Ramsauers "Aufbau West"

Von Hans Tschech · 18.11.2009
Es gibt Menschen, die wirken wie erfunden – einfach perfekt. Der neue Verkehrsminister Peter Ramsauer ist so einer; auf den ersten Blick – einfach perfekt.
Seit fast 20 Jahren vertritt Ramsauer den "schönsten Wahlkreis Deutschlands", wie er selbst sagt, Traunstein und das Berchtesgadener Land mit Watzmann, Königssee und St. Bartholomä; bilderbuch-bayerischer geht’s nicht. Dazu Wahlergebnisse von 60 und mehr Prozent, eben CSU-bilderbuch-bayerisch. Und er selbst: Bergsteiger und konzertreifer Pianist, Eton-Schüler, promovierter Ökonom und gelernter Müllermeister und für lange Jahre Träger des inoffiziellen Titels: schönster Mann des Bundestags.

Dieser "Mister Perfect" also hat sich mit einem Paukenschlag in sein neues Amt als Bundesverkehrsminister eingeführt, mit zwei Worten: "Aufbau West". Ausgerechnet zum 20. Jahrestag des Mauerfalls verkündet Peter Ramsauer, nun sei’s genug mit den schier endlosen Verkehrsinvestitionen im Osten, jetzt komme endlich wieder mal der benachteiligte Westen dran. Nun - abgesehen davon, dass die Transferzahlungen noch für mindestens zehn Jahre festgeschrieben sind und dass auch für den Länderfinanzausgleich feste Regeln gelten, dass Ramsauers Spielraum also sehr begrenzt ist, ganz abgesehen davon wissen die, die ihn kennen, und das sind die Bayern, dass bei Ramsauer auf starke Worte selten entsprechende Taten folgen.

"Ein Hund, der bellt, aber nicht beißt", wurde er einmal charakterisiert. Ja, es fehlt ihm der Biss. Die Voraussetzungen, siehe oben, brächte er mit; aber nie hat Ramsauer in den zahlreichen Machtkämpfen der CSU seit dem Tod von Franz Josef Strauß selbst nach der Macht gegriffen. Und man darf annehmen, dass er auch zum Verkehrsminister erst einmal überredet werden musste.

Was also hat es mit dem "Aufbau West" auf sich? Hier sprach nicht der Verkehrsexperte und Überzeugungstäter, zumal auch in Bayern die wunderbare Landschaft durchaus ausreichend zubetoniert wird. Nein – hier sprach der CSU-Parteipolitiker, der es ganz nach dem Vorbild des Ober-Populisten Horst Seehofer einer schweigenden Mehrheit recht machen will; der Mehrheit nämlich – wenn sie denn eine ist –, die meint, mit dem Solidaritätszuschlag müsse nun mal Schluss sein, und überhaupt sei der Osten auch noch undankbar und wähle dauernd die Linken. Wie stark diese Gruppe wirklich ist und wie ernst sie es meint, wissen wir nicht; aber sie ist sicher in Bayern stärker als sonstwo, zumindest in Oberbayern, wo man weiter lieber nach Italien als in die neuen Bundesländer fährt.

Ramsauers provokative Äußerung vom "Aufbau West" greift zudem nach 20 Jahren ein altes Trauma der CSU wieder auf. Die deutsche Einigung hatte bei den Christsozialen nicht nur Freude ausgelöst. Natürlich wurde sie auch in Bayern von Herzen begrüßt – alles andere wäre Verleumdung. Aber die politischen Nebenwirkungen waren nicht willkommen.

Als Deutschland größer wurde, wurde Bayern im Verhältnis kleiner, auch und vor allem der bundespolitische Anspruch der CSU. Der damalige bayerische Ministerpräsident Streibl wetterte gegen die Hauptstadt Berlin und schlug stattdessen München oder die alten Reichsstädte Nürnberg und Regensburg vor. Bei der Abstimmung Bonn/Berlin war die CSU mit wenigen Ausnahmen für Bonn, auch der junge Abgeordnete Ramsauer.

Der "Aufbau West" – also eine späte Rache? Nein, das nicht; eher ist das ein Versuch, auf einer vermeintlich populären Welle mitzuschwimmen. Bei Wahlen steht die CSU bekanntlich nicht mehr so bilderbuchmäßig da. Es kommt beinahe schon auf jede Stimme an. Und wenn sich Ressentiments anzapfen lassen, warum nicht? Wenn’s nur der CSU nützt. So gesehen ist der "Aufbau West" politisch eher ein "Aufbau Süd".

Hans Tschech, Journalist, geboren 1943 im Sudetenland. Seit der Kindheit in Bayern. Bis zum Renteneintritt im Mai 2008 42 Jahre beim Bayerischen Rundfunk (Hörfunk). Zunächst in der Nachrichten- und dann in der politischen Redaktion. Von 1986 bis 1989 Korrespondent des BR in London, von 1989 bis 1996 Korrespondent in Washington und von 1996 bis 2001 ARD-Hörfunkkorrespondent für den Nahen Osten und die Palästinensergebiete in Tel Aviv. Von 2001 bis 2008 Leiter der Redaktion Politik und Zeitgeschehen beim BR in München.
Hans Tschech
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