Raubkunst in vermüllter Rentnerwohnung

Markus Krischer im Gespräch mit Christopher Ricke · 04.11.2013
Der Rentner Cornelius Gurlitt, in dessen Wohnung vermisste Werke der klassischen Moderne entdeckt wurden, hat diese aus dem Bestand seines Vaters Hildebrand Gurlitt übernommen, der in der Nazi-Zeit Kunsthändler war. Weitere Werke wurden offenbar auf dem Kunstmarkt zu Geld gemacht, sagt der Journalist Markus Krischer vom "Focus", der die Geschichte aufdeckte.
Christopher Ricke: Markus Krischer ist der stellvertretende Chefredakteur des Magazins "Focus", das die ganze Geschichte aufgedeckt hat. Guten Tag, Herr Krischer!

Markus Krischer: Ich grüße Sie, Herr Ricke!

Ricke: Ich sehe mehrere Dimensionen, unter anderem eine künstlerische und eine politische. Wie groß sind die beiden denn aus Ihrer Sicht?

Krischer: Ja, zunächst sehe ich jetzt auch die politische Dimension, der Fall betrifft verschiedene Behörden. Und es kann jetzt nicht mehr nur juristisch beurteilt werden, ob sich Cornelius Gurlitt strafbar gemacht hat oder nicht. Ich glaube, im Zusammenhang mit dem Besitz der Bilder hat er sich nicht strafbar gemacht. Und ich gehe davon aus, dass die Politik jetzt Lösungen suchen muss, dem Cornelius Gurlitt klarzumachen, dass er moralisch verpflichtet ist, die Bilder zurückzugeben, sodass der Staat dann restituieren, also zurückgeben kann an die Nachfahren der alten Eigentümer.

Ricke: Warum, glauben Sie, hat man sich denn in den vergangenen Jahren bei den Behörden so sehr bedeckt gehalten?

Krischer: Eben aus diesem Grund. Es ist juristisch eben ein hochkomplexer, möglicherweise auch verfahrener Fall. Die Behörden wollen es nicht oder wollten es nicht öffentlich machen, weil sie sich möglicherweise nicht blamieren wollten und dann, wenn es dann darum geht, die Bilder zurückzugeben, dann den alten Eigentümern klarzumachen, dass sie eigentlich keine juristische Handhabe haben.

Ricke: Nun ist der Fall aber publik, publik gemacht haben Sie ihn. Wann haben Sie denn davon erfahren und wie haben Sie sichergestellt, dass alles so stimmt, wie Sie es schreiben?

Krischer: Na, wir sitzen jetzt schon eine ganze Weile an der Geschichte, insbesondere mein Kollege hat vor einem Jahr etwa die Informationen bekommen und dann weiter recherchiert. Und wir haben insbesondere natürlich versucht, über die Person Cornelius Gurlitt mehr zu erfahren, über seinen Vater Hildebrand, natürlich auch an ihn heranzukommen.

Wir haben auch versucht, mit allen beteiligten Behörden zu sprechen, natürlich mauern die auch und schweigen, aber nicht jedes Schweigen ist ein wirkliches Schweigen, man kommt dann eben doch ein bisschen weiter. Und im September, im vergangenen September gab es ein wichtiges Symposium in Berlin zum Thema entartete Kunst, da hatte eine beteiligte Forscherin in einem Nebensatz fallen lassen, dass man wichtige Dokumente im Fall Gurlitt gefunden habe, und das war natürlich etwas, wo wir dann noch mal hellhörig geworden sind und noch mal rangegangen sind. Und jetzt dann, in der vergangenen Woche, war die Geschichte rund, und dann haben wir beschlossen, sie zu machen.

Ricke: Diese Geschichte ist auch die Geschichte eines alten Manns, der mit seinen Kunstwerken seit Jahrzehnten in einer sehr vermüllten Wohnung lebt. Hatten Sie oder hatte Ihr Kollege persönlichen Kontakt zu ihm und war auch in dieser Wohnung?

"Ich glaube, dass die Bilder für ihn auch ein Fluch sind"
Krischer: Also wir haben versucht – seit Wochen, seit Monaten – mit ihm Kontakt aufzunehmen und standen abends und in der Früh immer wieder vor der Wohnungstür und haben uns angemeldet. Er hat entweder die Tür nicht geöffnet, wenn er da war, oder aber er war dann eben nicht mehr in der Wohnung. Das kann ich nicht ausschließen, dass er möglicherweise auch ganz woanders sich jetzt aufhält und schlicht und ergreifend die Wohnung meidet in Schwabing. Das haben wir also versucht, mit ihm zu sprechen, aber das war nicht möglich.

Ich glaube, dass die Bilder für ihn auch ein Fluch sind. Also er hat sich diese Einsamkeit und diese Isolation im Laufe seines Lebens offensichtlich selber gebaut auch, um keine Fragen beantworten zu müssen. Selbst seine engsten Verwandten wussten im Grunde genommen nichts von ihm und seinem Leben und waren nie in der Wohnung drin. Seit über 50 Jahren hat niemand anders die Wohnung betreten, außer eben jetzt die Polizeibeamten, die Zollfahnder und die Kunsthistoriker, die bei der Razzia dabei gewesen sind.

Ricke: Jetzt hat er ja offenbar davon gelebt, hin und wieder doch ein Werk zu verkaufen. Er hat das Geld gebraucht und er hat Abnehmer gefunden. Warum ist denn aus Ihrer Sicht keinem der Kunsthändler aufgefallen, dass es da möglicherweise um eine dubiose Quelle geht?

Krischer: Weil das ein höchst diskretes Gewerbe ist und im Grunde genommen alle davon profitieren, die Kunsthändler, die Auktionatoren und natürlich auch die Sammler, die aufkaufen. Große Kunst kommt eben nach 45 nicht selten aus dubiosen Quellen. Und möglicherweise wissen dann im Einzelfall dann alle Beteiligten, der Verkäufer aber auch der Käufer und auch derjenige, der als Auktionator auftritt, dass es eine dubiose Quelle ist, aber wenn man sich damit nicht einverstanden erklärt, dann kommt es eben nicht zum Handel.

Und ich nehme mal an, dass in diesem Fall über Jahrzehnte Kunsthändler, mit denen Gurlitt zusammenarbeitete und denen er die Werke anbot, dass die sehr wohl wussten, wer Gurlitt ist. Das muss ja auch schon deswegen so gewesen sein, weil Gurlitt in der Kunstszene ein so bekannter Name ist und jeder natürlich weiß, dass Hildebrand Gurlitt in den 30er- und 40er-Jahren Hunderte und Tausende Bilder gekauft, getauscht und zusammengerafft hat. Das ist der Kunstszene in Deutschland, aber auch der internationalen Kunstszene natürlich bekannt.

Ricke: Markus Krischer, er ist der stellvertretende Chefredakteur des Magazins "Focus".

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