Rauterberg: Rolle der Museen verändert sich

Moderation: Joachim Scholl |
Museen sollten sich nicht zu sehr auf einen Sammler konzentrieren, findet der Kunstexperte Hanno Rauterberg. Denn sonst könnte es passieren, dass ein Ausstellungsbetrieb zusammenbricht, wenn ein Sammler seine Bilder aus dem Museum abzieht und auf dem Kunstmarkt anbietet. Dass immer mehr Sammler dazu tendieren, eigene Privat-Museen zu gründen, hält Rauterberg für eine bedenkliche Entwicklung: die Rolle der Museen als öffentlich zugängliche Häuser verändere sich dadurch.
Joachim Scholl: Für geschätzte 600-900.000 englische Pfund wird heute bei Sotheby's in London das Bildnis "Stilleben Apfelschale" von August Macke versteigert. Bislang war es im Bonner Kunstmuseum zu bestaunen als Dauerleihgabe der Stiftung August Macke, die das Bild jetzt aber gewissermaßen abzieht und auf den internationalen Kunstmarkt bringt. Dieser Vorgang sieht auf den ersten Blick ganz natürlich aus, hat es aber in sich, denn er verweist auf ein immer problematischer werdendes Verhältnis zwischen öffentlich finanzierten Museen und einem stetig lukrativeren Kunstmarkt. ( ... )
Am Telefon ist jetzt Hanno Rauterberg, Kunstexperte bei der Hamburger "Zeit". Guten Morgen!

Hanno Rauterberg: Guten Morgen, Herr Scholl!

Scholl: Das Museum als Preisbeschleuniger für Kunstwerke, so hat es Carsten Probst gerade genannt. Wird der private Sammler immer mehr zum Angstgegner für die Museen?

Rauterberg: Meinem Gefühl nach nicht. Also es gab eine lange Zeit, in der das so war, in der viele Museen darum bangen mussten, übernächste Woche schon ohne Sammlung dazustehen. Ein paar Mal ist das auch so passiert, beispielsweise in Frankfurt, wo der Sammler Bock dem Frankfurter Museum für Moderne Kunst einen Großteil dessen Sammlung entzogen hat, sodass der Direktor Kittelmann plötzlich halbnackt dastand. Aber mein Eindruck ist, dass die Museen und die Museumsdirektoren in den letzten Jahren viel dazugelernt haben.

Es stimmt zwar, die Museen buhlen miteinander, und man muss bedenken, es gibt heute viermal so viele Museen wie noch vor 30 Jahren. Also der Bedarf ist groß und alle wollen in Richtung zeitgenössischer Kunst expandieren. Die jüngsten Pläne beispielsweise im Städl-Museum in Frankfurt sehen vor, die dortige Fläche fast zu verdoppeln. Und was soll in den neuen Trakt hinein? Natürlich zeitgenössische Kunst. Und deswegen schaut man nach Partnern.

Und der dortige Direktor Max Hollein will gerne kooperieren mit zwei Großbanken, mit der Deutschen Bank und der DZ-Bank. Aber auch er hat natürlich beobachtet, was in den letzten Jahren passiert ist, und versucht jetzt, so Zwischenformen zu finden, also die Sammler, die gerne dann irgendwann auch verkaufen wollen, in ein Korsett zu zwängen. Und dann ist es immer eine Frage der Abwägung, des Verhandlungsgeschicks.

Und auch das Bonner Beispiel zeigt ganz gut, dass die Museen dazugelernt haben. Dort war es lange Zeit die Sammlung Grothe, die das Museum prägte, das Kunstmuseum prägte, mit ganz vielen Werken aus den 70er Jahren vor allem, und von den großen Künstlern Baselitz und Richter usw. Die Sammlung wurde dann verkauft an das Ehepaar Ströher. Und das Ehepaar Ströher hat dann ganz andere Konditionen formuliert. Die wollten mehr Mitsprache, die wollten mit darüber bestimmen, wann welche Bilder gezeigt werden und welche Ausstellung zustande kommen.

Und da hat das Museum, wie ich fand, sehr mutig damals gesagt, nein, so viel Mitsprache ist uns nicht recht, wir sind ein öffentliches Haus, wir wollen selber über das bestimmen, was wir machen, und haben die Ströhers, um es salopp zu sagen, vor die Tür gesetzt. Was für die natürlich auch nicht einfach war, weil sie jetzt viele Bilder nicht mehr zeigen können.

Scholl: Das muss man sich aber erst mal leisten können. Lassen Sie vielleicht gerade bei dem Punkt bleiben. Es gibt ja da auch noch ein weiteres Beispiel für die wachsende Macht der Sammler als in Berlin, so der Großsammler Erich Marx nicht mehr einverstanden war mit der Ausstellungspraxis. Im Museum "Hamburger Bahnhof" hat er einfach damit gedroht, seine komplette Sammlung abzuziehen. Jetzt ist er erst noch mal ein paar Jahre durch Verträge gebunden, aber es könnte sein, dass dann das Museum eigentlich dann zusammenbricht, oder?

Rauterberg: Ja. Das eigentliche Problem ist, dass wenn Museen sich zu stark auf einen Sammler konzentrieren. Auch da beispielsweise hat das Bonner Museum dazugelernt und sagt, wir wollen jetzt viele kleine Sammler versammeln. Und man muss natürlich auch, wenn man in die Museumsgeschichte zurücksieht, anerkennen, dass es immer Sammler waren, die auch die Bestände der Museen überhaupt ermöglicht haben. Also viel mehr als 60, 70 Prozent, glaube ich, der meisten Museen kommen von Sammlern, kommen aus privaten Schenkungen.

