Christian Haller seine gegebenen Versprechen nicht ganz ein. Irgendwann zerfasert der Text, bekommt Längen, das intellektuelle Spiel verliert in endlosen Reflexionen seinen Charme und selbst die Magie des Causeurs droht sich abzunutzen.
Auf Langs finalen Zusammenbruch folgt die Rückkehr aus dem Inferno, die das zwar versöhnliche, aber auch ein bisschen antiklimaktische Ende eines intelligenten und kunstvollen Romans markiert, der eine Fülle von Themen und Gedanken zusammenfasst - auch wenn ihm am Schluss ein bisschen der Atem ausgeht.
Besprochen von Irene Binal
Der Fotograf Clemens Lang lebt mit seiner Frau, einer Astrophysikerin, in einem kleinen Ort in der Schweiz und hofft, dass seine stockende Karriere wieder Fahrt aufnimmt. Als er eine Einladung zu einem Kongress in eine ungenannte asiatische Metropole erhält, nimmt er an und trifft schon am Flughafen den "seltsamen Fremden" des Titels: Der stellt sich als Langs Begleiter vor und gibt als Beruf "Causeur" an: Ein Plauderer also, ein unterhaltsamer Schwadroneur wie in den Salons des 19. Jahrhunderts.
Unterhaltsam ist der Fremde tatsächlich und ein bisschen diabolisch dazu: Immer wieder scheint er Züge von Personen aus Langs Umfeld anzunehmen, von seiner Zigarre steigt kein Rauch auf, und obwohl er nicht älter aussieht als Mitte 40 erzählt er vom Ersten Weltkrieg.
Clemens Lang ist von dem merkwürdigen Mann einerseits irritiert, andererseits verspürt er in seiner Gegenwart eine wunderbare Leichtigkeit - auch wenn er mitunter einen sanften Schwefelgeruch wahrzunehmen scheint. Mit Eleganz und Anmut gleitet Hallers Prosa durch eine eigenartige Welt, in der die Wirklichkeit einer smoggeplagten Stadt in Fernost mit der mysteriösen Aura des Fremden kontrastiert - ein Spiegelkabinett, in dem sich nicht nur Clemens Lang zu verirren droht.
Denn Haller präsentiert sein labyrinthisches Spiel mit Anspielungen und thematischen Bocksprüngen. Er bezieht sich auf Dante, den Trojanischen Krieg und Mark Twains unvollendete Erzählung "The mysterious stranger", er beschäftigt sich mit der Frage der Wahrnehmung und dem Blick des Fotografen durch den Sucher einer Kamera, mit dem Vergehen der Zeit und verpassten Augenblicken.
Die Stadt, die Lang auf der Suche nach Motiven durchstreift, gleicht einem Inferno aus Schmutz, Elend und vergifteten Früchten, der Causeur spielt ein grimmiges Spiel mit einem stellvertretenden Minister und Lang rutscht immer tiefer in Erinnerungen an seinen Mentor Grünfeld, in dessen Roman Lang selbst die Hauptrolle spielt, oder an seine Mutter, die ihre Vergangenheit retouchierte: Die Realität in Hallers Roman ist brüchig wie Glas, schwankend und ganz und gar unzuverlässig.
Allerdings löst Christian Haller seine gegebenen Versprechen nicht ganz ein. Irgendwann zerfasert der Text, bekommt Längen, das intellektuelle Spiel verliert in endlosen Reflexionen seinen Charme und selbst die Magie des Causeurs droht sich abzunutzen.
Auf Langs finalen Zusammenbruch folgt die Rückkehr aus dem Inferno, die das zwar versöhnliche, aber auch ein bisschen antiklimaktische Ende eines intelligenten und kunstvollen Romans markiert, der eine Fülle von Themen und Gedanken zusammenfasst - auch wenn ihm am Schluss ein bisschen der Atem ausgeht.
Besprochen von Irene Binal
Christian Haller: Der seltsame Fremde
Verlag Luchterhand, München 2013
376 Seiten, 22,99 Euro.
Verlag Luchterhand, München 2013
376 Seiten, 22,99 Euro.