Rassismusvorwürfe gegen Nawalny

"Ein großes Geschenk für die russische Propaganda"

04:12 Minuten
Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny in Moskau vor Gericht hinter einer Glasscheibe (Feburar 2021).
Für viele russische Oppositionelle ist Alexej Nawalny keine Lichtgestalt. Einhellige Meinung ist jedoch: Seine rassistischen Äußerungen sind vor allem willkommene Diffamierungsmunition für die russische Regierung. © IMAGO / ITAR-TASS / Vladimir Gerdo
Von Thomas Franke · 25.02.2021
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Gleich nach seiner Verhaftung vor einigen Wochen hatte Amnesty International Alexej Nawalny als „gewaltlosen politischen Gefangenen“ eingestuft. Diese Entscheidung wurde jetzt revidiert. Grund sind rassistische Äußerungen Nawalnys in der Vergangenheit.
Die Entscheidung, Alexej Nawalny nicht mehr als Prisoner of Conscience, also als gewaltlosen politischen Gefangenen, zu führen, fiel im internationalen Sekretariat in London und hat viele Mitglieder von Amnesty International ratlos zurückgelassen.
Denn erst vor wenigen Wochen, gleich nach seiner Verhaftung an einem Moskauer Flughafen, hatte die renommierte Menschenrechtsorganisation Nawalny als eben solchen bezeichnet und seine Freilassung gefordert.
Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus Beeko, betont, "dass ich persönlich bedauere, dass wir heute eine Diskussion führen, die möglicherweise Alexej Nawalny beschädigen könnte. Das darf und kann nicht das Ziel sein. Und ich teile die Einschätzung, dass die Gefahr besteht, dass die russische Regierung das zu weiterer Propaganda gegen ihn, zur Diffamierung benutzt."

Von Nawalnys Enthüllungen ablenken

Seit Wochen setzt die russische Propaganda alles daran, Nawalny als Nationalisten und Rassisten darzustellen. Das Ziel ist, von Nawalnys Enthüllungen über Putins Oligarchengeflecht abzulenken. Die Videos, in denen sich Nawalny dezidiert rassistisch äußert, sind zum Teil mehr als zehn Jahre alt.
Neuerdings kursieren sie wieder verstärkt in sozialen Netzwerken, und möglicherweise gaben sie den Ausschlag dafür, dass Mitglieder von Amnesty International sich gegen Nawalny aussprachen. Wie es genau zu der Entscheidung kam, seinen Status zu ändern, wird derzeit offensichtlich noch intern geklärt.
"Für uns ist vor allen Dingen jetzt wichtig, dass alle unsere Aktivitäten, die darauf hinwirken sollen, dass Alexej Nawalny und andere in Russland willkürlich Inhaftierte freikommen, dass die mit gleicher Intensität fortgesetzt werden", betont Beeko. "Und das unabhängig davon, ob einzelne Menschen, und hier in diesem Fall Alexej Nawalny, ein Prisoner of Conscience ist."

Gezielte Verleumdung

Gestern Nachmittag äußerte sich die Generalsekretärin von Amnesty International in London, dem Hauptsitz der Organisation, Julie Verhaar:
"Wir stellen fest, dass einige von Alexej Nawalnys vergangenen Kommentaren aktiv von seinen Gegnern genutzt wurden, um ihn zu diskreditieren. Amnesty International war selbst Ziel von Verleumdungskampagnen der russischen Regierung, weil wir die erschreckende Menschenrechtsbilanz des Kreml konsequent verurteilt haben."
"Für die russische Propaganda ist das ein großes Geschenk. Natürlich. Aber was soll man machen. Nawalny ist wie er ist. Es geht jetzt nicht darum, der russischen Propaganda entgegenzuwirken. Da ist sowieso nichts zu machen", sagt Swetlana Gannuschkina, Trägerin des Alternativen Nobelpreises.

"Nawalny ist für mich eine negative Figur"

Mit ihrer Organisation "Bürgerhilfe" unterstützt sie Geflüchtete in Russland und ist deshalb mehrfach mit Nawalny, der sich radikal gegen Migranten ausspricht, aneinandergeraten.
"Ich bin voll auf der Seite von Amnesty. Ja, Nawalny ist für mich eine äußerst negative Gestalt. Aber diejenigen, die versucht haben, ihn zu vergiften, sind für mich noch negativere Figuren. Und auch ich fordere, dass der Anschlag auf ihn untersucht wird, und auch ich meine, dass seine Verhaftung politisch motiviert ist und dass er freigelassen werden muss."
Für viele andere russische Regierungskritiker hat sich Amnesty International mit dieser Entscheidung unglaubwürdig gemacht. Die renommierte Osteuropa-Historikerin Anne Applebaum twitterte, die Menschenrechtler hätten der russischen Hetzpropaganda nachgegeben.
Amnesty International ist derzeit dabei, den Schaden zu begrenzen. Dass sie einen Fehler gemacht haben, will Markus Beeko nicht einräumen, aber: "Inwieweit die aktuelle Debatte Schaden für Alexej Nawalny oder andere sogenannte Prisoners of Conscience haben kann, das kann ich nicht absehen."
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Weitere Informationen zu dem Thema hat der Autor Thomas Franke in der Sendung "Fazit" gegeben:

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