Rassismus - kein Fall fürs Archiv

Von Kerstin Zilm · 12.04.2012
Der Film "Wer die Nachtigall stört" mit Gregory Peck spiegelte vor 50 Jahren den alltäglichen Rassismus in den USA. Zum Jubiläum zeigte die Oskar-Akademie die digital bearbeitete Fassung - nur wenige Stunden nach der Verhaftung des Mannes, der den schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin erschoss.
US-Präsident Barack Obama zeigte "Wer die Nachtigall stört" vor wenigen Tagen im Kinosaal des Weißen Hauses. Für die Fernsehausstrahlung des Schwarz-Weiß-Klassikers anlässlich des 50. Jahrestages sprach er eine kurze Einführung:

"Er zeigt eine unvergessliche Geschichte über Zivilcourage, das zu tun, was richtig ist, egal wie hoch der Preis dafür ist. Ein halbes Jahrhundert später ist seine Aussagekraft unverändert. Er sagt uns noch immer etwas darüber, wer wir sind als Volk und über unsere gemeinsamen Werte."

Basierend auf dem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman von Harper Lee bekam "Wer die Nachtigall stört" acht Oscarnominierungen. Wenige Monate später explodierte in Birmingham, Alabama, eine Bombe unter der Kirche, in der sich Martin Luther King regelmäßig mit anderen Bürgerrechtskämpfern traf. Vier Mädchen wurden getötet. Der Hauptverdächtige, ein Mitglied des Ku-Klux-Klan musste lediglich eine Geldstrafe für den Besitz von Sprengstoff zahlen. Roman und Film konfrontierten aktuelle Rassenkonflikte.

Im Schlussplädoyer spricht Anwalt Atticus Finch von den Vorurteilen gegenüber Schwarzen - damals noch "Negroes" genannt -, die generell als sittenlose Lügner angesehen würden. Vor dem Gericht aber müssten alle Menschen gleich sein.

Der Widerspruch zwischen gesetzlich garantierter Gleichheit aller Rassen und der Realität ist in den USA derzeit sehr aktuell. Wenige Stunden vor der Filmvorführung in der Oscar-Akademie wurde in Florida George Zimmerman verhaftet. Er erschoss im Februar den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin erschoss und wurde von der Polizei nach kurzer Befragung frei gelassen. Der Fall entfachte in den USA eine neue Rassismusdebatte.

Mary Badham spielt im Film Scout, die Tochter von Anwalt Atticus Finch. Aus Sicht der Schauspielerin hat sich an den grundlegenden Problemen wenig geändert:

"Wir haben viel erreicht aber es gibt noch viel zu tun. Doppelmoral und Rassismus sind nicht verschwunden, sie haben sich nur andere Kleidung zugelegt. Der Film sagt es: Ignoranz ist die Wurzel allen Übels. Bildung ist der Schlüssel zur Freiheit!"

Terrence Roberts war 1957 einer der ersten schwarzen Jugendlichen, die in Arkansas auf eine Highschool mit Weißen gingen. Der Gouverneur verhinderte die Aufhebung der Rassentrennung, bis Präsident Eisenhower einschritt und Soldaten der US-Armee zum Schutz der Schüler abordnete. Roberts ist überzeugt, dass trotz eines schwarzen Präsidenten im Weißen Haus die US-Gesellschaft Rassismus noch lange nicht überwunden hat:

"So wie ich das sehe, sind die Veränderungen vorwiegend kosmetischer Natur. Ich nenne es eine dünne Fassade aus Höflichkeit und Anstand. Darunter kochen alle möglichen Probleme, die viele nur noch nicht wahrgenommen haben."

Die Vorführung des Schwarz-Weiß-Klassikers in Hollywood wurde eingeführt vom afroamerikanischen Fernseh- und Radiomoderator Tavis Smiley, einem prominenten Meinungsmacher, der in den 60er-Jahren mit Rassismus aufwuchs. "Wer die Nachtigall stört" beeindruckte ihn als Kind sehr. Er konnte kaum fassen, dass ein weißer Mann für die Verteidigung eines Schwarzen seine Karriere und sein Leben aufs Spiel setzte:

"Der Film ist so relevant wie eh und je. Es ist faszinierend, dass George Zimmerman heute verhaftet wurde, ein Fall der Rassenspannungen und Animositäten an die Oberfläche gebracht hat. Es ist enttäuschend, dass wir 50 Jahre später noch so viel Arbeit vor uns haben."

In seiner Einführung des digital restaurierten Films appellierte der Moderator an die Filmschaffenden im Publikum, sich nicht nur an Atticus Finch ein Beispiel zu nehmen, sondern auch an Regisseur und Produzenten:

"'Wer die Nachtigall stört' erinnert uns daran, dass Filme mehr als Unterhaltung sein können. Sie können uns Kraft und Inspiration geben, sie können Debatten anstoßen. Ich träume von einer Welt, in der mehr von uns Mut, Überzeugung, Engagement und Charakter finden, um die dringlichsten menschlichen Herausforderungen in unserer Gesellschaft zu beleuchten."