Raubkunst-Spezialistin: Kunsthandel hätte argwöhnisch werden müssen

04.11.2013
Mit der Ausrede "Ich habe nichts mehr, es ist alles verbrannt" seien Kunsthändler nach dem Zweiten Weltkrieg bei Entnazifizierungsverfahren davongekommen. So lagerten noch heute große Bestände von NS-Raubkunst in Privatbesitz, sagt die Kunsthistorikerin Meike Hopp. Bedenklich sei, dass der Kunsthandel bei Verkäufen lange keinen Verdacht schöpfte.
Frank Meyer: Bayrische Zollfahnder sind auf diesen Kunstschatz gestoßen: 1500 Werke. Einige Schätzungen sprechen von einem Marktwert von einer Milliarde Euro. Dieser Schatz mit Werken von vielen Meistern der Avantgarde lagerte in der Münchner Privatwohnung eines Rentners: Cornelius Gurlitt. Das ist der Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, einer Schlüsselfigur im Handel mit der sogenannten entarteten Kunst in der NS-Zeit. Über die Hintergründe dieses Sensationsfundes reden wir jetzt mit der Kunsthistorikerin Meike Hopp, die schon lange die Geschichte der NS-Raubkunst erforscht. Guten Tag, Frau Hopp!

Meike Hopp: Guten Tag!

Meyer: Was haben Sie denn gedacht, als Sie von diesem Fund, 1500 Werke, gehört haben?

Hopp: Es ist natürlich ein sensationeller Fund, weil einfach die Masse ist überwältigend, also dass doch so viele Bilder und so viele Werke noch an einem Platz lagerten und das über all die Jahre hinweg, das ist schon sensationell.

Meyer: Und man fragt sich natürlich nun: Warum ist das niemandem aufgefallen, dass diese Werke verschwunden sind oder dass sie an diesem Ort sein könnten? Es hat sich ja herausgestellt nach den bisherigen Nachforschungen, dass 300 Werke aus diesem Fund verschollene Werke aus der "entarteten" Kunst sind, für weitere 200 Bilder liegen offizielle Suchmeldungen vor, das heißt, nach vielen dieser Bilder wurde schon gesucht. Können Sie sich erklären, dass man offenbar bisher nicht bei den Erben des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt nachgefragt hat?

Hopp: Ja, das ist natürlich ein Schicksal, das solche Werke sehr oft nehmen, weil in den Jahren direkt nach dem Krieg, also Ende der 40er-, Anfang der 50er-Jahre, vor allen Dingen, als diese Spruchkammerverfahren, die Entnazifizierungsverfahren gelaufen sind, oftmals nicht wirklich sukzessive überprüft wurde, ob bei den Händlern, ob bei den Sammlern noch Werke vorhanden sind, und wenn damals die Aussage getroffen wurde 'Ich habe nichts mehr, es ist alles verbrannt', wurden oft die Verfahren eingestellt. Und so kam das dann nie ans Tageslicht, dass noch große Bestände eben im Privatbesitz noch immer lagern.

Meyer: Aber wie kann es überhaupt sein, dass Hildebrand Gurlitt, also der Kunsthändler aus der NS-Zeit, noch so enorme Bestände hatte zum Kriegsende?

"Von jüdischen immigrierenden Sammlern Werke abgekauft"
Hopp: Wir können bis jetzt ja nur spekulieren. Es ist ja auch zum Verfahren und zu den Ermittlungen im Moment noch nicht sehr viel bekannt. Aber ich nehme an, dass Hildebrand Gurlitt zum einen natürlich aus diesen NS-Depots heraus, in denen eben die "entarteten" Kunstwerke lagerten, heraus kaufen konnte. Zum anderen nehme ich aber auch an, dass er eben in großem Maße auch von jüdischen immigrierenden Sammlern Werke abgekauft hat, das hat er ja auch selber ausgesagt, und eben somit natürlich den Immigrierenden es ermöglicht hat, die eher diskriminierenden Steuern und Abgaben zu bezahlen und gleichzeitig natürlich aber auch sich so eine große Sammlung an Kunstwerken anhäufen konnte.

Und es sind ja auch nicht nur "entartete" Objekte, also die, in Anführungsstrichen, "entarteten" Kunstwerke, wie sie damals bezeichnet wurden, sondern es sind ja auch, soweit ich das gelesen habe, Altmeister drunter. Also es ist einfach eine sehr, sehr große Sammlung eben, die man jetzt im Einzelnen überprüfen muss auf die Provenienzen, auf die Herkunft der Bilder.

Meyer: Und man hat bisher diese Aussage von Hildebrand Gurlitt geglaubt, all dies wäre im Krieg verbrannt?

