"Die zehn besten ..."

Was taugen Rankings?

07:23 Minuten
Konzeptfoto mit kleinen Holzklötchen in einer Reihe, die eine Treppe bilden und auf denen verschieden farbige Mensch Ärgere Dich Nicht Spielfiguren stehen.
Ranglisten sind schön leicht zu überblicken. Ob die besten Tankstellen oder das Bruttosozialprodukt im Ländervergleich: Ein Blick reicht aus. © Getty Images / iStockphoto / tomertu
Von Julius Stucke · 20.12.2021
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Die zehn besten ... Arztpraxen, Geschäfte, Online-Handel, Arbeitgeber, Apps, Barttrends ... Es gibt anscheinend nichts nichts, was sich nicht in ein Ranking pressen ließe. Doch wie wird das eigentlich gemessen, und wie seriös sind solche Ranglisten?
Von den vielen Ranglisten, Rankings und Co., denen wir mittlerweile tagtäglich begegnen, ist der allergrößte Teil ziemlich zusammengewürfelt. So jedenfalls mein Vorurteil - ob es um “die familienfreundlichsten Städte” geht, “die glücklichsten Länder”, “die beliebteste Händler“ , "die “attraktivsten Arbeitgeber”, “die besten Orthopäden“, “Deutschlands Kundenkönige” “Ökokönige”, “Preiskönige” - oder “die zehn angesagtesten Barttrends”...

„Letzten Endes ist es mehr geworden, fast inflationär", sagt Claus Dethloff, Psychologe und Geschäftsführer von Service Value. Das Unternehmen erstellt Rankings und Ratings für große Medienhäuser wie Axel Springer, den Burda-Verlag, das Handelsblatt und andere.
"Das bezieht sich ja nicht nur auf Siegel, die Kundenurteile widerspiegeln, sondern es geht ja auch in der Textilindustrie oder im Lebensmittelbereich um ganz andere Siegel: Nachhaltigkeit oder Lieferketten oder so etwas."

Rankings sind eine Orientierungshilfe

Dethloff sieht die Rankings nicht so negativ wie ich - dem Sortiertrend zum Trotz:

"Nichtsdestotrotz ist es immer noch eine Orientierungshilfe.“

Orientierung. Wenn es denn vernünftig gemacht ist.

„Da haben Sie völlig recht - ohne die anderen schlecht machen zu wollen, ich nenne ja auch keine Namen. Da trennt sich relativ sichtbar schon die Spreu vom Weizen. Insofern ist es schon sehr wichtig, sich als interessierter Verbraucher auch darüber zu informieren, wie die Methode vonstatten gegangen ist.“

Wie eine Rankingstudie durchgeführt wird

Die drei schönsten Spaziergänge in deutschen Mittelgebirgen sind hochsubjektiv und behaupten auch nichts anderes. Währenddessen wollen die “beliebteste Händlerliste” und Ähnliches schon objektiv daherkommen, als wissenschaftliche Sortierung. Wie funktioniert das bei Service Value?

„Es sind am Anfang drei Fragen - im Grunde genommen: Wer soll bewertet werden? Also das Untersuchungsobjekt. Wer wird bewerten? Die Untersuchungssubjekte. Und was wird bewertet? Die Themenfelder: Innovationskraft eines Unternehmens, Kundenzufriedenheit, Kundentreue etc.“

Dann geht es ins Feld. Es werden Fragebögen programmiert und in die Marktforschung gegeben, idealerweise von ausreichend vielen Menschen ausgefüllt, dann ausgewertet und geordnet.

Rankings beeinflussen die Verbraucher

„Ich bin von Hause aus ein Empiriker, der empirischen Sozialforschung sozusagen. Und da haben wir natürlich Gütekriterien: die Validität, Reliabilität und die Objektivität“, sagt Dethloff.

Gültig, verlässlich und unabhängig, und falls es das alles ist: durchaus wirksam ...

„Wenn man Untersuchungen durchführt mit zwei Gruppen: einmal diejenigen, die bei einem Anbieter, bei einem Unternehmen diese Auszeichnung wahrgenommen haben, und denjenigen, die das nicht wahrgenommen haben, dann entsteht schon ein großer Unterschied.“

Hochschulrankings - Hauptsache, gut dastehen?
Ein guter Platz im Universitätsranking - das bringt Reputation und damit oft auch mehr finanzielle Mittel. Doch es verleitet Hochschulen auch dazu, ihre strategischen Entscheidungen mit Blick auf Erfolg in Ranglisten auszurichten, sagen Kritiker .

