Raketen für Redzikowo

Von Wojtek Mroz und Jan-Uwe Stahr |
Amerika fürchtet einen Angriff dunkler Mächte, will sich mit Abwehrraketen in Osteuropa schützen. Russland fühlt sich dadurch provoziert, droht dem Westen mit neuem Wettrüsten. Szenarien wie im Kalten Krieg und mitten drin ein kleiner polnischer Ort: Redzikowo. Der alte Militärflughafen des 1500 Seelen-Nest, unweit der Ostseeküste, soll als Abschussrampe für die neuen US-Raketen dienen.
Bewacht von bis zu 500 amerikanischen Soldaten. Die meisten Polen finden das gut. Sie fürchten die Russen, hoffen auf Schutz aus Amerika. Anders in Redzikowo: "Die Raketen beschützen die Amerikaner - uns bedrohen sie" fürchten die Bürger. Viele von ihnen sind ehemalige Soldaten, denn Redzikowo war schon immer ein militärischer Stützpunkt. "Nur Säufer und Vagabunden leben hier" schrieb die polnische Presse. Der Ort fühlt sich diffamiert und um seine zivilen Zukunftspläne betrogen. Manche fürchten sogar seinen Abriss.

"Schauen Sie da steht die Mig 19 und dahinter die 21 und die 23." Tadeusz Krojnik zeigt auf die rostigen Kampfflugzeuge hinter dem hohen Stahlgitter-Zaun. Gerne würde der pensionierte Offizier die Maschinen aus der Nähe zeigen. Aber das geht nicht
" Wir dürfen da nicht rein, dafür braucht man eine Erlaubnis. Noch vor zwei Monaten konnten wir rein. Aber als die Amerikaner übernommen haben war damit Schluss. "

Die Amerikaner haben große Unruhe nach Redzikowo gebracht, einen 1500 Seelen Ort nahe der pommerschen Ostseeküste:

Ein Pkw rollt langsam von dem alten Kasernengelände - hält an der geschlossenen Schranke. Ein schwarz Uniformierter kommt aus dem Container daneben - privater polnischer Wachschutz. Der Mann schaut kurz ins Wageninnere. Nickt dem Fahrer zu. Hebt kurz den Schlagbaum hoch. Lässt den Wagen passieren. "Militär-Zone. Zutritt verboten", steht auf einem gelben Warnschild am Eingang. Auf polnisch , englisch, deutsch und russisch. Seit acht Jahren ist der polnische Militärflughafen geschlossen. Doch in den letzten Wochen rührt sich irgendetwas auf dem 400 Hektar großen Gelände. Was genau, weiß keiner.

"Schwer zu sagen. Die Amerikaner sind ständig da. In Gruppen von 40, 50 Personen."

Tadeusz Krojnik und sein Nachbar Stefan Nowak schauen dem davon fahrenden PKW nach. Die beiden Offiziers-Pensionäre gehen fast täglich am Stahlgitterzaun spazieren. Sie wohnen gleich nebenan - in der Siedlung neben dem Militärgelände

Wilde Gerüchte kursieren über das alte Militärgelände. Geologen untersuchen den Boden, heißt es. Sicher ist: Amerikaner wollen auf dem alten Militärflugplatz eine Raketenabschussbasis bauen. Von Redzikowo aus feindliche Interkontinentalraketen abschießen, die im Anflug auf die USA sind.

Stefan Nowak und Tadeusz Krojnik spazieren durch ihre Siedlung. Beide sind Anfang sechzig, rüstige Rentner. Herr Nowak ist groß und schlank. Sein volles Haar und sein Schnurrbart sind schon grau wie sein Parka. Aber seine blauen Augen wach. Er will nicht sagen, was seine frühere Aufgabe beim Militär war - "geheim". Sein Nachbar Krojnik lächelt vielsagend. Er ist einen Kopf kleiner, das Haar licht. Sein runder Bauch lugt unter der geöffneten schwarzen Lederjacke hervor. "Ich war bei der Radar-Abteilung" erzählt Krojnik. Bis der Militärflughafen 1999 geschlossen wurde. Nowak und Krojnik wurden pensioniert. Aber sie blieben hier wohnen, zusammen mit ihren Familien.