Der Unterschied ist nur der, dass früher ein Großteil kennerschaftlicher Sammler vielleicht 100, 200 gute Bilder besaß. Und Sammler, jetzt beispielsweise wie Friedrich Christian Flick, der in dem "Hamburger Bahnhof" in Berlin seine Ausstellung zeigt, der hat innerhalb von, glaube ich, fünf Jahren 6.000 Kunstwerke der zeitgenössischen Kunst erworben. Und das übt natürlich einen viel größeren Druck aus, schon in räumlicher Hinsicht. Also man musste ihm dann einen ganz eigenen Flügel bauen. Und tatsächlich weiß man nicht, wenn jetzt in zwei, drei Jahren, glaube ich, die Leihfrist von insgesamt sieben Jahren ausläuft, was dann eigentlich mit diesem Riesentrakt passieren wird.

Scholl: Nun kann man diese ganze Entwicklung ja auch nicht wirklich betrachten, ohne diesen Trend auf dem internationalen Kunstmarkt, der ja wirklich auf einer Wahnsinnsblase, könnte man ja vielleicht sagen, schwimmt. Also die Preise werden immer exorbitanter. Und wenn jetzt die Museen, also wenn wir noch mal diesen Zusammenhang beleuchten, die Museen so eine Art Bankfunktion haben, also ein Sammler gibt ein Werk in ein Museum, dort wird es betreut, kunsthistorisch von versierten Fondsmanagern, wenn man so will, der Wertzuwachs steigert, und dann zieht man es ab sozusagen, das Kapital. Das ist doch eigentlich ein Verhältnis, wenn man sich überlegt, dass hier eigentlich die öffentliche Hand so eine Art Schattenwirtschaft finanziert, das ist doch eigentlich nicht zu akzeptieren, oder?

Rauterberg: Das war auch der Vorwurf beispielsweise damals mit der Flick-Sammlung. Und da haben einige Bundestagsabgeordnete sogar gesagt, wir wollen beteiligt werden an den Gewinnen, die dort entstehen. Allerdings gilt das, glaube ich, nur für bestimmte Künstler, die noch nicht so bekannt gewesen waren. Also wenn man jetzt sagt, ein Kippenberger oder ein Gerhard Richter würde noch großartig an Wert dadurch gewinnen, dass man ihn jetzt in der neuen Nationalgalerie zeigt oder in anderen Sammlungen zeigt, also aus einer Sammlung heraus in ein öffentliches Haus transportiert, dann, glaube ich, stimmt das so nicht. Die haben ihren Wert, und da sind es eher die Auktionen und die Messen, die diesen Wert noch steigern.

Aber es gilt natürlich für Künstler, die noch nicht so bekannt geworden sind und die der Sammler jetzt quasi dem Publikum vorstellt und dann immer auch in den entsprechenden Verkaufskatalogen dann auch darauf hinweisen kann, das Werk war ja so und so lange dort und dort zu sehen. Das stimmt schon.

Und es ist auch erstaunlich, dass die Auktionshäuser natürlich immer neue Ware brauchen, und ganz gezielt gibt es Leute, die auf die Sammler zugehen und sagen, willst du nicht dieses und dieses Bild kaufen. Die dann Angebote machen an bestimmte andere Sammler und sagen, wenn du jetzt das Bild aus dem Museum soundso abziehst, dann können wir dir einen Preis von soundso viel Geld dann offerieren.

Da gibt es auch ganz bewusste Vermittlungsversuche bis hin zu so absurden Beispielen, wie es mir neulich Frieder Burda, der auch eine eigene Sammlung besitzt und sich ein eigenes Haus für diese Sammlung gebaut hat, erzählte, dass nämlich ein Händler zu ihm kam und ihm sagte, willst du nicht diesen und diesen Richter kaufen, den könnte ich dir organisieren. Und er dann sagen musste, nein, der Richter gehört mir ja, der ist ja in meiner Sammlung.

Scholl: Interessant in dem Zusammenhang ist ja auch die Entwicklung, dass die Rolle der Galerien und Galeristen anscheinend schwindet, das heißt, immer mehr Sammler Kunst direkt beim Erzeuger, also beim Künstler kaufen. Auch da ist ja etwas in Bewegung geraten, nicht wahr?

Rauterberg: Das gibt es, aber natürlich versuchen die Galeristen so gut es geht, das zu verhindern. Denn sie wollen mitverdienen und weisen zu Recht darauf hin, dass sie viele unbekanntere Künstler ja erst bekannt machen und viele Künstler auch über Jahre tragen und sie finanzieren, bevor sie selber überhaupt etwas an deren Werken dann auch verdienen können.

Aber was schon auffällig ist, dass natürlich immer mehr Sammler sich entschließen, nicht mehr den Weg über das öffentliche Museum zu gehen, sondern eigene Museen gründen. In Berlin gibt es im Moment ein halbes Dutzend Häuser, die von Sammlern eröffnet werden, und da verändert sich dann die Rolle des Museums. Das Museum war ja seit dem 18. Jahrhundert, seitdem es es gibt, immer ein Ort, der zumindest idealiter ein öffentlicher Ort war, für alle gleichermaßen zugänglich, ein Ort, in dem man gemeinsam sozusagen die Kunst anguckt.

Und in dem Maße, in dem sich das jetzt privatisiert, beginnen natürlich auch unterschiedliche Spielregeln zu greifen. Also der Sammler kann letztlich darüber bestimmen, wer in sein Haus kommt, und kann bestimmte exklusive Öffnungszeiten einrichten etc. etc. Da verändert sich also im Moment tatsächlich recht viel.