Meine Skepsis dem Ranking gegenüber werde ich damit aber nicht los. Gerade, weil es eine Wirkung auf uns haben könnte. An der Berliner Humboldt-Universität treffe ich Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie. Sagt es schon was aus, dass sein Büro im ersten von fünf Stockwerken liegt?

„Nein, das ist noch nicht richtig hierarchisiert, weil man natürlich auch jede Hierarchie umdrehen kann. Von daher ist hier die Rangordnung unklar, jedenfalls unklar im Sinne einer Hierarchie mit klarem Oben und Unten oder besser oder schlechter.“

Der Mensch vergleicht sich gern

Genau dazu neigen wir Menschen. Wir teilen ein in Oben und Unten, bringen Dinge in klare Hierarchie, in eine Rangordnung. Wir messen und vergleichen uns.

„Das setzt uns schon unter Druck. Man könnte das vergleichen mit einer nach unten fahrenden Rolltreppe, gegen die Sie anlaufen. Sie müssen permanent etwas tun, um wenigstens die Höhe zu halten, auf der Sie sind. Wenn Sie einfach stillstehen, sacken Sie eigentlich ab. Beim Ranking wird der Status immer nur zeitlich vergeben. Er ist nur unter Vorbehalt bis zum nächsten Wettbewerb, bis zur nächsten Bewertungsrunde.“

Wir sind Vergleichswesen - das haben sich nicht die Rankingunternehmen ausgedacht. Aber ist es gut, dieses Prinzip auf Lebensbereiche auszuweiten, in denen es um Qualität oder Vielfalt gehen sollte?

Sortieren heißt auch aussortieren

Überall wird vereinfacht und sortiert. Und vielleicht dann auch: aussortiert. Ein Beispiel:

„Wenn Sie sich jetzt vorstellen, die Zeitungswelt verändert sich dahingehend, dass sich jeder individuell auf seinem Endgerät Zeitung nach Beliebtheit bestimmter Autorinnen und Autoren zusammenstellen kann, dann weiß natürlich die Chefredaktion, wer hat eigentlich die meisten Leserinnen und Leser und Anhänger? Das weiß man ja jetzt schon. Und dann könnte man sagen, das ist eigentlich eine andere Art von medialer Welt, wo eben Beliebtheit wichtiger ist als vielleicht ein Kuratieren eines journalistischen Inhaltes.“

Ist die beste Krankenpflege die, die mehr Patientinnen und Patienten in weniger Zeit betreut? Oder die, die sich mehr Zeit nimmt? Wir übertragen Prinzipien aus dem Bereich des Wirtschaftens auf andere Bereiche. Und die Verfügbarkeit von digitalen Daten macht es zusätzlich einfacher, Dinge in Rangordnungen zu bringen.

„Wenn ich das Feld der Wissenschaft mal nennen darf: Heute kann man mit einem Klick einen deutschen Soziologen mit einem chinesischen Astrophysiker im Hinblick auf seinen Forschungs-Output vergleichen. Und das dauert heute eben eine halbe Sekunde, um solche Daten zu ermitteln.“

Zahlen erzeugen eine "magische Realität"

Ranglisten sind außerdem schön leicht zu überblicken. Ob die besten Tankstellen oder das Bruttosozialprodukt im Ländervergleich: Ein Blick reicht aus. Obwohl es vermutlich besser wäre, häufiger zwei zu werfen. Oder sogar gar keinen? Das eigene Rankingsystem aktivieren?

„Ich als Psychologe würde immer empfehlen, dass man sich nicht nur in der Außenwelt justiert und orientiert, sondern auch immer seinen eigenen Kopf und sein Gefühl und seine eigene Situation einschaltet“, sagt Claus Dethloff von Service Value. „Dann kann es für mich durchaus sein, dass ich ein Liebhaber von einem Dienstleister bin, der in jedem Ranking schlecht abschneidet. Also, die Welt ist nicht so einfach, wie man glaubt, wenn man mit Zahlen operiert.“

Der Soziologe Steffen Mau ergänzt: „Zahlen haben eben so etwas wie eine magische Realität. Wenn sie erstmal da sind, dann bildet sich relativ stark eine Meinung, wie eigentlich die hierarchische Ordnung der Welt aussieht. Und man darf wahrscheinlich diese Art von Nutzung quantitativer Daten für Rankings auch nicht zum Exzess treiben, sondern muss sie immer wieder kritisch hinterfragen.“

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