"Früher gehörte das alles hier zur Militärbasis. Waren alles so abgewrackte Ruinen. 50 Jahre lang nichts dran gemacht worden. Und dann als wir die Wohnungen gekauft haben, als Hausgemeinschaft haben wir das in den jetzigen Zustand versetzt."

Stefan Nowak zeigt stolz auf die dreistöckigen Wohnblocks: Gepflegte Gebäude, in gelb und orangen Pastelltönen gestrichen und mit energiesparender Wärmedämmung verkleidet. 1500 Menschen wohnen hier.

"Weil es hier noch eine militärische Kameradschaft gibt, konnten wir uns besser organisieren als Zivilisten. Bei einem Berufssoldaten steckt das im Blut, wir haben das blitzartig gemacht. Und jetzt sieht das so aus. Neben den Treppenaufgängen gibt es sogar Blumenbeete. Ja machen Sie ruhig ein Foto."

Nowak bleibt stehen, zeigt auf die Rabatten vor dem Haus. Hier in der Nummer 25 wohnen er und sein Kamerad Krojnik mit ihren Familien.

Die beiden Rentner steigen hinab in den Keller. Alles ist besenrein sauber und akkurat aufgeräumt. Auf dem Boden stehen weiße Pappschalen, gefüllt mit Rattengift. Am Ende des Gangs eine weiße Wohnungstür: Stefan Nowak schließt sie auf. Bittet hinein in einen hell gestrichenen Raum, mit Tischen, Stühlen, Bücherregal und Kühlschrank. An den Wänden hängen bemalte Keramikteller: Bewaffnete Kampfflugzeuge und bunte Wappen verschiedener militärischer Abteilungen.

"Das ist der Klub unserer Hausgemeinschaft. Hier können wir uns treffen, Kaffee trinken Schach spielen - bitte machen Sie es sich bequem."

Nowak zeigt auf die ungepolsterten Stühle. "Natürlich diskutieren wir hier unten auch", sagt Tadeusz Krojnik und setzt sich an den langen Tisch. "Zum Beispiel über die Amerikaner und ihren geplanten Raketenschirm in Redzikowo".

Stefan Nowak setzt sich gegenüber, packt eine lederne Mappe vor sich auf den Tisch. Öffnet den Reißverschluss. Und zieht vorsichtig einen Stapel Zeitungsausschnitte heraus: Artikel über Redzikowo und die amerikanischen Raketen. Aus polnischen Zeitungen und Zeitschriften. Mit dem rechten Zeigefinger tippt der ehemalige Offizier auf eine Seite, schüttelt entrüstet den Kopf:

"Gucken Sie mal, was die hier geschrieben haben: Verschlafenes Dorf auf menschenleerem Gebiet, Sie sehen doch selbst das stimmt doch gar nicht!"

Jede Menge Reporter kommen nach Redzikowo nachdem die polnische und die amerikanische Regierung den Stationierungsvertrag für die Raketen unterzeichneten. "Sogar japanische und arabische Fernsehsender waren hier" erzählt Nowak. Was die ausländischen Medien über Redzikowo und die Raketen berichtet haben, weiß er nicht. In den polnischen Zeitungen steht auf jeden Fall eine Menge Mist, findet er. "Auch was im polnischen Fernsehen über uns gezeigt wird, ist eine Frechheit", ärgert sich Tadeusz Krojnik

"Wenn hier ein paar Leute vor dem Geschäft Bier trinken, werden sofort Bilder gedreht. ... Aber zum Beispiel unsere Siedlung, die so schön aussieht, wurde nie im Fernsehen gezeigt."

Auch die Demonstration gegen die Raketenbasis kommt nicht ins staatliche Fernsehen. Dabei hatten sich 500 Protestler vor der Einfahrt zum alten Militärflughafen versammelt. "Die polnische Regierung will die amerikanischen Raketen unbedingt hier haben" sagt Nowak. Der ehemalige Offizier setzt seine Lesebrille auf, zieht ein weiteres Blatt aus seinem Stapel: Einen Artikel aus einer polnischen Militär-Fachzeitschrift.

