Raffinierte Erzähltechnik
Madox Fords "Zapfenstreich" ist der letzte Teil vom "Ende der Paraden", einer Tetralogie über den Ersten Weltkrieg und den Gentleman Christopher Tietjens. Dessen Umgang mit dem Verlust der Konventionen durch den Weltkrieg erzählt nicht er selbst, sondern abwechselnd sein Bruder, seine Schwägerin, seine Geliebte, seine Angestellten und seine Ehefrau.
Ford Madox Ford (1873 bis 1939), Altersgenosse von Virginia Woolf, war ein umtriebiger Literat: Er schrieb ungefähr 80 Bücher, kannte alle und jeden. Als enger Freund von Joseph Conrad und Ernest Hemingway entwickelt er mit ersterem eine neue Romantheorie und gab mit letzterem die legendäre "transatlantic review" in Paris heraus.
Dass er vor ein paar Jahren in Deutschland entdeckt und als Klassiker gehandelt wurde, verdankt sich hauptsächlich seinem kleinen Meisterwerk "Die allertraurigste Geschichte" ("The saddest story", 1915).
Aber auch Fords Tetralogie "Das Ende der Paraden" über den Ersten Weltkrieg und den Gentleman Christopher Tietjens von Groby steht unter Klassiker-Verdacht. Deren letzter Band "Zapfenstreich" fasst die Geschichte der vorangegangenen drei Bände noch einmal neu: Tietjens´ sterbender Bruder, seine Schwägerin, seine Geliebte, sein Angestellter, seine Ehefrau und eine völlig ahnungslose Amerikanerin ergreifen abwechselnd das Wort und geben ihre höchst subjektiven Eindrücke der ganzen schwierigen Familiengeschichte wieder. Die Hauptfigur Tietjens ist dabei nicht anwesend. Das ganze ist eine hochartifizielle Synthese aus Meinung und Klatsch, in der der ganze Romanzyklus zu einem erstaunlich versöhnlichen und harmonischen Ende geführt wird.
Fords Generalthema ist die Konvention, sein Held ein aufrechter Konservativer, der um der Tradition willen den Preis der Heuchelei zu zahlen und das eigene Glück zu opfern bereit ist - bis mit dem Ersten Weltkrieg die alte Ordnung zusammenbricht. Durch ein schweres Bombentrauma und eine zeitweilige Amnesie gezeichnet (wie Ford selbst), und muss er nun neu definieren, was das Richtige ist. Fords Gentleman alter Schulee wird so zu einer Figur der literarischen Moderne: Seine Realität wird fragmentiert und nach anderen ästhetischen – und ethischen – Gesichtspunkten neu zusammengesetzt.
Fords erzählerische Technik ist raffiniert – und sehr modern in der radikalen Subjektivität der erzählenden Figuren, in der Vielseitigkeit ihrer Wahrheit: Der eine betrauert den Verlust alter Klarheiten, die andere setzt Hoffnung auf neue Möglichkeiten; einer zieht sich zurück, eine bringt ihre Schäfchen ins Trockene, eine wird demütig, eine hat plötzlich Oberwasser – und einer stirbt in dem Wissen, dass diese Zeit nicht mehr die seine ist.
Mit seinen "Parade"-Romanen, die in den 1920ern erschienen, kam der über 50-jährige Ford Madox Ford da an, wo eine neue Generation von Erzählern gerade aufgebrochen war.
Rezensiert von Katharina Döbler
Ford Madox Ford: Zapfenstreich
Roman. aus dem Englischen von Joachim Utz
Eichborn Berlin 2007
278 Seiten, 22,95 Euro.
Dass er vor ein paar Jahren in Deutschland entdeckt und als Klassiker gehandelt wurde, verdankt sich hauptsächlich seinem kleinen Meisterwerk "Die allertraurigste Geschichte" ("The saddest story", 1915).
Aber auch Fords Tetralogie "Das Ende der Paraden" über den Ersten Weltkrieg und den Gentleman Christopher Tietjens von Groby steht unter Klassiker-Verdacht. Deren letzter Band "Zapfenstreich" fasst die Geschichte der vorangegangenen drei Bände noch einmal neu: Tietjens´ sterbender Bruder, seine Schwägerin, seine Geliebte, sein Angestellter, seine Ehefrau und eine völlig ahnungslose Amerikanerin ergreifen abwechselnd das Wort und geben ihre höchst subjektiven Eindrücke der ganzen schwierigen Familiengeschichte wieder. Die Hauptfigur Tietjens ist dabei nicht anwesend. Das ganze ist eine hochartifizielle Synthese aus Meinung und Klatsch, in der der ganze Romanzyklus zu einem erstaunlich versöhnlichen und harmonischen Ende geführt wird.
Fords Generalthema ist die Konvention, sein Held ein aufrechter Konservativer, der um der Tradition willen den Preis der Heuchelei zu zahlen und das eigene Glück zu opfern bereit ist - bis mit dem Ersten Weltkrieg die alte Ordnung zusammenbricht. Durch ein schweres Bombentrauma und eine zeitweilige Amnesie gezeichnet (wie Ford selbst), und muss er nun neu definieren, was das Richtige ist. Fords Gentleman alter Schulee wird so zu einer Figur der literarischen Moderne: Seine Realität wird fragmentiert und nach anderen ästhetischen – und ethischen – Gesichtspunkten neu zusammengesetzt.
Fords erzählerische Technik ist raffiniert – und sehr modern in der radikalen Subjektivität der erzählenden Figuren, in der Vielseitigkeit ihrer Wahrheit: Der eine betrauert den Verlust alter Klarheiten, die andere setzt Hoffnung auf neue Möglichkeiten; einer zieht sich zurück, eine bringt ihre Schäfchen ins Trockene, eine wird demütig, eine hat plötzlich Oberwasser – und einer stirbt in dem Wissen, dass diese Zeit nicht mehr die seine ist.
Mit seinen "Parade"-Romanen, die in den 1920ern erschienen, kam der über 50-jährige Ford Madox Ford da an, wo eine neue Generation von Erzählern gerade aufgebrochen war.
Rezensiert von Katharina Döbler
Ford Madox Ford: Zapfenstreich
Roman. aus dem Englischen von Joachim Utz
Eichborn Berlin 2007
278 Seiten, 22,95 Euro.