Hopp: Ich denke, dass man davon ausgegangen ist und deswegen das nie sonderlich überprüft hat, aber dass über die Jahre hinweg von Hildebrand Gurlitts Sohn natürlich immer wieder Bilder verkauft worden sind, ist schon eigentlich ein Fakt, wo man sagen muss: Da hätte mal jemand stutzig werden müssen, da hätte mal jemand vielleicht etwas bemerken müssen oder man hätte schon früher auch vonseiten des Kunsthandels da vielleicht argwöhnisch werden müssen.

Meyer: Vonseiten des Kunsthandels, also Sie meinen, die Auktionshäuser hätten da mehr nachfragen müssen oder sich vielleicht an andere Stellen, an welche zum Beispiel, wenden müssen?

Hopp: Es ist natürlich schwierig, weil die Provenienzforschung erst in den letzten Jahren wirklich diese massiven Fortschritte gemacht hat, Datenbanken heute zur Verfügung stehen wie die Datenbank Lost Art oder auch die Datenbanken der Linzer Bestände, der Sammlung Göring, die alle heute verfügbar sind, und das war natürlich vor ein paar Jahren noch nicht der Fall.

Also es war auch massiv schwierig bis vor ein paar Jahren, solche Dinge überhaupt nachzuvollziehen, weil man eben keine Handhabe hatte oder keine Mittel, um selber Nachforschungen zu betreiben. Und das ist jetzt eben doch inzwischen der Fall, und man kann gerade mit solchen Datenbanken nun arbeiten, und das sollte auch von allen Seiten und vor allen Dingen auch vom Kunsthandel her auch getan werden.

Meyer: Ein Teil dieser Geschichte ist ja nun auch, dass die Beschlagnahme durch den bayrischen Zoll schon eine ganze Weile zurückliegt und seitdem geheim gehalten wurde. Was halten Sie von der Geheimhaltung in so einer Angelegenheit?

"Mit Enkeln, Nichten, Neffen teilweise 20 Anspruchsberechtigte"
Hopp: Es gibt natürlich immer zwei Seiten der Medaille: Das eine ist natürlich, jetzt diesen Fund gemacht zu haben und jetzt endlich herausfinden zu können, wo die Bilder möglicherweise herkommen, wer möglicherweise noch Anspruch drauf hätte. Aber es ist natürlich auch so, dass Sie sowohl die aktuelle Rechtslage im Moment noch nicht geklärt haben. Und natürlich ist es auch so, dass auch nicht alle Anspruchsberechtigten ohne Weiteres zu finden, zu eruieren sind. Heute gehen wir davon aus, dass die Anspruchsberechtigten von damals geschädigten Immigrierenden oder gar Opfern des NS-Regimes in der dritten Generation zum Teil weit über den Erdball verstreut sind, dass Sie nicht mehr nur zwei, drei Anspruchsberechtigte haben, sondern dass Sie mit Enkeln, Nichten, Neffen heute inzwischen teilweise 20 Anspruchsberechtigte haben in einem einzigen Fall. Und da muss man natürlich auch sorgfältig recherchieren, da muss man auch sehr vorsichtig vorgehen, mit umgehen, überprüfen, und das ist natürlich auch ein berechtigter Grund, so was auch geheim zu halten und erst mal nicht an die große Glocke zu hängen, sondern erst einmal in Ruhe zu prüfen und zu sehen: Wie ist die Rechtslage und was können wir jetzt als nächste Schritte in Angriff nehmen?

Meyer: Es heißt nun in mehreren Zeitungsberichten, dass Cornelius Gurlitt diese beschlagnahmten Werke oder einen großen Teil davon eventuell auch zurückbekommen könnte, was einen ja erstaunt, wenn man daran denkt, dass es sich um NS-Raubkunst zumindest handeln könnte. Wie kann das sein?

Hopp: Es ist ja nicht klar, ob tatsächlich alles NS-Raubkunst ist bzw. wie viele Objekte davon tatsächlich NS-Raubkunst sind. Es gibt auch eben diejenigen Objekte, die nicht von Privatpersonen geraubt oder beschlagnahmt wurden, sondern die aus deutschem Museumsbesitz beschlagnahmt wurden, und das ist natürlich, wenn der Staat seine eigenen Werke verkauft, ist das in erster Linie einmal rechtsgültig. Und ich denke, das ist auch eben einer der Problemfälle, die wir hier haben, dass wir das erste Mal so einen doch enormen Fund an Werken und Gemälden haben, die eben, ja, aus solchen Konvoluten, aus solchen Beständen kommen, mit denen bisher noch nicht in dieser Masse gearbeitet wurde.

Meyer: 1500 Kunstwerke, viele von großen Meistern der Avantgarde, wurden in einer Münchner Wohnung beschlagnahmt. Wir haben darüber gesprochen mit der Kunsthistorikerin Meike Hopp, Expertin für NS-Raubkunst. Frau Hopp, vielen Dank für das Gespräch!

Hopp: Ich danke Ihnen!

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