Rasante Zugvögel auf der Intensivstation

Von Anke Petermann · 09.05.2012
Einige Zugvögel legen bis zu 200 Kilometer in der Stunde zurück. Sollten sie auf ihrer Reise verunglücken, können sie sich in Deutschlands einziger Vogelklinik in Frankfurt am Main kurieren. Ein ehrenamtliches Team und eine Tierärztin kümmern sich dort um verletzte Mauersegler.
Im Behandlungs- und Krankenzimmer stehen immerhin schon die Terrarien für die Langzeitpatienten und das Intensivregal mit einem halben Dutzend weißer Kunststoffboxen, ausgelegt mit Papiertüchern: Das sind Zweibettzimmer für schwerverletzte Mauersegler aus Bayern, Sachsen und Hessen. Drei Regale mit Krankenboxen müssen die Umzugshelfer in den neuen Räumlichkeiten noch aufbauen.

Christiane Haupt will gerade dem von einem Beinbruch genesenden Antonin aus Flörsheim füttern. Eine keimfreie Pinzette und die Mittagsmahlzeit von zehn frisch aufgetauten Tiefkühl-Grillen hat sie bereitgestellt, die Hände sorgfältig desinfiziert. Da kommt Ute Simon aus der Patientenaufnahme. Die ehrenamtliche Helferin drückt der Tierärztin einen dunkel gefiederten Vogel in die Hand.

"So, jetzt haben wir gerade eben einen neuen Patienten bekommen, der ist eben erst eingeliefert worden. Ich weiß jetzt nichts zur Vorgeschichte, er sieht äußerlich unverletzt aus."

Christiane Haupt setzt den verschreckt zuckenden Neuankömmling auf eine Waage …

"... um das aktuelle Gewicht aufzunehmen. Er ist ganz wild und will nicht sitzen bleiben. So, der Vogel hat 46,5 Gramm, das ist ein gutes Gewicht."

Christiane Haupt mustert ihn genau: Hat er irgendwo eine Wunde? Stimmt was nicht mit der Stellung der Flügel, könnte also etwas gebrochen sein? Auf den ersten Blick wirkt der Mauersegler gesund. Die Tierärztin tastet ihn sorgfältig ab, vor allem die Flügel.

"An der Schulter fühl ich jetzt am Ellenbogengelenk 'ne Krepidation, das bedeutet, da knirscht was."

Verdacht auf Bänderriss am Gelenk. Die Tierärztin setzt den Patienten zur Beruhigung in eine der weißen Plastik-Boxen.

"Er bekommt dann gleich noch ein Scherzmittel und ein bisschen Traumeel, das ist immer ganz gut nach einem Unfall und dann werde ich ihn bei nächster Gelegenheit röntgen und schauen, was dann wirklich dahinter steckt. Es kann sein, dass er irgendwo gegengeflogen ist, oder bei dem Versuch, einen Nistplatz zu finden, irgendwo an der Dachrinne hängen geblieben ist oder 'ne Hochspannungsleitung. Das sind oft diese zivilisationsbedingten Gefahrenquellen, die den Vögeln zum Verhängnis werden. Verspiegelte Glasflächen, Autos, das sind oft Gründe, warum dieser rasante Flieger dann Unfälle baut."

An die 20 Patienten werden derzeit in der Mauerseglerklinik behandelt. Im Sommer sind es zuweilen zehnmal so viele.

"Mauersegler brüten direkt unter den Dächern. Die Nistbedingungen für Mauersegler werden immer schwieriger, weil immer mehr Häuser dichtgemacht werden. Es wird keine Rücksicht genommen auf Gebäudebrüter. Das heißt, wenn Mauersegler überhaupt noch zur Brut gelangen, finden sie oft nur noch drittklassige Plätze unter Blechdächern, direkt der Sonne ausgesetzt, und wenn dann im Sommer die Temperaturen steigen und die Sonne knallt auf die Dächer, dann entstehen in diesen Nisthöhlen leicht Temperaturen von 80 Grad und mehr. Das hält natürlich kein Jungvogel unterm Dach aus. Entweder die werden dann reglerecht gekocht unterm Dach oder sie springen raus, wenn sie die Hitze nicht mehr ertragen. Günstigenfalls überleben sie den Absturz und werden vielleicht gefunden und hierher gebracht."

Zu Tausenden fallen die Segler in heißen Sommern aus den Nestern - "ein Drama", seufzt die zierliche blonde Endvierzigerin. Ehrenamtlich kuriert die Tierärztin Mauersegler, für den Broterwerb arbeitet sie nachts in der Telefonzentrale eines Verkehrsklubs. Von Frankfurt am Main als europäischer Umwelthauptstadt in spe wünscht sich die Tierärztin Richtlinien für mauerseglerverträgliches Bauen und Sanieren - Wohnungsbaugesellschaften und Investoren sollten darauf verpflichtet werden.

Christiane Haupt deutet auf das Terrarium am Fenster. Darin hockt Fiamma, eine von sechs Mauerseglern, die wegen komplizierter Gefiederschäden aus dem italienischen Livorno an die Frankfurter Spezialistin überwiesen wurden.

"Der vorletzte ist vor einer Woche gestartet. Er hat noch 30 neue Federn bekommen, in einer OP aufgesetzt, und hat einen super Start gehabt."

Auch dank des Flugtrainings, das er nebenan in dem Raum mit den bodenlangen Gardinen mit einer Physiotherapeutin absolvierte.

"Und die Fiamma ist jetzt die letzte, und da ist es auch fast fertig mit dem Nachschieben von neuen Federn, muss dann noch was aufgesetzt bekommen mit Shiften, das ist eine Methode aus der Falknerei, dass man Federn von einem verstorbenen Vogel absetzt und dem mit dem geschädigten Gefieder aufsetzt …"

… in einer dreistündige Transplantation. Das Shiften rettet Fiamma das Leben. In ein, zwei Wochen wird das toskanische Mauersegler-Weibchen von der erhobenen Hand aus auf einem Freigelände starten. In die Heimat zurückzufinden - "kein Problem", sagt Christiane Haupt, "das ist ins Zugvogelgehirn einprogrammiert".

Links:

Sponsoren und ehrenamtliche Helfer werden dringend gesucht. Weitere Informationen gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Mauersegler e.V.

Da fliegen sie wieder!
Die Große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur vom 7.-12. Mai