Rauminstallationen von Louise Bourgeois

Wenn der Betrachter zum Voyeur wird

Die Skulptur "Spider" von Louise Bourgeois
Die Skulptur "Spider" von Louise Bourgeois wurde 2014 in einer Ausstellung in der Staatsgalerie in Stuttgart gezeigt. © picture alliance / dpa / Foto: Bernd Weißbrod
Von Astrid Mayerle · 27.02.2015
Ihre Skulptur "Spider" hat die französische Künstlerin Louise Bourgeois mit bekannt gemacht. Fünf Jahre nach ihrem Tod zeigt das Haus der Kunst in München jetzt die erste Retrospektive ihres zentralen Werkkomplexes, die sogenannten "Cells" – "Zellen".
Eine rote Spielzeugeisenbahn, ein Xylophonkoffer und ein Kissen mit aufgestickter Schrift: je t´aime. - Ich liebe dich. Nur wer entweder durch die Ritzen der schneckenförmigen Wand hindurchblickt oder sich ein Stück über den versperrten Eingang vorlehnt, sieht diese Dinge auf einem Ehebett liegen. "Red Room (Parents)" nannte Louise Bourgeoise diesen mysteriösen Raum, dem wie vielen ihrer Arbeiten Prinzipen des Verbergens und Entbergens, des Versteckens und Offenbarens eingeschrieben sind. Dass hier der Betrachter zum Voyeur wird, zum Spion auf der Spur persönlicher Geheimnisse, bringt die Kuratorin Julienne Lorz mit der Familiengeschichte der Künstlerin in Verbindung.
"…weil es einfach so viele Geheimnisse in ihrer Familie gab. In den 20er-Jahren kam ein Au Pair in die Familie, um den Kindern Englisch beizubringen. Der Vater fing eine Affäre mit ihr an. Und die Frau hat zehn Jahre in der Familie gelebt. Ihre Mutter hat jedenfalls drunter gelitten, das wird eines der Geheimnisse sein."
Ein anderes: die Mutter versuchte auch noch vor dem neurotischen Herzensbrecher mit der Hilfe ihrer Tochter zu verbergen, dass sie krank war. Anderthalb Jahre bereiteten das Team des Hauses der Kunst zusammen mit Jerry Gorowoy die Ausstellung vor. Gorowoy war von 1980 bis zu ihrem Tod 2010 der persönliche Assistent der Künstlerin:
"The idea was, this exhibition bringing together this particular body of work that is called ´The Cells`…"
Die Idee für die Ausstellung bestand darin, diesen Werkkomplex, der so genannten "Zellen" zusammenzufügen. Wir begannen mit einer Checkliste, gleichsam dem Herz dieses Komplexes. Danach richtete sich die Auswahl all der anderen Werke, die sich auf die Entwicklung der "Zellen" beziehen, so Jerry Gorowoy.
Alle Zellen definieren einen Raum
"Zelle" nannte Louise Bourgeois ab 1991 Installationen, die wie kleine Bühnenbilder erscheinen, aber zu allen Seiten gerahmt sind – anfangs massiver, von Paravents und Türen, später durchlässiger, von Metallgittern. Allen Zellen ist gemein, dass sie einen Raum definieren, der wie eine emotional aufgeladene Kapsel wirkt. Manche Zellen gleichen einem Wohnraum, etwa einem Schlafzimmer, andere erscheinen eher wie Erinnerungskapseln, bestückt mit Objekten aus der Kindheit der Künstlerin:
Kleider, Stühle vom Dachboden der Familie, Fadenspindeln aus der Tapisserie, wo die Mutter Teppiche restaurierte. Wer die Zellen umrundet, gewinnt den Eindruck räumlicher Kaleidoskope, die sich mit jedem Schritt ändern. Denn das stark gedimmte Deckenlicht bricht sich in Spiegeln, auf Vasen und Glasgugeln, und wirft die gesamte Szenerie noch einmal in verzerrten Schlagschatten gegen Wände und Boden. Hinter dieser faszinierend geheimnisvollen Lichtregie steckt jemand, der die Werke seit ihrem Entstehen kennt und genau weiß, wie Bourgeoise selbst sie inszeniert hätte. Jerry Gorowoy:
"Ich mochte es sehr, allein im Studio zu sein, während sie nebenan war. Ich mochte die Stille, während sie arbeitete. Irgendwann rief sie mich dann und zeigte mir, was sie gerade gemacht hatte, dann gingen wir essen und redeten. Das war eine Art, das Leben zu teilen."
In einem Video im letzten Raum der Schau tritt die Künstlerin selbst auf. Mit jeder Geste bestätigt sich noch einmal die wuchtige Tabulosigkeit, von der auch die Zellen im erzählen – von Ängsten, Familientraumata und einer offensiven Körperlichkeit. In einer Gegenwart, die als weibliches Rolemodel gerade die Botox konstruierte Einheitsfrau zum Schönheitsideal erhebt, erscheint die 80-jährige Louise Bourgeois in diesem Video, mehr denn revolutionär: mit beiden Händen fasst sie sich lachend und beherzt an ihre schweren Brüste und meint, denen könne sie nun wirklich vertrauen.
Die Ausstellung "Strukturen des Daseins: Die Zellen" von Louise Bourgeois ist noch bis zum 2. August im Münchener Haus der Kunst zu sehen.
Mehr zum Thema