Mythos Rauhnächte

Wenn das Jahr sich in Rauch auflöst

Kräuter werden in einer Duftlampe über einem Teelicht verbrannt. Der Rauch steigt nach oben.
Weihrauch und andere Kräuter gegen böse Geister? In den Rauhnächten geht wohl vor allem darum, Energie und Stärke fürs neue Jahr zu bekommen. © picture alliance / blickwinkel / F. Hecker / F. Hecker
29.12.2023
Rauhnächte - das klingt nach Dunkelheit, nach Schnee und eisigem Wind. Rituale und Bräuche ranken sich darum. Es sind die zwölf Nächte zwischen Weihnachten und dem 6. Januar, und viele nutzen diese Zeit "zwischen den Jahren" für die innere Einkehr.
Die Tage zwischen Weihnachten und dem Beginn des neuen Jahres erleben viele von uns  als einen merkwürdigen Zustand zwischen Besinnung („Wie war das alte Jahr?“), Ungewissheit („Was kommt wohl im nächsten Jahr“), Lethargie („Das Jahr hat mich müde gemacht“), Hoffnung und Tatenfreude („Im nächsten Jahr wird vieles anders“).
Der Begriff „zwischen den Jahren“ fängt diese mentale Hängepartie in der kalten Jahreszeit ganz gut ein. Diese Tage werden auch als „Rauhnächte“ (oder "Raunächte") bezeichnet. Was steckt eigentlich dahinter?

Was sind die sogenannten Rauhnächte?

Im europäischen Brauchtum wird ein Zeitraum von zwölf Nächten zwischen dem 21.12. bis Neujahr oder, je nach Region, zwischen dem 24.12./25.12 bis 5./6. Januar (Heilige Drei Könige) als Rauhnächte bezeichnet. Bei "rauh" beziehungsweise „rau“ denkt man an Kälte, Dunkelheit, Stürme, Eis und Schnee, die, zumindest in früheren Zeiten, tatsächlich typisch für diese Zeit im Jahr waren
Nach dem Volksglauben zogen sich „die stürmischen Mächte der Mittwinterzeit in der Nacht auf den 6. Januar zurück, die ‚Wilde Jagd‘ begab sich am Ende der Rauhnächte zur Ruhe“, so kann man es in Manfred Becker-Hubertis „Lexikon der Feste und Bräuche“ nachlesen. Und: Die Rauhnächte galten, gemäß Bauernregel, ebenso als bestimmend für das Wetter der kommenden zwölf Monate.

Die unbestimmte Zeit dazwischen

Der Begriff  „Zeit zwischen den Jahren“ für diese unbestimmten Tage bezieht sich übrigens auf eine Lücke zwischen Mond- und Sonnenkalender. Das Mondjahr ist nur 354 Tage lang, elf Tage fehlen zum astronomisch korrekten Jahreslauf der Sonne. Bevor der Gregorianische Kalender ab dem 16. Jahrhundert die Zeitzählung vereinheitlichte, endete das alte Jahr in weiten Teilen Europas mit dem 24. Dezember. Das neue begann am 6. Januar. Die fehlenden elf Tage – oder zwölf Nächte – wurden einfach hinten angehängt. Deshalb sprechen wir von „zwischen den Jahren“.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Diese zwölf Nächte sind jedoch keine Erzählung der christlichen Kirchen, sie entstanden irgendwo an der Schnittstelle zwischen Dämonenglaube und Christentum und beschäftigten schon im Mittelalter die Menschen, bestätigt die Brauchtumsforscherin Lisa Maubach: „Menschen haben versucht sich diese Zeit zu erklären, und dies dann über mythologische Sagen und Gestalten, die Stürme herbeigebracht haben. Dass das wilde Dämonen sind, die über den Himmel ziehen und die Winde mitbringen. Und auch für Unheil sorgen, zum Beispiel für Eisregen.“
Dass die Rauhnächte etwas Angstbesetztes waren, ist nachvollziehbar, denn in früheren Jahrhunderten war vor allem das Leben der Bauern vom Wetter abhängig, buchstäblich: Missernten bedeuteten den Hungertod. So seien die Rauhnächte auch ein Anlass gewesen, um gutes Wetter für gute Ernten im kommenden Jahr zu erbitten, erläutert Maubach.

Welche Bräuche und Vorstellungen sind damit verbunden?

