Rätselhafte Riten

Von Johannes Halder |
Ganz ohne Leihgaben aus Griechenland muss eine Schau über die Lebenswelt der frühgriechischen Kykladen-Kultur im Badischen Landesmuseum Karlsruhe auskommen. Hintergrund der Verweigerung ist ein Streit um angeblich ungeklärte Besitzverhältnisse.
Die Karlsruher waren die Ersten. Schon 1976, vor 35 Jahren, zeigten sie eine große Kykladen-Schau; das dicke Katalogbuch gilt noch heute als ein Standardwerk. Doch der damalige Kurator, inzwischen längst verstorben, machte bei der Pioniertat einen Fehler. Er kungelte zu sehr mit dem Kunsthandel und zeigte zahlreiche Stücke, die aus fragwürdigen Quellen, sprich: aus Raubgrabungen stammten und noch Handelsware waren, der wissenschaftliche Katalog war gespickt mit Werbeanzeigen von Kunsthändlern – eine Praxis, die heute als unmöglich gilt.

Noch immer sind die Griechen deshalb sauer, denn in einer Zeit, in der die kleinen Idole von den Inseln für zweistellige Millionenbeträge den Besitzer wechseln, sind auf eigene Faust geräumte Gräber für die Arbeit der Archäologen eine Katastrophe.

Dabei wurden, wie die Schau gleich zu Beginn verdeutlicht, die marmornen Kykladenidole einst als "kleine Scheusale", als roh und barbarisch geschmäht. Die abstrakten Figuren sind gesichtslos, meist flach wie ein Brett, und nicht jeder ist empfänglich für die Schönheit dieser Skulpturen. Doch Kuratorin Katarina Horst ist erst einmal froh:

"Die Ausstellung ist auch ohne griechische Leihgaben eine ganz wundervolle Ausstellung. Man kriegt eigentlich alles zu sehen. Aber für uns war es eher eine Niederlage in diplomatischer Sicht."

Die kykladische Kultur war dörflich geprägt, doch weit entwickelt. Die Bewohner beherrschten den Bronzeguss und manches mehr:

"Sie haben ein Riesenschnellboot gebaut, damit waren sie dann quasi die Herren der Ägäis und konnten den Handel kontrollieren. Also sie haben sich relativ schnell etabliert, und auch die Handwerkskunst, das Herstellen von solchen Marmorgefäßen oder auch Marmoridolen bedeutet eine Spezialisierung der Gesellschaft bis ins Kleinste."

Der maßstabsgetreue Nachbau eines solchen Schnellboots, das bis zu 50 Mann Besatzung fasste, lässt sich in der Schau ebenso bestaunen wie ein kompletter Grabzusammenhang, der aufschlussreiche Dinge enthielt:

"Das Übliche, wenn man so sagen darf. Also Metallgegenstände, Dolchklingen, Obsidianklingen, das sind teilweise kleine Tonvasen und Steingefäße."

Rund 80 Prozent aller kykladischen Idole haben keine seriöse archäologische Herkunft, beklagen die Forscher. Die Gräber wurden geplündert:

"Die Gräber sind ein Spiegel des Lebens. Und wenn wir wissen, was in den Gräbern drin war, können wir auch feststellen, wovon haben die Leute gelebt, wie haben sie sich ernährt, wie war ihre gesellschaftliche Ordnung untereinander? Gab es Leute aus der Elite oder was kriegte ein armer Mensch ins Grab? All diese ganzen Geschichten, die sind jetzt einfach unwiederbringlich verloren."

Auch die Idole selbst, von denen im Hauptsaal der Schau fast zweihundert zu sehen sind – Schwangere und Musikanten, Akrobaten und andere Figuren, die wohl irgendwelchen Ritualen dienten, geben noch immer Rätsel auf:

"Meine Theorie ist die, dass sie während des Rituals gebraucht wurden und in den Händen gehalten wurden. Das heißt, man hat sie mitgenommen zu einem Ritus, also zu einem Abschied, zu einer Krankheit, zu Hochzeit, Geburt, wurden diese Figuren mitgebracht, und sie wurden während des Ritus bemalt."

Wie diese Bemalung ausgesehen haben könnte, hat man anhand verbliebener Farbspuren exemplarisch rekonstruiert. Auch der neueste Forschungsstand findet sich dokumentiert. Auf der kleinen Insel Keros entdeckte man unlängst zwei Gruben mit Hunderten von Figurensplittern, von denen kein Stück zu einem anderen passt – vermutlich eine heilige Stätte, an der, aus welchen Gründen auch immer, Figurenfragmente von anderen Inseln deponiert wurden.

Rätselhaft ist auch, warum die kykladische Kultur nach tausend Jahren wieder versank. Katarina Horst hat eine Vermutung:

"Wahrscheinlich ist es so, dass man durch das Verhütten der Bronze nach und nach das Holz aufgebraucht hat, und so haben sie sich selber langsam die Grundlage entzogen."

Rohstoffmangel als Ende einer technisierten Kultur – das dürfte uns auch heute zu denken geben.

Informationen des Badischen Landesmuseums Karlsruhe zur Ausstellung "Kykladen – Lebenswelten einer frühgriechischen Kultur"