Rauhut: Besser Master- als Bachelor-Abschluss

Moderation: Holger Hettinger |
Der Rektor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, Burkhard Rauhut, hat vor einem Mangel an Spitzenkräften in technischen Berufen durch das neue Studiensystem von Bachelor und Master gewarnt. Die Hochschulen, die stark in der Forschung seien, sollten anstreben, ihre Studenten fünf Jahre bis zum Master auszubilden, betonte er.
Hettinger: Herr Rauhut, die neuen Studiengänge sollten das Studium nicht zuletzt schneller und einfacher machen und den Berufseinstieg erleichtern. Klappt es überhaupt Ihrer Einschätzung nach?

Rauhut: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen den unterschiedlichen Fächern. Das generell so zu sagen, glaube ich, ist nicht zulässig. Wenn ich als Rektor der Technischen Hochschule Aachen rede, dann meine ich in diesen Fällen im Wesentlichen die Ingenieur- und Naturwissenschaften. Das muss man, glaube ich, vorausschicken. Und in diesem Falle ist es so, dass man auch dort wieder unterscheiden muss, wie die Arbeitsplätze nun in den Unternehmen sind. Dort gibt es sicher welche, die, sagen wir, mit relativ kurzer Ausbildung von sechs Semestern besetzt werden können. Es gibt aber andererseits, und gerade in Deutschland brauchen wir das, eine ganze Reihe von Arbeitsplätzen, möchte ich mal sagen, wo ein dreijähriges Studium nicht ausreicht. Und dort genau können die Probleme auftreten.

Hettinger: Verstehe ich Sie richtig, dass die Studierenden, die mit einem Bachelor-Abschluss dann ins Berufsleben einsteigen, dann irgendwann an einen Punkt kommen, wo es nicht mehr weitergeht, weil die studienmäßige Qualifikation hier nicht ausreicht?

Rauhut: Genau das. Im Prinzip brauchen wir ja gerade bei der heutigen schnellen Entwicklung der verschiedenen Wissenschaften, insbesondere auch in der Technik, eine gewisse Grundlage, die eine Zeit lang hält. Und wenn diese Grundlage nicht da ist, ist man bald am Ende nicht des Lateins, sondern der Kenntnisse, die man für Weiterentwicklungen braucht. Und insofern muss man unterscheiden, wie gesagt, für welche Aufgaben die Leute eingesetzt werden sollen, und da gibt es eine Reihe von Aufgaben, die eine längere Ausbildung notwendig machen, und das ist früher der klassische Diplomingenieur oder Diplomphysiker oder Diplomchemiker gewesen. Jetzt muss es dann eigentlich der Master sein.

Hettinger: Nun gibt es ja etliche Stimmen, die sagen, dass das Berufsleben für Techniker in Deutschland so kompliziert geworden ist, dass eigentlich keine Hochschule in der Lage ist, hier punktgenau auszubilden, dass also mehr oder weniger die Hochschule eine Grundlagenausbildung bieten soll und dann im Unternehmen ganz gezielt qualifiziert wird, um dann, ja, eine passgenaue Ausbildung in dem jeweiligen Unternehmensverbund zu erreichen. Bachelor und Grundlage, das war ja eigentlich ein Pärchen, das Hand in Hand geht. Funktioniert das?

Rauhut: Das funktioniert ja genau nicht. Sie haben genau diesen Widerspruch formuliert. Die Grundlage im Bachelor würde bedeuten, dass man nicht punktgenau für irgendeinen Beruf ausbildet. Insofern ist berufsqualifizierend für uns auch nicht die richtige Beschreibung. Im Bologna-Prozess stand ursprünglich in dem Papier drin "employability", das heißt berufsbefähigend oder einsatzfähig, aber nicht, sagen wir, für jeden Bereich tatsächlich fertig ausgebildet. Das ist genau das, was wir brauchen. Wir brauchen eine Grundausbildung, die aber dann nicht zum Beruf führt, weil etwas fehlt, was den Anwendungsbezug ausmacht, und das ist das, was im Master kommt.

