Raser im Straßenverkehr

Härtere Strafen für Verkehrsrowdys sind notwendig

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Ein weißes Rad und Blumen liegen auf einer Straße.
Gedenken an eine getötete Radfahrerin in Berlin: Auf den Straßen der Hauptstadt hat die Zahl der Unfälle zugenommen. © dpa / Jörg Carstensen
Ein Kommentar von Markus Bauer · 04.03.2020
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Wer einen Diebstahl begeht, kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Wer bei einem Verkehrsunfall jemanden fahrlässig tötet, kommt oft mit einer Geldstrafe davon. Ein Skandal, findet Autor Markus Bauer.
Wir hören es häufig in den Nachrichten: Ein Gericht befindet über einen Verkehrsunfall, bei dem jemand tödlich verletzt wurde, und fällt ein Urteil nach §222 StGB über fahrlässige Tötung; oft mit einer Bewährungsstrafe versehen oder einer Geldstrafe, eventuell auch einem Fahrverbot von wenigen Monaten. Ebenso häufig aber ist in den Leserbriefspalten oder in den Internetkommentaren Entsetzen über solche Urteile zu lesen.
Etwa der Tod eines achtjährigen Schülers, der bei grüner Ampel komplett vorschriftsmäßig einen Fahrradweg benutzt und von einem abbiegenden Lkw unter Missachtung mehrerer Vorschriften überfahren wird. Ein Gericht in Berlin urteilte auf sechs Monate Bewährungshaft und 500 Euro Geldstrafe.

Die zahlreichen Verkehrtoten gelten als hinnehmbar

Jedes Jahr sterben in der Bundesrepublik über 3000 Menschen in unserem vom Automobil geprägten Verkehrssystem. Man muss sich vorstellen: Jedes Jahr wird in Deutschland die Bevölkerung eines großen Dorfes ausradiert, und wir halten das für völlig normal. An das unendliche Leid, welches diese permanente Fahrlässigkeit über Tausende von Familien bringt, scheint man sich gewöhnt zu haben.
Gäbe es diese Anzahl von Opfern bei Unglücken in, sagen wir einmal, der Landwirtschaft oder bei Fußballspielen – längst hätte die Justiz die Sicherheitsvorschriften und vor allem die Überwachung ihrer Einhaltung erheblich verschärft. Nur da, wo diese furchtbaren Zahlen wirklich erreicht werden – im Straßenverkehr – gilt dies als hinnehmbar. Wieso eigentlich?
Es wird übersehen, dass es sich bei dem automobilgeprägten Straßenverkehr um ein gefährliches Transportsystem handelt, dessen zentrales Merkmal seine immer gegebene Gefahr für Leib und Leben ist. Diese Einsicht erfordert zwangsläufig andere Sanktionen als geringe Bewährungsstrafen, wenn es darum geht, das Leben der Verkehrsteilnehmer präventiv zu schützen. Vielmehr ist es das höchste Rechtsgut – die körperliche Unversehrtheit –, das im Autoverkehr eine besondere Sorgfaltspflicht verlangt. Die Verletzung dieser Unversehrtheit induziert eine höhere Strafe, als es die Ahndung als Fahrlässigkeit bisher getan hat. Wenn ein Ladendiebstahl schärfer bestraft wird als die Tötung eines Menschen, ist "etwas faul im Staate Dänemark".

Gefährdung durch das Auto muss überdacht werden

Dass sich hier allmählich etwas zu verändern beginnt, machen neuerlich die Urteile gegen Raser deutlich, in denen die Gerichte die Unfallverursacher wegen Mordes verurteilen, ihnen also keine "Fahrlässigkeit" mehr zugestehen. Obwohl diese Urteile noch nicht durch alle Instanzen geprüft wurden, gehen die Richter hier davon aus, dass die Täter mögliche Todesopfer billigend in Kauf nahmen.
Und auch das Rechtskonstrukt der fahrlässigen Tötung bietet durchaus Ansatzpunkte für andere Urteile. So wäre es möglich, Verkehrsunfälle mit Todesfolge von vorneherein als mindestens grob fahrlässig anzusehen. Dies bedeutet, dass dem Verursacher oder der Verursacherin bereits im Ansatz die Pflicht zu erhöhter Aufmerksamkeit auferlegt wird und diese bei Missachtung schärfer bestraft werden kann, etwa mit höheren Gefängnisstrafen ohne Bewährung und längerem Fahrverbot.
Es ist also längst überfällig: Ähnlich wie bei der ökologischen Neubewertung des Automobils muss die Rechtsprechung zukünftig auch die reale Gefährdung, die von dessen Benutzung ausgeht, neu überdenken und Konsequenzen daraus ziehen.

Markus Bauer, 1959 im Saarland geborener Buchautor und Journalist, lebte nach Studium der Germanistik und Geschichte fünf Jahre als DAAD-Lektor in Rumänien. Seitdem ist die Geschichte dieses Landes häufiger Gegenstand seiner journalistischen und publizistischen Arbeit. Er schreibt unter anderem auf der Website kultro.de und regelmäßig in der "NZZ".

© Markus Bauer
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