"Hier habe ich was vom Institut für Internationale Sicherheit. Wir haben hier einen Bericht und eine Skizze, wie so eine Militärbasis aussehen wird. Und hier steht ganz eindeutig, dass von den Raketen bis zur Zivilbevölkerung ein Abstand von 14 Kilometern liegen muss. Aber Sie sehen ja: Bei uns liegt das Ganze gleich hinter dem Gartenzaun."

Die Einwohner der ehemaligen Militärsiedlung sind beunruhigt. Wie groß wird die militärische Sperrzone? Wie viel amerikanische Soldaten werden kommen? Was wird aus der Siedlung? Die polnische Regierung gibt bisher keine Antworten auf ihre Fragen.

"Ich möchte betonen: kein Mensch hier hat ernsthaft mit uns über die Pläne gesprochen. Ganz anders als in Tschechien, wo die dazugehörige Radaranlage der Amerikaner hin soll. In einen Ort mit nur 79 Einwohnern, dort waren die Vertreter der Regierung bisher schon sieben mal da."

"Angst vor den Raketen haben wir nicht", Ex-Offizier Nowak, verschränkt die Arme vor der Brust. Schließlich war Redzikowo schon immer ein Militärstützpunkt. Schon zu den Zeiten als es noch "Reitz" hieß und zu Deutschland gehörte. "Aber" sagt Nowak und schaut zu Krojnik herüber , "wir wollen wissen, was auf uns zukommt."

Stefan Nowak packt seine Zeitungsausschnitte wieder ein. Er und sein Nachbar wollen noch rausfahren nach Alt-Redzikowo - zum Angeln.

Zwei Kilometer östlich der ehemaligen Militärsiedlung, an der Europastraße 28 ragen frisch gegossene, graue Betonpfeiler aus einer schlammigen Wiese. Daneben ein großes Schild mit blauem Sternenbanner: "Europa baut" steht dort auf polnisch. Hier entsteht eine neue Auffahrt für die Schnellstraße nach Danzig. Gegenüber der Baustelle: Eine alte Allee. Sie führt in das alte Dorf Redzikowo. Einige der Alleebäume liegen frisch gefällt am Boden.

Zwei Männer stiefeln um eine prächtige alte Linde. Schneiden sich mit der Motorsäge ein Stückchen ab vom dicken Stamm. "Da will ich mir was draus schnitzen", sagt der größere der Beiden. Er trägt einen abgewetzten, grünbraunen Tarnanzug der polnischen Armee. "Wir haben nämlich viel Zeit", erklärt sein Kumpel im blauen Overall. Früher arbeiten die Männer in der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft von Redzikowo. Vor ein paar Jahren schließt der Betrieb. Nun sind sie arbeitslos.

"Manche sind nach Holland gegangen, manche nach Deutschland. Aber wir sind hiergeblieben." Der Rotgesichtige im Blaumann zeigt zum anderen Ende der alten Allee. Dort steht ein alter Gutshof. Daneben: Weiß getünchte Viehställe und eine große Scheune - mit einstürzenden Dächern. Vor dem Gutshof, rechts neben der alten Alle reihen sich fünf Wohnblocks, der ehemaligen Landarbeiter. Hässliche, graue Plattenbauten, drei Stockwerke hoch. Dies ist das Redzikowo, das immer im polnischen Fernsehen gezeigt wird, wenn es um die Raketen geht. "Ach die Raketen..." die Männer winken ab.

"Die Leute hier wollen die Anlage nicht." Mehr wollen die Beiden nicht dazu sagen. Sie packen den abgesägten Holzklotz und die Motorsäge auf ein rostiges, altes Fahrrad, schieben gemeinsam los - Richtung Dorf. Grinsend zeigt der Größere im Tarnanzug noch auf einen grauhaarigen Alten am Krückstock. Im Schneckentempo kommt der die Allee heraufgeschlurft.

"Der da könnte Euch eine Menge erzählen - aber der ist stumm."

