Studie "Rassistische Realitäten"

Der eigenen Diskriminierungslust auf der Spur

07:48 Minuten
Ein Mann in schwarzem Anzug vor schwarzem Hintergrund mit einem grimmig schauenden Smiley anstelle des Kopfes.
Wie der Kopf die Welt ringsum sortiert: Die Philosophin Bettina Stangneth beobachtet, dass Menschen ihren Frust an anderen auslassen, die ohnehin als Außenseiter "markiert" seien. © Getty Images / da-kuk
Bettina Stangneth im Gespräch mit Nicole Dittmer · 05.05.2022
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Rassismus wird von immer mehr Menschen in Deutschland als Problem erkannt, wie eine aktuelle Studie zeigt. Um ihn zu bekämpfen, sollten wir uns bewusst machen, warum wir zur Ausgrenzung von anderen neigen, sagt die Philosophin Bettina Stangneth.
Nur eine Minderheit hierzulande sieht kein Rassismusproblem in Deutschland: Im Rahmen einer Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung antworteten 90 Prozent der 5000 telefonisch Befragten: Ja, es gibt ihn. Der rechte Terror des NSU und die Morde von Hanau und Halle haben offenbar dafür gesorgt, dass das Bewusstsein dafür in der Bevölkerung gewachsen ist.

Zahlreiche Vorfälle, übertriebene Kritik?

Insgesamt gab jeder Fünfte an, Rassismus schon mal erfahren zu haben. Fast jeder Zweite hat schon einmal rassistische Vorfälle beobachtet. Allerdings halten auch 45 Prozent der Befragten, Rassismuskritik für übertrieben und sehen darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Sinne "politischer Korrektheit".
Viele der Befragten waren der Ansicht, diejenigen, die sich über Rassismus beschweren, seien "überempfindlich"; über die Hälfte vertrat sogar die Auffassung, dass die Betroffenen zu "ängstlich" seien.
Diejenigen wiederum, die Rassismus beobachtet haben oder denen durch Betroffene davon erzählt wurde, gaben an, dass sie emotional aufgewühlt seien.

Junge Menschen sind sensibilisiert

Die Philosophin Bettina Stangneth hält es für eine gute Entwicklung, dass Probleme mit Rassismus seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit viel häufiger angesprochen würden. Gerade unter jüngeren Menschen seien inzwischen viele für das Thema sensibilisiert, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil wir ihm inzwischen mehr Aufmerksamkeit schenken.

Aufmerksamkeit ist das Einzige, womit wir gegen die Diskriminierungslust der Menschen etwas machen können.

Es sei sehr schwer, gegen Rassismus mit Aufklärung vorzugehen, sagt Stangneth, denn zu seinen Ursachen gehöre nicht unbedingt mangelnde Bildung.

Frust ablassen an Außenseitern

"Menschen haben seltsamerweise eine Art von Diskriminierungslust", beobachtet die Philosophin. Der Drang, sich von anderen zu unterscheiden, könne dabei ganz unterschiedliche Beweggründe haben.
Ein Motiv könne sein, dass es Menschen leichter falle, zu einer eigenen Identität zu finden, indem sie sich von anderen abgrenzen; ein anderes Motiv sei womöglich, dass es Menschen Erleichterung verschaffe, ihren Frust an anderen auszulassen, die als Außenseiter gesehen würden und von daher quasi "zum Abschuss freigegeben" seien.
Diese Tendenz, Schwächen in einer Gesellschaft auszunutzen und andere als nicht zugehörig zu "markieren", sei weit verbreitet. Menschen, die sich anderen gegenüber respektlos und ausgrenzend verhielten, sei dies selbst nicht unbedingt bewusst.
Umso wichtiger sei es, so Stangneth, auf genau diese Formen der Ausgrenzung aufmerksam zu machen und sie öffentlich zu diskutieren. Das sei eine gesellschaftliche Aufgabe, die so schnell an kein Ende komme.

Die eigenen blinden Flecke finden

"Wenn wir das getan haben, kommt sofort an einer anderen Stelle der nächste Deckmantel für schlechtes Benehmen", erklärt Stangneth. "Diese Diskriminierungslust wandert."
So zeige die Studie auch: "Was die Diskriminierung von Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft angeht, sind wir ziemlich sensibel in der Zwischenzeit, bei schwarzen Menschen sind wir sehr sensibel, aber bei den anderen Gruppen (...) sind wir das noch nicht", betont die Philosophin.
"Deshalb müssen wir ständig hinschauen, wir müssen ständig sprechen und darauf aufmerksam machen, wo unsere blinden Flecken sind, damit sich das dort nicht austoben kann."

Realität wird noch verkannt

Der Schriftsteller und Journalist Mathias Greffrath beobachtet , es sei in großen Teilen der Gesellschaft noch gar nicht angekommen, dass etwa jeder Vierte in Deutschland eine Migrationsgeschichte habe. Er glaube nicht daran, dass Argumente gegen Rassismus viel ausrichten könnten, sagt er. Vielmehr sollten die ökonomischen Verhältnisse in den Blick genommen werden, die dazu beitragen, dass Menschen sich ausgrenzend und aggressiv verhalten würden.

(fka)

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