Ratlos in Fukushima

Zukunft der Atomruine ist ungeklärt

Die Experten sind von hinten zu sehen. Sie tragen weiße Schutzanzüge und gelbe Helme. Die Reihe großer blauer Tanks zieht sich entlang der Fluchtlinie bis zum Horizont.
Experten besichtigen Tanks mit kontaminiertem Wasser in der Nähe der japanischen Atomanlage Fukushima. © DPA / EPA / JAPAN NUCLEAR REGULATION AUTHORITY
Von Jürgen Hanefeld · 11.03.2016
8000 Männer arbeiten täglich an der Kraftwerksruine in Fukushima. Noch immer bergen sie verstrahltes Grundwasser. Wie die Anlage irgendwann einmal stillgelegt werden kann, weiß derzeit niemand. Die Abriss-Szenarien werden auch am 3D-Modell durchgespielt.
Die Halle, in der die Ingenieure ihre Fantasie ausleben dürfen, misst 60 mal 80 Meter und ist 40 Meter hoch. Ein Drittel der "Titanic" hätte hier Platz gehabt oder ein ganzer Reaktorblock. Doch zur Zeit, sagt Hisayuki Kojima von der Versuchsabteilung, steht hier nur ein Achtel des Druckbehälters aus Block 2.
"Wir wissen, dass da ein Loch hineingerissen wurde. Wir suchen nach dem Material und der richtigen Technik, um das Loch zu stopfen. Erst dann können wir versuchen, die Brennstäbe zu bergen."
Zerstörter Reaktorblock wurde nachgebaut
Es ist ein Eins-zu-eins-Modell des zerstörten Reaktorblocks 2, das die JAEA, die Japanische Atomenergie Agentur, in dieser Halle aufgebaut hat. Die riesige, noch nicht ganz fertige Anlage steht 15 Kilometer südlich der strahlenden Ruine des Atomkraftwerks Fukushima 1. Im Nebengebäude erläutert Chefingenieur Koji anhand einer 3D-Installation den Zweck des Unternehmens:
"Zum einen sollen die Techniker hier herausfinden, wie man die Anlage am besten abreißt. Zum anderen gibt es sehr viele erfahrene Arbeiter, die das echte Kraftwerk nicht mehr betreten dürfen, weil sie die maximal erlaubte Strahlendosis längst erreicht haben. Die sollen ihre weniger erfahrenen Kollegen hier trainieren."
Das Problem wird ständig drängender. An der echten Kraftwerksruine arbeiten täglich bis zu 8000 Männer, aber, der hohen Strahlung wegen, häufig nur zwei Stunden. Trotzdem erreichen immer mehr so genannte Abrissarbeiter ihre maximale Lebens-Belastungsgrenze. Dabei wird eigentlich noch gar nichts abgerissen.
Der Platz für weitere Tanks wird knapp
Die meisten Arbeiter sind - wie seit fünf Jahren schon - damit beschäftigt, riesige Tanks zu errichten, in denen verstrahltes Grundwasser aufgefangen wird. Täglich rauschen nach wie vor Hunderte von Tonnen durch die unteren Etagen der Meiler, mischen und verstrahlen sich dort mit der radioaktiver Brühe, mit der TEPCO die Reaktoren kühlt. Trotz Filterung darf das Wasser nicht einfach ins Meer geleitet, sondern muss gelagert werden.
Zur Zeit liegt die Kapazität bei 850.000 Tonnen, der Platz für weitere Tanks auf dem Gelände wird knapp. Helfen sollte ein Eiswall aus gefrorener Erde, der den Zufluss des Grundwassers stoppt. Doch der birgt eigene Risiken und funktioniert auch zweieinhalb Jahre nach seiner Ankündigung nicht. Ein Multimillionen-Flop. So konnte der Baustellen-Leiter Akira Ono den Journalisten, die vor drei Wochen mal wieder die Ruine inspizieren durften, wenig Positives zu berichten:
"Falls wieder irgendetwas in der Anlage passieren sollte, haben wir heute genügend Routine damit umzugehen, ohne allzu viel Zeit zu verlieren. Das Risiko für ein zerstörtes Kraftwerk ist ohnehin eher klein. Wenn wieder ein schwerer Tsunami kommen sollte, würde uns das natürlich sehr nervös machen. Aber die Situation wird nicht so wie vor fünf Jahren sein. Zum einen ist die Energiemenge viel geringer als damals, und zum anderen sind wir besser darauf vorbereitet, ein Chaos zu vermeiden."
Roboter gingen nach wenigen Minuten kaputt
Die Lage sei stabil, fügte der Manager des Betreibers TEPCO hinzu, man habe die Stilllegung des Kraftwerks - so wörtlich - zu 10 Prozent bewältigt. Woran sich diese zehn Prozent bemessen, ist allerdings unklar. Noch immer weiß niemand, wo sich die durchgeschmolzenen Brennstäbe überhaupt befinden. Strahlung und Temperaturen sind weiterhin viel zu hoch, um einen Blick in die Reaktoren werfen zu können. Die Roboter, die bisher zum Einsatz kamen, gingen nach wenigen Minuten kaputt. Aber es werden ständig neue entwickelt.
Aus den vorhandenen Bildern haben die Ingenieure im Forschungszentrum eine faszinierende, dreidimensionale Animation hergestellt. Mit einer 3D-Brille auf der Nase kann man neuerdings durch alle Stockwerke des Reaktorblocks 2 wandern, durch Wände gehen, die Strahlung messen und sich auf die Suche nach den geschmolzenen Brennstäben begeben. Auf virtuelle Berührung hin werden Daten eingespiegelt. Chefingenieur Koji ist stolz auf diese Technologie:
"Weil man das Gefühl hat, wirklich im Reaktor zu stehen, kann man auch besser begreifen, was zu tun ist. Die Arbeiter können hier gefahrlos üben, wie sie sich effizient bewegen, bevor sie in das wirkliche Kraftwerk gehen."
Und dort womöglich irgendwo anecken. Man schlängelt sich wie in einem Film durch den zerstörten Meiler:
"Hier sehen Sie Rohre, die bei der Implosion offenbar abgerissen sind. Das Bild hat der Computer aus Roboterbildern und Bauplänen errechnet. Was wir leider nicht wissen: Sind die Rohre wirklich kaputt , oder liegen sie im Kameraschatten. Dann fehlen uns nur die Daten."
Es ist schwer zu entscheiden, ob die sündhaft teure Anlage, die allein auf die drei zerstörten Meiler in Fukushima zugeschnitten ist, vor allem der japanischen Leidenschaft für High-Tech-Spielereien entsprungen ist. Oder ob sie wirklich hilft, das Katastrophen-Kraftwerk so sicher wie möglich zu verschrotten. 40 Jahre soll der Abriss allemal dauern. Da lohnt sich womöglich die Investition von 680 Millionen Euro - nicht etwa aus der Kasse des verantwortlichen Konzerns TEPCO, sondern aus Steuermitteln.
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