Raumsonde Rosetta

Sind Bausteine des Lebens aus dem All gekommen?

Komet 67P/Tschurjumow-Gerasimenko aus der Nähe
Komet 67P/Tschurjumow-Gerasimenko aus der Nähe © ESA
Von Jennifer Rieger · 09.06.2016
Astrophysikerin Kathrin Allweg untersucht, welche Teilchen in der Gashülle des Kometen Tschuri vorkommen. Nun hat sie Glycin gefunden, ein Baustein, der auch im menschlichen Körper zu finden ist. Taugt dies als Beleg, dass es Leben auf anderen Planeten gibt?
Kathrin Altwegg: "Der ROSINA-Zoo. Eben, der findet im Wasser statt, weil ein Komet aus Wasser besteht: Wir haben die Schmetterlinge, das sind die sehr flüchtigen Stoffe, zum Beispiel Sauerstoff, O2, Stickstoff, N2..."
Neben den Schmetterlingen gibt es auch noch Giraffen, Zebras und Schildkröten im ROSINA-Zoo. Doch diese Zootiere werden nur mit Hilfe eines Massenspektrometers sichtbar - einem Instrument, mit dem sich Atome und Moleküle identifizieren lassen. Und die Zoodirektorin: Kathrin Altwegg, Professorin am Physikalischen Institut der Universität Bern:
"Dann haben wir die lustigen Tiere, das sind die Affen - das sind die Alkohole. Das sind so Eselsleitern wie ich mir die merken kann."
Mit dem Moleküle-Zoo illustriert die Astrophysikerin ihre Forschung: Sie untersucht, welche Teilchen in der Gashülle des Kometen Tschurjumov-Gerassimenko vorkommen - mit Hilfe des Messinstruments ROSINA, das an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta Daten sammelt. Altwegg ist seit Jahren hauptverantwortlich für das Messgerät und konnte ihren Zoo in dieser Zeit um mehr als das Doppelte erweitern. Und nun ist ein neuer Bewohner dazugekommen:
"Und schlussendlich eben der König der Tiere, die Aminosäure. Das ist mein momentaner Zoo."
Bei der Aminosäure handelt es sich um Glycin. Es kommt in den meisten Proteinen vor und ist damit ein Baustein des Lebens. Im menschlichen Körper ist es unter anderem im Bindegewebe zu finden, und als Signalstoff im zentralen Nervensystem.

Altwegg bestätigt Ergebnisse der Stardust-Mission

Am 15. Januar 2006 tritt die Rückkehrkapsel der Raumsonde Stardust in die Erdatmosphäre ein. Die NASA-Sonde hatte erfolgreich Staub aus der Gashülle des Kometen Wild 2 eingefangen. Nur ein paar Körnchen, aber genug um neben verschiedenen anderen Molekülen auch die Aminosäure Glycin nachzuweisen. Durch ihren Fund bestätigt das Team um Kathrin Altwegg also die Ergebnisse der Stardust-Mission. Keine ganz einfache Aufgabe, denn das Glycin ist aller Wahrscheinlichkeit nach mit Staubpartikeln verbunden. Das Messgerät ROSINA kann aber nur Gas analysieren:
"Und es muss zuerst etwas gasförmig werden, bevor wir es messen können und bei Glycin ist es nicht ganz einfach, weil die Temperatur bei der das gasförmig ist, ist 150°C, was warm ist. Und das kann eigentlich nur passieren auf den kleinen Staubkörnchen, die freigesetzt werden. Die sind schwarz, klein und die können dann von der Sonne zu hohen Temperaturen aufgeheizt werden."
Kathrin Altwegg vermutet, dass die meisten Kometen chemisch ähnlich aufgebaut sind wie Tschurjumov-Gerassimenko. Man könne davon ausgehen, dass Glycin auf allen Kometen vorkommt. Die Ergebnisse der Rosetta-Mission stützen so Theorien, dass die Bausteine des Lebens aus dem All auf die frühe Erde herabgeregnet sind:
"Das ist wahrscheinlich schon so, sonst muss man verneinen, dass je ein Komet auf die Erde geprallt ist. Wenn Kometen auf die Erde prallen, bringen sie das auch mit. Und sie haben es offensichtlich, das wissen wir jetzt."
Doch ob sich das Leben auf der Erde tatsächlich aus diesen Bausteinen entwickelt hat, das lässt sich nicht definitiv beantworten:
"Wenn man mit solchen Molekülen beginnen kann, Leben zu machen, dann ist es einfacher als wenn man mit Atomen beginnen muss, es geht ein bisschen schneller."

Existiert Leben auch auf anderen Planeten?

Einige Forscher sind sogar davon überzeugt, dass es solche Katalysatoren für die Entstehung des Lebens gegeben haben muss - sonst hätte das Leben nicht so bald nach der Geburt unseres Planeten auftauchen können. Andererseits könnte die junge Erde die Voraussetzungen für das Leben durchaus selbst geschaffen haben. Die nötigen Zutaten dafür gab es: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, Wasser und Energie. Aber Kathrin Altwegg findet das gar nicht so wichtig:
"Für mich ist viel mehr wichtig zu wissen, dass diese Moleküle existieren, universell und eben nicht nur auf der Erde. Und damit wird es wirklich sehr viel wahrscheinlicher, dass auch anderswo Leben existiert."
Und möglicherweise folgt dieses Leben ganz ähnlichen Regeln wie das irdische. Vielleicht ist es an der Zeit, die Erde nicht länger als abgeschlossenes System zu betrachten - sondern als eines, das in ständigem Austausch mit dem Kosmos steht. Denn Kometen sind fliegende Zeitkapseln, Fenster zur Geburt des Sonnensystems vor rund 4,6 Milliarden Jahren. Sie bestehen aus Gas, Eis, Staub und Gestein, die älter sind als unsere Galaxie.
"Also es ist wirklich Urmaterial. Und in Kometen bleibt das dann, die bleiben immer kalt, tiefgefroren, außerhalb von Neptun, also viel weiter außerhalb. Und dann ändert sich nichts mehr, bis sie eben ins innere Sonnensystem katapultiert werden durch irgendwelche Stöße mit anderen Körpern."
Die Rosetta-Mission geht im September dieses Jahres mit einem Spektakel zu Ende: Die Sonde wird auf Tschurjumov-Gerassimenko bruchlanden. So bekommen die Instrumente und Sensoren noch ein paar einmalige Nahaufnahmen des Kometen, den sie zwei Jahre lang begleitet haben. Doch die Daten, die dabei anfallen, werden die Wissenschaft noch jahrelang beschäftigen - und vielleicht die Artenvielfalt des ROSINA-Zoos noch weiter vergrößern.
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