Rat für Nachhaltige Entwicklung fordert zukunftsorientierte Reformen

Moderation: Birgit Kolkmann · 26.09.2006
Der Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Volker Hauff, hat die Bundesregierung dazu aufgefordert, bei den großen Reformvorhaben das Prinzip der Nachhaltigkeit als Orientierungslinie in den Mittelpunkt zu stellen. Das Thema müsse viel ernster genommen werden, sagte Hauff.
Birgit Kolkmann: Die Große Koalition rangelt um die Gesundheitsreform und das Klima ist aufgeheizt. Ein Scheitern der Regierung scheint möglich - sogar kurzfristig. Wird Deutschland demnächst Sozialliberal plus Grün regiert, also in Ampelformation? Das hängt davon ab, ob und wie das soziale Zukunftsthema Gesundheitspolitik jetzt angepackt wird, ob das, was in Gesetzesform gegossen wird, überhaupt Bestand hat auf längere Sicht. Die Bundeskanzlerin wäre das leidige Thema sicher lieber heute als morgen los, denn sie bereitet sich bereits intensiv für den großen internationalen Auftritt vor, auf die EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr. Die Energiepolitik soll dann Schwerpunkt dieser sechs Monate werden und da geht es um viel mehr: Die Zukunft des Weltklimas. Volker Hauff, der ehemalige Umwelt- und Forschungsminister der SPD ist jetzt Vorsitzender des Rats für Nachhaltige Entwicklung. Heute findet in Berlin, Herr Hauff, Ihre Jahrestagung statt mit Angela Merkel. Hat das, was die Koalition tut, mit nachhaltiger Politik im Augenblick wenig zu tun?

Hauff: Nein, das wäre falsch. Aber richtig ist, dass wir uns vorstellen, dass es sehr viel mehr damit zu tun hat. Das heißt, dass unter den großen Aufgaben, die vor uns liegen, die großen Reformaufgaben, Staatsschuld, Gesundheit, Energie, Renten, aber auch wie die Mobilität in unserem Land geregelt wird, dass man dabei das Prinzip der Nachhaltigkeit sich als Orientierungslinie in den Mittelpunkt stellt und es nicht als ein Thema behandelt, das neben vielen anderen auch ganz nett ist, dass man sich damit beschäftigt. Wir empfinden eine große Aufgeschlossenheit bei der Regierung. Aber wir erwarten, dass das Thema sehr viel ernster genommen wird.

Kolkmann: Den Rat für Nachhaltigkeit gibt es ja schon seit einigen Jahren, ins Leben gerufen von der Regierung Schröder, praktisch erneuert im Koalitionsvertrag jetzt auch bei der Großen Koalition. Aber ehrlich gesagt, man hat bislang wenig Effekte in der aktuellen Politik verspürt.

Hauff: Das sehe ich nicht ganz so. Das Erste ist mal die Tatsache, dass es eine Nachhaltigkeitsstrategie gibt, dass man klare Indikatoren benannt hat, die man messen kann, dass es Fortschrittsberichte gibt, also dass da nicht nur einmal irgendetwas gesagt wird, und auch in vielen einzelnen Themen ist es so, dass wir uns da durchgesetzt haben. Nur als Beispiel: Ich finde sehr gut, dass unseren Empfehlungen über saubere Kohlenutzung die Regierung in Begriff ist, dem nachzukommen, dass man eine ambitionierte Klimapolitik macht. Da sind unsere Ziele, die wir vorgeschlagen haben, von der Bundesregierung übernommen worden. Es ist auch gut und richtig, was sie schon erwähnt haben, dass die Bundesregierung unsere Initiative aufgegriffen hat, das Thema Nachhaltigkeit bei der EU-Präsidentschaft mit in den Mittelpunkt zu stellen. Und nicht nur bei der Regierung - darüber freue ich mich persönlich ganz besonders - unsere Initiative, das Thema Nachhaltigkeit in der Wirtschaft stärker zu behandeln, ist in vielen Gesprächen, die wir mit Wirtschaftsverbänden aber auch mit einzelnen Unternehmen geführt haben, auf sehr fruchtbaren Boden gefallen. Denn es wird ja eines unserer Hauptthemen heute in unserer Jahrestagung sein, da mal Bilanz zu ziehen, was machen die Unternehmen, wo kann man da noch zur Verbesserung kommen und wie sollte man das in der Zukunft gestalten.

Kolkmann: Ohne die Wirtschaft und die Unternehmen läuft ja nichts, wenn es mal nicht nur um Profit geht, sondern um Erhaltung der Ressourcen. Ist denn da wirklich auch jedes Unternehmen, die Wirtschaft als gesamtes, mit im Boot, oder sind das nur wenige gute Ausnahmen?

