Rätselhafter Planet

Wieso "neunter Kontinent"? Ulf von Rauchhaupt, ausgewiesener Physiker und hoch dekorierter Wissenschaftsjournalist überrascht in der Einleitung zu seinem Buch mit einer ungewohnten geologischen Erklärung: Nord- und Südamerika, zwei getrennte Kontinente, das wären mit der Antarktis sieben, die riesigen Flächen am Grund der Ozeane ein achter und der Mars der neunte.
Der Mond bleibt ungefragt draußen aus der Zählung, obgleich er vor 40 Jahren bereits besucht worden ist und eigentlich mehr Recht hätte, "Kontinent" genannt zu werden.

Auf dem Mars werden wohl frühestens in einem Vierteljahrhundert die ersten Menschen landen, um dort die bis heute unbeantwortete Frage nach früherem oder noch existierendem Leben vielleicht dann endgültig zu klären. Und natürlich, um staunend eine ganz fremde Welt kennenzulernen.

Allerdings wissen wir schon jetzt ziemlich viel über den Mars – mehr jedenfalls als über den nächsten irdischen Nachbarn, den Mond. Der Grund dieser Kenntnisse ist auch das Schreib-Motiv für von Rauchhaupt: Der Mars gilt astrophysikalisch als im Sonnensystem einziges vergleichbares Gegenstück zur Erde. Im Fremden erkennt man sich selbst.

Das nutzt der Autor - immer wieder vergleicht er zwischen Erde und Mars: Warum zum Beispiel gibt es auf dem Mars etliche Vulkane, die viel höher sind als der Mount Everest, obwohl der Mars nur halb so groß ist wie die Erde? Oder: Wo setzt man auf dem Mars Normalnull an, wenn es keine Meere gibt? Der Autor jedenfalls erweist sich angesichts der Fülle des Materials als gewissenhafter und präziser Rechercheur und Faktenbändiger, der den Mars detailliert, aber nicht detailverliebt und mit der für einen Laien nötigen Griffigkeit präsentiert.

Das beginnt mit der Geschichte der Wahrnehmung eines Planeten, der wegen seiner guten Sichtbarkeit und der rötlichen Anmutung immer eine besondere Rolle gespielt hat bei Astrologen und Astronomen. Nicht ohne ein gewisses Amüsement liest man, wie sich Russen und US-Amerikaner ein Wettrennen der Sonden zum Mars geliefert haben, das in der überwiegenden Mehrzahl mit Bruchlandungen oder anderem wortlosen Verschwinden der Satelliten endete. Aber dieser Misserfolge bedurfte es wohl, damit die nächste Generation von unbemannten Spähern erfolgreich all das Datenmaterial einsammeln konnte, dem wir die in dem Buch ausgebreiteten Kenntnisse vom Mars verdanken.

Rätsel gibt es dennoch weiterhin zuhauf: Wo ist die einstige Marsatmosphäre geblieben? Aus was besteht der Mars im Inneren? Warum gibt es keine Plattentektonik? Gibt es nur an den Polen Wassereis? Vielleicht hätte man sich beim Ausbreiten spröder Fakten etwas mehr augenzwinkernde Distanz gewünscht oder auch einen Blick über die Schulter des Wissenschaftlers, der zeigt, wie sich die Funkdaten einer Marssonde zu geologischem Wissen verfestigen.

Für den Leser ein bisschen ärgerlich ist, dass die Bilder im Mittelteil konzentriert und nicht beim dazu gehörigen Text platziert sind. Ansonsten ist hier endlich mal das Wissen vom Planeten Mars bündig und einleuchtend zusammengetragen, nach dem man sonst nur in verstreuten Quellen fahndet.

Besprochen von Florian Hildebrand

Ulf von Rauchhaupt: Der Neunte Kontinent. Die wissenschaftliche Eroberung des Mars
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
288 Seiten, 19,95 Euro