Raumkünstler Gregor Schneider

"Ich will Museumsräume knacken"

"Kunstmuseum" ist der Titel von Gregor Schneiders Raumkunstwerk in Bochum, August 2014
Das Raumkunstwerk "Kunstmuseum" von Gregor Schneider, gezeigt während der diesjährigen "Ruhrtriennale" © picture alliance / dpa
Von Michael Köhler · 30.12.2014
Kann man ein Museum durch ein Abflussrohr betreten? Wie das geht, hat der Raumkünstler Gregor Schneider in Bochum gezeigt. Mit seinen Installationen sucht er einen anderen Zugang zur Kunst. Er hat ein überaus produktives Jahr hinter sich.
Der Skandal blieb aus. Als Beobachter von seinem Plan hörten, den Schutt des Mönchengladbacher Geburtshauses von NS-Propagandaminister Goebbels vor eine Warschauer Galerie zu kippen, klang es nach Eklat. Das war vor gut vier Wochen. Das Werk steht am Ende eines ungewöhnlich produktiven Jahres des Bildhauers und Raumkünstlers Gregor Schneider. Er hatte Anfang 2014 das Wohnhaus gekauft, in dem Goebbels 1897 geboren wurde. Er wollte damit „erinnern und mahnen", wie er selbst sagt. Schneider hatte das Jahr vollendet, indem er das Gebäude entkernt, zerstört und abgetragen hat. Es gab keinen Wiederaufbau oder Nachbau wie sonst bei ihm.
"Für Intoleranz gibt es von meiner Seite Nulltoleranz. Kunst ist von Grund auf, im tiefsten Sinne positiv human. Ich berufe mich auf die Grundrechte, Art. 5, Abs. 3 und solange die Arbeiten im Rahmen der Gesetze realisiert werden, spricht für mich nichts dagegen."
Geisterbahn aus dunklen Räumen
Angefangen hat er dieses Jahr mit dem Werk "Neuerburgstraße 21". Die Halle Kalk, eine Außenstelle des Kölner Schauspiels,wurde von Gregor Schneider architektonisch verwandelt: In eine Art Geisterbahn aus dunklen Räumen, in die man nur einzeln eintreten kann. Hinter dem Besucher fiel die Tür ins Schloss. Rückweg ausgeschlossen. Fast immer geht es bei ihm um existentielle Fragen nach Wegen, nach Auswegen, Irrwegen, Abwegen. So auch im Sommer, als er in Bochum, im Rahmen der „Ruhrtriennale", das Werk „kunstmuseum" realisierte.
"Hier ist nun der Haupteingang geschlossen und der Besucher wird neben das Museum geführt, zur Anlieferung. Und dort hat er die Möglichkeit über ein Abflussrohr einen Zugang in das Museum zu finden. Durch das Rohr und verschiedene Schleusen wird er dann von außen nach innen geführt. Er merkt vermutlich nicht, ab welchem Punkt er innen oder außen ist. Und dann ist er in der großen Ausstellungshalle des Kunstmuseum Bochum, die dann unsichtbar ist, da er sich ja in den Räumen befindet, in den Rohren und kommt dann unter anderem in einen Schlammraum."
Das Labyrinth des Lebens
Schlüsselworte und -erfahrungen werden hier benannt. Wir befinden uns in einer Röhre, einer Schleuse, einer Art Membran zur Außenwelt. Der Besucher fragt sich: Wo bin ich? Was ist ein Museum, was ist ein Archiv, was ist Erinnerung, was bewahren wir, was bleibt, worauf ist Verlass? Ist das ein Geburtskanal, ein Labyrinth des Lebens?
"Mir war es wichtig, auch diese Museumsräume zu knacken. Ich hab´ mir Gedanken darüber gemacht, wie kommt man in ein Museum rein, wie kommt man wieder raus? Wie kann man einen neuen Zugang schaffen, wie kann man das Museum an sich auch verändern?"
Sein herausragendes Werk in 2014 ist die „Hauptstrasse 85a" in Pulheim Stommeln, nördlich von Köln. International berühmte Künstler haben seit 1990 die ehemalige kleine Landsynagoge in der zweiten Reihe der Pulheimer Hauptstraße bespielt. Gregor Schneider hat dieses Jahr etwas Ungeheuerliches gewagt. Er hat die Synagoge verschwinden lassen. Er hat sie mit einem gelben Einfamilienhaus, mit Gardinen, Briefkasten und Garagen-Rolltor überbaut.
"Es ist ein realer Raum, der physisch vor Ort ist. Kein Mensch ist in der Lage, die Synagoge Stein für Stein zu entführen. Es ist ein Raum, der nicht mehr betretbar, aber vorhanden ist. Es ist ein neuer sichtbarer Raum, der gleichzeitig einen nicht sichtbaren Raum schafft, verbunden mit einem schwarzen Schatten. Und dadurch, dass wir jetzt sprechen, wird dieser unsichtbare Raum in unserer Vorstellung wieder sichtbar."
Wo ein Bethaus mit Frauenempore und Toraschrein war, ist ein säkulares Wohnhaus. Automatisch fragt sich der Betrachter, was war da, was weiß ich davon?
"Diese verstörende Normalität schmerzt. Das ist eine Reaktion, die eintreten kann. Ich erlebe jetzt Menschen, die suchen, die fragen, wo ist der Ort, das Gebäude, was vorher da war."
Kunst, die benutzt werden kann
Schneiders Kunst muss begangen, betreten und benutzt werden. Niemand wird dazu gezwungen. Aber es geht unter die Haut und verschreckt gelegentlich. Im Duisburger Lehmbruck Museum kam es nicht zu seinem Werk „totlast", obwohl alle Genehmigungen vorlagen. Oberbürgermeister Sören Link verbot kurzerhand das Werk, unter Hinweis auf die Love Parade Katastrophe 2010 und meinte, die Stadt sei noch nicht reif für ein Werk wie „totlast". Ausgerechnet die kalten Rauminszenierungen Schneiders bringen aber den lebendigen Körper wieder in die Kunst. Es sind Räume vor und nach unserer Zeit, Geburtsräume, Todesräume, Lebensräume. Schneiders Räume und Röhren, seine Kanäle sind zuweilen aufdringliche Umgebungen. Sie rücken zu Leibe. Wir schauen in ihnen, auf uns und in uns.
"Diese Abflussrohre wecken natürlich auch die Assoziation zu einem Verdauungstrakt."
Gregor Schneider ist ein Schleuser der Wahrnehmung, ein Architekt deutscher Angsträume. Die Theatermacher lieben ihn. Für die Berliner Volksbühne war er vielfach tätig. Eine „Liebeslaube" hat er dieses Jahr im Parkett installiert und vor die Volksbühne den Göbbels-Schutt gekippt, nachdem er in Warschau war. Wann wird endlich Katharina Wagner in Bayreuth auf ihn aufmerksam?
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