Um die als eisige Winde übers Land fegenden Geister und Dämonen nicht zu erzürnen oder gar an das eigene Haus zu binden, galt es in früheren Zeiten einige Rituale und Bräuche zu befolgen, die sich teilweise bis heute, zumindest in Ansätzen, erhalten haben. So verließen die Menschen in dieser Zeit möglichst nicht das Haus, dem Gesinde war es nicht erlaubt, draußen zu arbeiten.
Auch Wäsche zum Trocknen aufzuhängen, war ein Tabu: Konnten sich doch die vorbeiziehenden Dämonen darin verfangen, und ein Leinentuch (= Leichentuch) auf der Wäscheleine konnte gar als Vorbote für Todesfälle in der Familie gedeutet werden.
Bauern ließen ihr Haus und die Ställe mit Weihrauch und anderen Kräutern ausräuchern - das sollte missgünstige Geister vertreiben.
Aber: Die Rauhnächte waren seit jeher auch eine Zeit der inneren Einkehr und des Nachdenkens über das, was war und das, was kommen mag. Somit haben sie also durchaus auch etwas Konstruktives.

13 Wunschzettel für ein Orakel

In diesen Zusammenhang passt das Wunsch-Orakel: 13 Zettel werden mit je einem Wunsch beschriftet und in einen Topf geworfen. Zwölf davon werden – in jeder Rauhnacht einer – gezogen und anschließend verbrannt, damit die Geister sich um die Erfüllung kümmern mögen. „Den 13. behält man – für die Erfüllung dieses Wunsches ist man selbst zuständig“, sagt Brauchtumsforscherin Maubach.
Eine Abwandlung des Orakels ist das Bleigießen in der Silvesternacht. Auch wenn die meisten Bleigießer behaupten: "Das ist doch alles nur ein Gag" - das Ritual um die im Wasser erstarrenden Metallklumpen ist nach wie vor sehr beliebt. Und insgeheim freut sich wohl jeder, wenn sein Gebilde als "Liebe", "Gesundheit" oder "viele Reisen" gedeutet wird.

Ist das nur Aberglaube oder steckt mehr dahinter?

Wenn Menschen im Haus bleiben, enger zusammenrücken und im spärlichen Kerzen- oder Kaminfeuerschein gemeinsam dem Heulen des Windes lauschen, ist das eine Steilvorlage für den oben beschriebenen Aberglauben. Doch dahinter steckt auch das, was uns heute noch in dieser Endphase des Jahres umtreibt: Wir denken nach und bereiten uns auf das kommende Jahr vor.
Manch einer und manche eine nutzt das Jahresende auch gerne, um, fernab vom Silvestertrubel, spirituelle Erfahrungen bei einem Meditations- oder Yogaretreat zu sammeln. Und ob man nun an die magische Bedeutung glaubt oder nicht: Die Rauhnächte können so oder so ein Anlass zur Reflexion und Neuausrichtung sein.

Warum gibt es aktuell so viel Interesse daran?

Nach Beobachtung von Brauchtumsforscherin Lisa Maubach erlebte der Mythos Rauhnächte in der Zeit der Coronapandemie eine Art Renaissance. "Ich denke, das hat etwas damit zu tun, dass wir vor zwei, drei Jahren eine Zeit lang sehr auf uns selbst zurückgeworfen waren - weil das Rausgehen, sich Ablenken und das gemeinsame Feiern nicht stattgefunden hat."

Corona und die Rauhnächte

Viele Menschen hätte aus dieser Stimmung heraus ausgiebig im Netz recherchiert und seien auf die Rituale und Bräuche rund um die Rauhnächte gestoßen. Und etliche versuchten es in der Notsituation der Pandemie mit innerer Einkehr. Vielleicht auch verbunden mit der Selbstvergewisserung: Es kann nur besser werden.
Und aktuell? Da komme es natürlich auch häufig vor, dass man sich nach der turbulenten Weihnachtszeit ein wenig zurückziehen möchte, sagt Maubach. Und in ihrem eigenen Freundeskreis werde zum Beispiel das 13-Wünsche-Orakel praktiziert.

Lernen, wie man richtig räuchert

Wer sich dem Thema Rauhnächte über Rauch und Gerüche nähern will, findet auch dafür Anleitung: Im Netz muss man nicht lange nach Anbietern von Kräuter- und Räucherseminaren suchen.
Doch ob Orakel, Räuchern oder Meditation: "Wie kann ich das Alte abschließen und das Neue beginnen?" - diese Frage ist offenbar zeitlos.

mkn
Mehr zum Thema Jahreswechsel