Wurst, Käse, Brot, Bier, Schnaps, Süßigkeiten, Waschmittel und Katzenfutter - in dem kleinen Dorfladen von Redzikowo gibt es so ziemlich alles, was man zum täglichen Überleben braucht. Dosenbier ist zur Zeit besonders gefragt. Das liegt an den Arbeitern von der großen Baustelle an der Schnellstraße. Die sich hier für die Mittagspause eindecken.

Das kleine Lebensmittel- Geschäft gehört Jerzy Roniszewski. Der untersetzte Mittvierziger mit Schnauzbart und Jeansjacke ist auch der "Dorfschulze" von Alt-Redzikowo. Eine Art Bürgermeister für die zweihundert Einwohner. Roniszewski kommt hinter seiner Ladentheke hervor und bittet nach draußen, vor sein kleines Geschäft.

Die Fassade des Dorfladens erstrahlt im kräftigen Rot - ein scharfer Kontrast zu den grauen Wohnblöcken drumherum.

"Hier, genau an dieser Stelle haben wir zusammen gestanden" sagt Roniszewski mit wichtiger Miene. Zeigt mit der rechten Hand vor sich auf den Boden. In der linken hält er einen farbigen Fotoausdruck. Hält diesen nun vor seinen runden Bauches und tippt mit seinem dicken rechten Zeigefinger auf die abgebildeten Personen. In der Bildmitte: Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk mit Bodyguards. Sie stehen vor Roniszewskis roten Dorfladen. Drumherum - gut zwei Köpfe kleiner - der Dorfschulze und seine sechsköpfige Familie. "Dieses Foto kann man auch auf meiner Internetseite finden", Roniszewski streckt die Brust nach vorne, wedelt mit dem Fotoausdruck.

"Der Premier wollte mich kennenlernen. Er sagte: 'Sie haben mich im Internet überholt. Ihre Seite wird öfter angeklickt als meine.' Ja, das entspricht den Tatsachen."

Redzikowo und Roniszewski sind berühmt geworden - dank der amerikanischen Raketenpläne. Dann erzählt der Dorfschulze die ganze Geschichte: Einige Wochen nach der Unterzeichung des amerikanisch-polnischen Raketen-Vertrages lädt Donald Tusk die Lokalpolitiker der Gemeinde und der naheliegenden Stadt Slupsk zu sich nach Hause ein. In seine Villa im Ostseebad Zopot. Roniszewski erinnert sich noch genau an die Worte des Premiers.

"Es tut mir leid, meine Herren, aber das Abwehrsystem wird bei Euch installiert. Sagt bitte was ihr dafür haben wollt. Na, da haben sie angefangen: Der eine wollte einen Flughafen, der zweite wollte eine Hochschule und der dritte einen Aquapark, usw. Und der Premier antwortete: Aber meine Herren, das ist doch unrealistisch. Bitte, bleiben Sie auf dem Boden."

Dann ergreift der Dorfschulze Roniszewski das Wort

"Dann habe ich mich zu Wort gemeldet: Herr Ministerpräsident, ich möchte nur ein paar Milliönchen, um mein Dorf zu renovieren. Um die Häuserblocks zu renovieren, weil seit 30 Jahren haben wir nur das Nötigste gemacht. Ein paar Millionen Zloty, das ist doch nur Kleingeld. Und danach sagte ich, es wäre schön, wenn sie zu uns besuchen kommen, weil die Leute in Unsicherheit leben. Die Zeitungen schreiben, das wir umgesiedelt werden sollen."

Und dann, nur eine Woche später, kommt der Premierminister tatsächlich nach Redzikowo, sieht sich um in dem Dorf. Roniszewski zeigt mit ausgestrecktem Arm auf die grauen Wohnblocks und seinen roten Laden. Einige Arbeiter von der nahegelegenen Schnellstrasse-Baustelle kommen gerade mit ihrem Dosenbier heraus, hören dem stämmigen, kleinen Mann mit erstaunten Gesichtern zu. "Ja", sagt Roniszewski, "und dann haben der Donald Tusk und ich hier ganz offen miteinander gesprochen"

"Er sagte: Redzikowo wird besser beschützt sein als Warschau und andere Städte. Das heißt wir werden sehr sicher sein. Aber ich denke so: Wir haben hier ganz in der Nähe die neue Schnellstraße. Die Grenzen in ganz Europa sind jetzt offen. Da kommt jemand aus dem Ausland, packt eine Ladung Sprengstoff hier irgendwo in den Keller - und was dann? Vor solchen Sachen haben wir Angst."

