Rai bedeutet Meinung

Von Martina Zimmermann · 24.08.2013
Ursprünglich sangen Frauen den Rai auf Hochzeiten und in Cabarets. Seit sieben Jahren gibt es ein Festival im marrokanischen Oujida, auf dem weltbekannte Künstler wie Khaled oder Cheb Mami auftreten, aber auch Vertreter einer jungen Rai-Szene.
Jungen und Mädchen, Mütter und Omas, Väter und Großväter drängen sich vor der riesigen Bühne im Freien. Sie singen begeistert mit, tanzen, schwenken Fahnen. Oujda liegt im Nordwesten Marokkos, 13 Kilometer von der algerischen Grenze entfernt. Oran, die ursprüngliche Heimat des Rai befindet sich auf der anderen Seite - in Algerien. Wegen des Saharakonflikts ist die Grenze seit 20 Jahren geschlossen.

Mohamed Amara: "Wir haben dieselbe Kultur, die gleiche Geschichte, die gleiche Musik. Die Politiker sehen das vielleicht anders, aber für das Volk in Marokko und Algerien ist diese Grenze wie ein Messer im Rücken."

Mohamed Amara ist Arzt. Der Marokkaner ist Vorsitzender des Vereins, der seit sieben Jahren in Oujda das internationale Raifestival veranstaltet. Jedes Jahr kommen auch algerische Stars – per Flugzeug über Algier und Casablanca.

Dieses Jahr ist neben Cheb Mami auch Diva Chebba Zahouania dabei:

"Marokko ist meine zweite Heimat, wir Algerier fühlen uns hier wohl."

Ursprünglich sangen Frauen den Rai auf Hochzeiten und in Cabarets. Daran erinnert das Festival, in dem es in diesem Jahr von Nachwuchs-Sängerinnen eröffnet wurde. Zum Beispiel: Zina Daoudia. Sie ist nicht nur eine begnadete Geigerin, sondern schreibt auch die Texte ihrer Lieder selbst. Rai bedeutet übersetzt Meinung:

"Es geht um die Jugend und um die Liebe. Ich spiele auch Fußball in der weiblichen Nationalmannschaft, als Innenverteidigerin. Und auf der Bühne habe ich dieselbe Position: Ich verteidige die Frauen!"

Der Vorläufer dieses Musikstils wurde von Beduinen auf dem Land auf Flöten gespielt. Erst in den Städten, in Oran und Sidi Bel Abbes, wurde der Rai zu einer urbanen Musik - mit Trompete, Akkordeon und später auch E-Gitarren. Die Instrumentalisten waren lange zweitrangig: Im Mittelpunkt standen die Sänger, die sich als "jung" bezeichneten, als Cheb oder Chebba. In den 1980er Jahren kreierte eine Band mit dem Namen Raina Rai einen unverkennbaren Sound. Diese Musiker waren Pioniere der Fusion mit Rock und anderen Rhythmen aus Afrika. Der Gitarrist der Band, Lotfi Attar:

"Raina Rai spiegelt eine Identität, in der sich die Menschen auf der gesamten Welt wiedererkennen können, denn wir haben alle dieselben Herzen, dieselben Augen, dieselben Ohren ..."

Die Fusion mit Rap, Rock oder Ska – wie hier mit der Band Kasba aus Holland - ist die Zukunft des Rai. Festivalveranstalter Mohamed Amara:

"Ich sage immer, die jungen Leute haben heute Internetohren, ein Ohr auf Facebook, das andere irgendwo im Netz. Musikstile wie Rai und Rap sprechen sie an –und die Texte, in denen es um die Probleme der Jugend geht, um die illegale Auswanderung oder um Probleme in der Liebe."