Hettinger: Wie steht das im Zusammenhang mit Ihrer These, dass dieses System von Bachelor und Master wissenschaftliche Spitzenleistungen verhindert?

Rauhut: Wissenschaftliche Spitzenleistungen nicht unbedingt, wenn es wenige betrifft, aber in der großen Menge, wo wir die Forschung brauchen, kann es zu großen Schwierigkeiten führen mit folgendem Szenario: Es ist so, dass in guten Zeiten die Industrie die Leute mit dem Bachelor schon aus dem Studium herausholen wird, einfach weil sie sich die Leute sichern will. Dann müssen wir aus dem Ausland uns die entsprechenden Master- und Doktorandenstudierenden holen, um unsere Forschung betreiben zu können. Dann gehen diese Leute zurück mit einer guten Ausbildung, und in Deutschland werden wir dann produzieren und forschen und entwickeln mit weniger gut ausgebildeten, nämlich nur dreijährig ausgebildeten Leuten. Diese Diskrepanz muss man in der Zukunft sehen, und ich hoffe, dass die Politik das auch so sieht.

Hettinger: Was wäre denn da zu tun, um hier Abhilfe zu schaffen?

Rauhut: Man muss durchaus, denke ich, von Seiten der Politik unterscheiden die verschiedenen Ausbildungsstränge, die wir haben. Wir haben ja nicht zu Unrecht ein sehr gut ausgebildetes System von Fachhochschulen auf der einen Seite und Universitäten auf der anderen Seite. Die einen, und das war die Aufgabe, waren dazu da, wirklich die Leute auszubilden, die man jetzt mehr oder minder punktgenau braucht. Bei den anderen ist die langfristige Perspektive da. Wissen Sie, Grundlagenforschung ist so etwas wie ein Kapital auf der Bank, von deren Zinsen man später leben will. Und irgendjemand muss diese Grundlagenforschung betreiben, und das sollte bei der Politik dann auch der Anlass sein zu sagen, die Universitäten, die besonders forschungsstark sind zum Beispiel, sollten massiv den Master ausbilden und nicht den Bachelor als Endstufe ansehen.

Hettinger: Nun war es doch schon immer so, dass nur wenige Absolventen wirklich wissenschaftliche Spitzenleistungen erbracht haben oder sich aktiv in die Forschung eingebracht haben. Die anderen haben sich mehr oder weniger notgedrungen durchgequält durch das System im Diplomstudiengang. Ist das System von Bachelor und Master nicht auch flurbereinigend für diejenigen, die wirklich spitze sind?

Rauhut: Ihre Aussage ist so nicht ganz korrekt, die trifft nur wieder auf einzelne Fächer zu. Wenn Sie sich die Ingenieurstudierenden ansehen und auch in Naturwissenschaften, dann ist es so, dass viele von denen relativ früh aufgeben, der Rest aber das bis zum Ende durchmacht und dort dann mit der Forschung stets in Berührung kommt beziehungsweise die Forschung treibt. Man muss doch eins sehen: Die Doktoranden sind eigentlich die Träger der Forschung in Deutschland.

Hettinger: Nun ist es ja sicher schön, wenn man einen Stamm von Hochschulabsolventen auf hohem Niveau hat. Allerdings können Sie sicherlich auch verstehen, dass es bei der derzeitigen Situation auf dem Arbeitsmarkt doch auch Menschen gibt, die sagen, ich will eigentlich so schnell wie möglich in den Job?

Rauhut: Völlig richtig, und das soll ja auch nicht irgendwie verhindert werden. Nur man muss, und das ist ja die Diskussion im Augenblick überhaupt in Deutschland, unterscheiden zwischen verschiedenen Typen der Ausbildung für diejenigen, die schnell da rein wollen, und diejenigen, die eine gründlichere Ausbildung machen wollen, weil sie, sagen wir, höhere Ziele haben bezüglich Forschung und Entwicklung. Insofern widerspricht sich das nicht. Die jungen Leute können ihre Entscheidung treffen, sie sollten aber vorher wissen, was auf sie zukommt.