Hauff: Ich glaube, dazwischen liegt die Wahrheit. Es sind nicht nur wenige Ausnahmen und es ist nicht so, dass alle mitmachen. Aber es macht eine wachsende Zahl mit, und das ist das entscheidende. Wenn man es über die Zeit betrachtet, dann ist in den letzten Jahren die Bereitschaft gerade in der Wirtschaft sehr stark gewachsen, sich mit diesem Thema sehr ernsthaft auseinander zu setzen. Es gibt da Einzelne, die behandeln das eher als ein PR-Thema, wo man sozusagen das eigene Image ein bisschen aufpolieren kann. Aber es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass es eine ganze Reihe von großen namenhaften Firmen gibt und auch von vielen Mittelständlern, die dieses Thema sehr ernsthaft bearbeiten und dazu sehr zukunftsorientierte Lösungen wagen.

Kolkmann: Im neuen UN-Klimabericht, um noch mal auf das Klima direkter zu kommen, wird demnächst zu lesen sein, dass die drastische Erderwärmung kommt. Sie ist nicht zu stoppen, sondern nur zu bremsen. Aber nur dann, wenn in der Klimapolitik wirklich radikal umgesteuert wird. Tatsächlich streitet man sich in der deutschen Politik im Augenblick noch um den Energiepass für Gebäude. Können wir die Zukunft da nicht denken, um ganz einfach mal Ihren Titel der Jahrestagung aufzugreifen, "Die Kunst, das Morgen zu denken"?

Hauff: Völlig richtig. Also dieses Thema Energiepass für Gebäude, das ist wirklich ein Ärgernis. Wir haben das seit langem vorgeschlagen und es ist einfach nicht einzusehen, warum man die Verbraucher, in dem Fall die Mieter oder diejenigen, die ein Haus kaufen wollen, nicht in die Lage versetzen sollen, die Information zur Verfügung zu haben, die sie in die Lage versetzt, auch die Folgekosten richtig zu überschauen und auch zu überlegen, welchen Beitrag sie selbst denn zur Klimapolitik leisten. Also das muss ganz dringend geschehen. So wie das Thema Energieeffizienz, das heißt die bessere Ausnutzung der vorhandenen Energie, sehr viel ernsthafter betrachtet wird. Wenn wir heute über Produktivität reden, man erinnere, wir reden nur über Arbeitsplätze, über Arbeitsproduktivität, wir werden in Zukunft mindestens mit der gleichen Ernsthaftigkeit über das Energieproduktivität reden müssen, das heißt, wie können wir die vorhandene Energie noch besser nutzen. Und da stehen wir nach meiner festen Überzeugung eher am Anfang einer Entwicklung.

Kolkmann: "Die Kunst, das Morgen zu denken", das ist ja Ihr Tagungstitel heute. Ist es denn wirklich ein Kunst, die Zukunft, das Morgen zu denken in Bezug auf die Energiepolitik, wenn so viele Fakten und Expertenaussagen schon auf dem Tisch liegen und jeder am Sommer merkt, was mit dem Klima los ist?

Hauff: Na ja, das Thema Nachhaltigkeit, das heißt, sprich, unsere Entscheide auch dahin zu orientieren, was bedeutet das für unsere Kinder und unsere Enkelkinder, das ist schon ein neues Denken. Das ist eine radikale Umkehr, denn bisher haben wir unsere ganzen politischen Begriffe der sozialen Gerechtigkeit und was da im Zentrum steht, jeweils auf die lebende Generation bezogen. Und dieses Umdenken, das erfordert schon eine gewisse Kunst, die dazu notwendig ist. Das ist im Gange, aber das Thema wird uns in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen. Ich sage Ihnen das als jemand, der selbst mal viele Jahre in der unmittelbaren politischen Verantwortung gestanden hat: Wo man jetzt im Augenblick beobachtet, dass die Politik sich sehr schwer tut so ein relativ einfaches, überschaubares Thema wie Gammelfleisch wirklich in den Griff zu kriegen und da für ordentliche Verhältnisse zu sorgen, dann versteht man auf der anderen Seite, dass die Leute, die zur gleichen Zeit dann auch über diese Menschheitsthemen nachdenken, wie Klimapolitik, wie Erderwärmung und andere Themen, dass die dann etwas zögerlich sind und sich selbst nicht so ganz zutrauen. Was wir gerne wollen, ist der Politik da ein bisschen mehr Mut zu machen die Zukunftsgestaltung, die Zukunftssicherung ernster zu nehmen.

Kolkmann: Volker Hauff, der Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Heute findet in Berlin die Jahrestagung statt. Sie steht unter dem Motto, "Die Kunst, das Morgen zu denken". Vielen dank für das Interview in Deutschlandradio Kultur.

Hauff: Vielen Dank, Frau Kolkmann.