Der Dorfschulze deutet jetzt auf den alten Gutshof am Ortsrand.

"Seht ihr den Gutshof dort hinten. Zur Zeit ist es noch bewohnt. Hinter diesem Schlösschen, ich glaube in so 600 Metern Entfernung, da sollen die Abwehrraketen hin."

Der Dorfschulze weiß: Die Raketen in Redzikowo sollen Amerika vor möglichen Angriffen aus Schurkenstaaten schützen - aus dem Iran oder aus Nordkorea. Aber er weiß auch, Polens Nachbar Russland fühlt sich von diesen Raketen bedroht. Will nun seinerseits mit neuen Raketen nachrüsten. Raketen, die aus dem nur 200 Kilometer entfernt liegendem, russischen Königsberg auf Redzikowo zielen. "99 Prozent der 200 Einwohner von Alt-Redzikowo sind gegen die amerikanischen Raketen", sagt Roniszewski

"Sie unterstützen meine Entscheidung, weil das ist die richtige Entscheidung. Und wenn die Amerikaner das bauen wollen, sollten sie sich mit den Russen einigen. Weil ich denke: Es geht doch um den Iran. Was haben wir denn damit zu tun!"

Eine Explosion - irgendwo hinter dem alten Gutshof. Die Amerikaner machen dort bereits Bodenuntersuchungen für ihre Raketen, heißt es. Doch was genau auf dem nahegelegenem Militärgelände passiert, weiß in Redzikowo keiner. Dafür gibt es unter den 200 Einwohnern nun die Hoffnung auf eine Entschädigung aus Warschau, damit sie ihr Dorf ein wenig herausputzen können. Allerdings, räumt Dorfschulze Roniszewski ein, habe man schon seit Monaten nichts mehr gehört von dem versprochenem Geld.

"Gestern war ich beim Gemeindevorsitzenden - ich habe ihm gesagt, wir müssen was machen."

Jerzy Roniszewski verabschiedet sich, er muss wieder hinein in seinen kleinen Laden.

In der Schule von Redzikowo. Dreißig Mädchen und Jungen haben sich in der Aula aufgestellt. Sie üben die Aufnahmezeremonie für die Gymnasialstufe mit Nationalhymne, Fahnenappell und Gelöbnis für Fleiß, Ehrlichkeit und Fairness. "Eine feierliche Angelegenheit", flüstert Direktorin Elzbieta Domanska. Sie trägt ein feldgraues Kostüm und ihr dunkles Haar kurz geschnitten. Die 45jährige führt das Kommando über die Schule von Redzikowo, die genau zwischen der ehemaligen Militärsiedlung und dem alten Dorf von Redzikowo liegt, 300 Schüler hat und ein großzügiges, modernes Schulgebäude.

"Kommen Sie, ich zeige Ihnen unser neues Projekt." Die Direktorin steuert auf einen Klassenraum zu, horcht kurz an der Tür und geht hinein

Die Schüler springen auf, der Lehrer guckt erschreckt. Neben der Tafel hängt eine Karte von Israel und dem Orient. Die 8. Klasse hat gerade Religionsunterricht. Die Direktorin entschuldigt die Störung. Dann tritt sie an die großen Fenster des Klassenraumes, zeigt nach draußen. Ein fast fertiger Rohbau schließt sich dort an das Schulgebäude an: das neue Sportzentrum.

"Eine Schwimmhalle und ein Fitnesszentrum werden wir hier bekommen", erzählt die Direktorin und lächelt stolz. Geplant wurde das Ganze, allerdings als von der amerikanischen Raketen-Basis noch keine Rede war. Wenn der Abwehrschirm in Redzikowo installiert wird, liegt die Schule innerhalb der Sicherheitszone. Vielleicht zumindest. So richtig weiß das noch keiner. Sind die Raketen, die international für soviel Aufregung sorgen, auch ein Thema im Unterricht? Der Lehrer schaut ratlos zur Direktorin hinüber. Sie nickt ihm zu. Dann antwortet er vorsichtig.