Hettinger: Ist es gerade für diese Bewerber, die sich für die Wissenschaft interessieren, eigentlich eine interessante Sache, an der Hochschule zu verbleiben, oder verliert man da nicht auch Zeit?

Rauhut: Die Forderung zum Beispiel von der Industrie, die häufig gestellt wird, dass die Leute relativ jung sein sollen, steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass sie gut ausgebildet werden sollen und von der Industrie sogar noch zusätzliche Fähigkeiten gegenüber den jetzigen verlangt werden. Zeit als solches ist hier nicht ein bestimmender Faktor, sondern was in Deutschland generell zu kurz kommt, ist die Diskussion über das Qualitätsniveau derjenigen, die die Hochschule verlassen. Das ist nicht eine Frage der Zeit, ob das früher oder später ist, sondern schlicht und einfach, was können die, wenn sie die Hochschule verlassen.

Hettinger: Das ist also auch ein strukturelles Problem. Ist diese Struktur mit der Einführung von Bachelor und Master geändert worden oder hat man da einfach nur Grundstudium und Hauptstudium umetikettiert, was die Naturwissenschaften anbetrifft?

Rauhut: Nein, der größte Vorteil dieser neuen Struktur liegt darin, dass sich praktisch alle Fakultäten jetzt genau Gedanken gemacht haben, was passt denn jetzt noch rein. Es ist durchaus wahr, dass in der Vergangenheit einiges mitgeschleppt wurde, was man eventuell auch hätte weglassen können, was man denn bei einem normalen Durchgang nicht tut. Jetzt ist eine völlige Neuorientierung insofern eingetreten, als man sich genauer Gedanken machen muss, was passt in drei Jahre und was passt in zwei weitere Jahre. Insofern war das schon ein sehr großer Vorteil, dass diese Struktur jetzt so eingeführt wurde.

Hettinger: Sie haben eben gesagt, die Politik ist in der Pflicht, hier regulierend auch einzugreifen. Was können denn die Hochschulen selbst tun, damit die Studierenden erhalten bleiben und weiter forschen?

Rauhut: Die Studienbedingungen attraktiv zu machen, nach außen zu kommunizieren, was das Profil und das Ziel einer Hochschule ist, und das wird sich in der Zukunft erweisen, dass diese Ziele von den einzelnen Hochschulen sehr unterschiedlich gesehen werden.

Hettinger: Von welchen Dimensionen reden wir hier eigentlich, wenn Sie sagen, da fehlen Spitzenkräfte, die die Forschung vorantreiben?

Rauhut: Sie kennen die Zahlen im Augenblick, die letzten Zahlen waren, glaube ich, 40.000 Ingenieure zum Beispiel, die fehlen, und dabei ist es durchaus so, dass das Leute sind, die im Wesentlichen auch die gute, längere Ausbildung haben. Dieses Verhältnis von Fehlenden und Vorhandenen wird sich noch weiter verschlechtern, weil wir ja durchaus die Tendenz in Deutschland sehen, Natur- und Ingenieurwissenschaften als Studium zu vermeiden.

Hettinger: Und wie sieht das die Industrie? Die schaut ja schon sehr genau, was hat dieser Mensch, der sich hier bewirbt, was hat der gemacht. Lange Studienzeiten oder lange Verweildauer auf der Universität gilt ja hier nicht gerade als Ausweis von Zielstrebigkeit und Geschwindigkeit.

Rauhut: Das ist wieder genau die Frage, die ich eben erörtert habe. Die Industrie sieht das durchaus differenziert, wenn eine längere Studienzeit einhergeht mit entsprechend besserer Ausbildung, sprich Forschungsprojekten, Projektmanagement, eigene Forschungsprojekte durchgeführt zu haben in der Zeit, dann guckt die Industrie mehr darauf, was wirklich rauskommt als auf die Zeit. Ein Jahr mehr und Besseres getan zu haben, ist dann sicher besser, als kurz studiert zu haben und ein weniger hohes Qualitätsniveau zu haben.

Hettinger: Vielen Dank für das Gespräch!