Rattenplage in Berlin

Unheimliche Bewohner der Unterwelt

Eine Ratte mit ihrem Nachwuchs im Nest.
Eine Ratte mit ihrem Nachwuchs im Nest. © picture-alliance/ dpa - UPPA NHPA/Photoshot
Von Britta Kuntoff  · 09.04.2015
Sie leben in Kellern und in der Kanalisation, sie stehen für Unsauberkeit, erinnern an die Pest und spielen gerne in Endzeitfilmen mit: Ratten. Dabei haben wir Menschen den Nagern einen komfortablen Wohnraum geschaffen - so auch in Berlin.
Mario Heising: "So, jetzt gleich, Sie merken es schon, unangenehmer Geruch. Das ist alles von den Ratten."
Mario Heising öffnet die Kellertür des Berliner Mietshauses. Die Luft ist schwer, eine Mischung aus Kanalisation und einem süßlich-beißenden Geruch steigt mir in die Nase. Unheimlich ist es auch. Der Schädlingsbekämpfer versucht seit über einem Jahr hier unten Herr über die Rattenplage zu werden.
"Als ich das erste Mal hier war, ich bin gar nicht richtig bis durchgegangen. Oben auf der Kabeltrasse hat man die Augen gesehen, die in dem Scheinwerferlicht der Taschenlampe geblinkt haben."
Kisten mit Nudelpackungen und anderen Lebensmitteln stapeln sich bis unter die Decke des Gewerbekellers, alles ist hier fingerdick bedeckt mit Rattenkot. In irgendeiner Ecke raschelt es.
Unbekümmert zeigt Mario Heising mit seinen latexbehandschuhten Händen auf eine speckige gelbe Abflussleitung.
"Das Schwarze hier ist nicht irgendwelche Staubablagerung. Da haben die sich wirklich ihre dicken Bäuche drüber abgerieben. Sie sehen immer in der Nähe dieses Rohres. Wahrscheinlich wird hier ein Karton gestanden haben, wo die denn über den Balkon rauf mussten über dieses Rohr und sind dann hier wahrscheilich wieder weitergelaufen. Kucken Sie, hier liegt auch noch ein Kadaver."
Der Gewerbekeller gleicht einem Ratten-Gruselkabinett, ist aber in Berlins Unterwelt keine Ausnahme. Dazu bietet das oftmals schlecht oder gar nicht sanierte Abwasserrohrsystem einen nahezu paradiesischen Zustand - aus Rattensicht versteht sich. Erik Schmolz arbeitet beim Bundesumweltamt und auch hier sind die Nager ein Thema.
Anzahl der Ratten in Deutschland unklar
Erik Schmolz: "Der Bau der Kanalisation in Großstädten seit dem Zeitalter der Industrialisierung ist praktisch ideal gewesen für die Verbreitung für Ratten. Die Kanäle sind quasi so eine Art Autobahn für Ratten. Und das sind wunderbare Rückzugsorte, niemand stört sie da, da gibt es nicht mal Fressfeinde."
Durch die schlechte Bausubstanz dringen Ratten von dort aus in die Häuser ein, auch mal nach oben bis in den zehnten Stock. Rattus norvegicus, die Wanderratte, ist die häufigste Art – eine kräftig gebaute Ratte mit eckigem Schädel, die etwa ein Pfund schwer werden kann. Gezählt hat die Ratten in Deutschland noch niemand. Aber es sind viele.
"Ratten werden ziemlich schnell geschlechtsreif. Nach anderthalb Monaten etwa können sie sich theoretisch schon fortpflanzen. Ein Wurf hat so etwa acht bis zehn Junge. Und wenn man dann einfach ausrechnet, dass diese Ratten wiederum nach anderthalb bis zwei Monaten acht bis zehn Junge zur Welt bringen – wenn man mal pessimistisch ist, dann haben wir eigentlich eine hübsches biologisches Beispiel für die Macht von Exponentialfunktionen."
Ratten richten erheblichen wirtschaftlichen Schaden an – ihre scharfen Zähne zernagen fast alles, egal, ob aus Holz oder Plastik. Lebensmittel, die sie angefressen haben, müssen entsorgt werden. Und: Im Mittelalter haben die Ratten und ihre Flöhe für die Verbreitung der Pest gesorgt. Noch heute können die Nager über 100 verschiedene Krankheiten übertragen. Salmonellen etwa oder die Maul- und Klauenseuche bei Tieren. Allein deshalb müssen Ratten bekämpft werden. Aber einfach ist das nicht. Denn was die Ratte nicht kennt, frisst sie nicht – es sei denn, ein besonders neugieriger Artgenosse hat doch davon gekostet – und ist nicht sofort tot umgefallen.
"Das heißt, man muss das Verhalten dieser Tiere austricksen durch langsam wirkende Gifte und da gibt es, ehrlich gesagt, nicht sehr viel, was man nehmen kann."
Gift ist auch gefährlich für Hunde und Katzen
Zum Einsatz kommen derzeit Rodentizide, das sind Blutgerinnungshemmer, die die Tiere langsam innerlich verbluten lassen. Die Mittel stellen aber nicht nur für Ratten, Hunde und Katzen eine Gefahr dar.
"Viel bedeutender ist aber auch, dass dieses Gift in die Umwelt eingetragen wird. Das heißt, man findet es in Füchsen, in Mardern, in vielen Greifvögeln, in Schleiereulen beispielsweise. Aber auch in kleinen Säugetieren, die von dem Köder fressen, aber gar nicht bekämpft werden sollen."
Bis zu einem halben Jahr dauert es, bis die Rattengifte in der Umwelt abgebaut sind. Ein weiteres Problem: Inneres Verbluten ist ein schmerzvoller Tod. Dass dieser Wirkstoff in der EU dennoch zugelassen ist, liegt an dem Fehlen von Alternativen, trotz intensiver Forschung.
Bis die gefunden sind – und der Eigentümer des Berliner Mietshauses in ein neues Rohrsystem im Keller investiert hat – füllt Schädlingsbekämpfer Mario Heising weiter seine fünf Mal fünf Zentimeter großen roten Plastikschälchen mit Rodentizid-getränkten Haferflocken.
Mario Heising: "Wir haben erstmal eine Komplettauslage in allen Kellerräumen gemacht und das war totaler Wahnsinn. Alle hier ausgestellten Köderschalen waren ratzekahl leer gefressen, es hat ausgesehen, als wenn die Ratten damit Fußball gespielt haben."
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