"Das interessiert mich nicht, weil ich da keinen Einfluss drauf habe. Es ist schwer darüber zu sprechen, wenn man nicht genug Wissen hat. Also ich bin sehr zurückhaltend bei diesem Thema. Wir müssen abwarten, die Zeit wird alles zeigen."

Auch die Schülerinnen und Schüler der Klasse 8 gucken etwas ratlos, als sie zu den Raketen in ihrer Nachbarschaft gefragt werden.

Die 14jährige Danuta weiß nur, dass hier "so eine Anlage" gebaut werden soll, und das die Amerikaner die bauen.

"Na ja, wenn eine Rakete aus dem Irak auf unsere Seite fliegt, dann soll dieses Schild sie abfangen," sagt Piotr. Leszek, sein Tischnachbar, zuckt nur mit den Schultern.

"Ich bin nicht von hier, also weiß ich auch nichts" Die Direktorin bedankt sich bei den Schülern und ihrem Lehrer - der Religionsunterricht kann weitergehen.

Die Raketenpläne und die Sorgen der Anwohner sind kein Thema für die Schule in Redzikowo. "Also, ich persönlich sehe da vielleicht auch Chancen für uns" Direktorin Domanska, lächelt etwas verlegen. Sie weiß, die polnische Regierung hat den Rüstungs-Wünschen der Amerikaner bisher ohne wenn und aber entsprochen. Man spürt, dass sich die Beamtin an dieser Linie vorsichtig orientiert.

"Letztens habe ich den US-Botschafter im Fernsehen gesehen, Herrn Ash. Der sagte ganz eindeutig, dass unsere Region hier Chancen hat. Wenn ich solche Versicherungen höre, dann glaube ich das. Und dann sagte der Botschafter noch: Wir sollten uns hier ganz sicher fühlen. Nur über einen Satz habe ich mich etwas gewundert: Er sagte: dass uns der Abwehrschirm in der ganzen Welt berühmt machen wird. Ich glaube wir sollten daran arbeiten, berühmt zu werden. Wir sollten selbst dafür sorgen."

Bis zu 500 amerikanische Soldaten könnten nach Redzikowo kommen, hat die Direktorin gehört. Da sieht sie auch für ihre Schule neue Aufgaben kommen:

"Ich habe die bescheidene Hoffnung, dass wir uns hier treffen werden, dass wir zusammen arbeiten werden. So wie wir schon jetzt die Gesellschaft hier zusammenbringen, werden wir auch gerne die Amerikaner zu Gast haben. Und ihre Familien. Und wenn sie Interesse an unserer Schule zeigen würden, würden wir uns freuen. Und die beiden Seiten werden sich näherkommen."

Große Pause, die Schüler drängen durch die Eingangshalle nach draußen. Vorbei an den Schaukasten mit Papst Paul Johannes. Die Direktorin verabschiedet sich.

Zurück in der ehemaligen Militärsiedlung von Redzikowo. Vor dem Eingang zum alten Militärflughafen steht ein schlanker, rotblonder Mann in schwarzer Lederjacke: Bronislaw Nowak, Professor für mittelalterliche Geschichte und Stadtratsmitglied im nahegelegenen Slupsk. Der 49-Jährige wartet auf eine Einlass-Genehmigung, zum alten Flughafen. Auf dem Revers seines grauen Anzuges steckt ein kleines, silbernes Emblem. "Eine Auszeichnung für Kampfpiloten" der Professor lächelt, zeigt auf die russischen MIGs hinter dem hohen Stacheldraht-Zaun. "Die bin ich jahrelang geflogen"

" Steilkurven, Sturzflüge, simulierte Angriffe unter Beschuss, Bombenabwürfe - das waren die Aufgaben, die wir geübt haben. Allein der Flug hat große Befriedigung gebracht, weil es unglaubliche Geschwindigkeiten sind - bis zu 2500 km/h. "

Vergangenheit - jetzt sind die Flugzeuge nur noch Ausstellungsstücke. Der 400 Hektar große Militärflugplatz ist seit acht Jahren stillgelegt. Professor Nowak möchte - wie schon oft zuvor - Besuchern die alte Militäranlagen zeigen, die zum Teil noch vor dem Zweiten Weltkrieg von den Deutschen gebaut wurden. Die Zutrittserlaubnis muss neuerdings vom polnischen Verteidigungsministerium in Warschau eingeholt werden. Sie soll telefonisch an das Wachpersonal übermittelt werden. Der ehemalige Kampfpilot schaut auf seine Armbanduhr. "Das erste mal kamen die Amerikaner schon 1992 nach Redzikowo" sagt er dann.

"Sie kamen mit ihren F-15 Flugzeugen. Und damals haben wir mit den US-Piloten über eine Zusammenarbeit auf dem Baltikum gesprochen. Wir sollten zusammen fliegen und auch von hier aus starten. Wir auf unseren MIG 23 und sie auf ihren F15."

Die zweite damals Spezialisten mit, die auf dem Militärflughafen Bodenuntersuchungen machten. Warum? Gibt es schon damals Pläne für die unterirdischen Raketensilos? Bronislaw Nowak zuckt mit den Schultern. Lächelt. Die ganze Geschichte mit dem Abwehrschirm gegen die sogenannten Schurkenstaaten - er glaubt sie nicht wirklich.

"Wollen sie von mir jetzt hören, dass die Anlage wirklich zur Abwehr gegen iranische Raketen gedacht sind?" Der ehemalige Pilot lacht kurz auf. Dann setzt er eine ernste Miene auf.

"Jeder, der sich ein bisschen mit Militär auskennt und sogar Computerfreaks wissen, dass man die Flugbahn jederzeit verändern kann. Heutzutage braucht man dafür nur einen anderen Chip. Das heißt eine Abwehrrakete, die irgendwelche Objekte in der Stratosphäre treffen sollten, die fliegt irgendwohin mit unbekannten Sprengstoff, mit unbekannten Ziel, solche Abwehrraketen kann man in ein paar Minuten umprogrammieren. Das heißt so eine Basis ist schon eine Gefahr, mit Sicherheit."

Kann er die Aufregung der Russen über die amerikanischen Raketen in Redzikowo verstehen? Professor Nowak nickt. Dann dreht er sich um, zu dem Container: Ein schwarz uniformierter Wachmann kommt heraus, schüttelt den Kopf.

"Es tut ihm leid", sagt er, "aber der Direktor gibt keine Erlaubnis zum Betreten des Geländes". Warum weiß er nicht. Einzelheiten kennt er nicht. Der Professor lächelt. Er hat schon mit damit gerechnet. Bronislaw Nowak ist erklärter Gegner der amerikanischen Raketenbasis in Polen. Nahm auch an Protestdemonstrationen teil.

Zwei bekannte Gesichter: Tadeusz Krojnik und Stefan Nowak, die beiden pensionierten Offiziere aus der ehemaligen Militärsiedlung. Sie schütteln ihrem ehemaligen Kameraden, Professor Nowak, die Hand. "Ich darf nicht mehr auf das Gelände" erzählt er den beiden. Tadeusz Krojnik regt sich auf

"Aber was gibt es da zu sehen? Ist doch alles kaputt! Ich glaube die Amerikaner haben jetzt schon Angst!"

Die drei Männer wenden sich ab, gehen gemeinsam in Richtung der hübsch renovierten, ehemaligen Militärsiedlung von Redzikowo. Vorbei an dem alten Offizierskasino. Es gammelt verlassen vor sich hin. Die Siedlungsbewohner würden es gerne als Klubhaus nutzen. Aber das geht nicht, heißt es aus Warschau.

Vielleicht wollen die Amerikaner hier einen Nachtklub aufmachen - meint Herr Krojnik, der alte Radaroffizier. Die beiden anderen lachen. Auch so ein Gerücht - in Redzikowo.