Rätselhafte Frauen in surrealistischen Landschaften
Paul Delvaux zählt zu den bedeutendsten Künstlern Belgiens. In zahlreichen seiner Werke dominieren rätselhafte Frauen die Komposition. Die Kunsthalle Bielefeld zeigt in der Ausstellung "Das Geheimnis der Frau - Paul Delvaux und der Surrealismus" 40 Gemälde und 30 Zeichnungen des Belgischen Künstlers.
Nein, so leicht geben sie ihr Geheimnis dann doch nicht preis: die rätselhaften Frauen, die Delvaux in stilisierte, teils sehr alte Stadtlandschaften gestellt hat. Eine Art Bühne, auf der sie – mal mit rosafarbener nackter Haut, dann wieder fein gewandet -, in Gruppen auftreten, doch selten stehen diese Frauen in direktem Kontakt zueinander.
Statuarisch wirken sie: in sich versunkene Figuren mit ähnlichen Gesichtern, Traumbewohnerinnen, Heroinen des Surrealen. Gelegentlich bewegen sie sich in einer Prozession auf den Bildhintergrund zu. Thomas Kellein, Direktor der Bielefelder Kunsthalle, über die erotische Ausstrahlung dieser unergründlichen Wesen:
"Man kann an all diesen Darstellungen erkennen, dass die Frau bewundert wird, und doch gibt es auf keinem dieser Bilder ein buchstäbliches Begehren. Es gibt keine Pan-Figur, keinen Apoll, keine Liebesszene.
Stattdessen rückt Delvaux ab Mitte der dreißiger Jahre andere Frauen mit ins Bild, es existiert nur die lesbische Liebe. Die Männer, die auf diesen Bildern auftauchen, halten sich zurück. Sie sind bekleidet, tragen Melone, lesen Zeitung, treten als Wissenschaftler auf. Sie studieren an der Frau herum wie an einem Planetensystem."
Der Mann als Randfigur. Wenn er in korrektem bürgerlichen Habitus mit Melone erscheint, könnte er einem Gemälde von Magritte entstiegen sein.
Und als Wissenschaftler wird der Mann bei Delvaux sogar zur Karikatur, zum wunderlichen Kauz.
Die Frau erreicht ihre Dominanz auf seinen Bildern erst Ende der zwanziger Jahre, als er selbst seine große Liebe gefunden zu haben glaubt - ein Verhältnis, das von den Eltern, bei denen er immer noch lebt, denn auch prompt untersagt wird.
An der Akademie der schönen Künste in Brüssel hat Delvaux Malerei studiert, sich zuvor aber schon an dem Fach Architektur versucht. Diese Kenntnisse fließen auf seinen Gemälden ein in die Gestaltung des Figurenumfelds - in die Stadtszenerien mit ihren renaissancehaften und antiken Bauten - eine mythische Kulissenwelt mit Tempeln und Triumphbögen:
"Delvaux versucht, die Frauen in eine Art pompejanische Landschaft oder in eine Art Florentiner-Renaissance zu stellen, jedenfalls in etwas hineinzuversetzen, das nicht 20. Jahrhundert ist. Gleichzeitig gibt es auf einigen Bildern plötzlich Versatzstücke von Eisenbahnen, oder belgischen Vorortsiedlungen, oder Telefonmasten – also doch Zeichen dafür, dass diese Frauen offenbar etwas mit dem 20. Jahrhundert zu tun haben."
"Verwirrung stiften”, so hat Delvaux einmal seine Absicht umschrieben.
Die Wirkung seines irrealen Kosmos bewegt sich zwischen Poesie und subtilem Unbehagen. "Was geschieht hier eigentlich?" möchte man immer wieder fragen – und manchmal auch: "Geschieht hier überhaupt etwas?" Das Zusammenspiel von Raum und Figuren und die überraschende Montage von Versatzstücken machen die Suggestion dieser großformatigen Bilder aus - die doch ganz akademisch gemalt sind: das 20. Jahrhundert mit seinen Versuchen, Formen aufzusprengen und den Weg ins Ungegenständliche zu bahnen, scheint spurlos vorüber gezogen zu sein. Ein sich immer wieder häutender Avantgardist wie Picasso war geradezu ein Antipode des Belgiers - stilistisch, und auch in seiner Persönlichkeit.
Auf frühen Werken von Delvaux sind noch expressionistische Tendenzen zu spüren, und auch der Einfluss Modiglianis. Seine statuarischen Frauen der dreißiger und vierziger Jahre haben aber noch ganz andere Wurzeln: das Kuriosenkabinett auf einem Jahrmarkt zum Beispiel hat Spuren hinterlassen - mit der "Schlafenden Venus” als Attraktion - einer Wachspuppe, die zu atmen scheint:
"...und die hat ihn sehr angespornt, im Grunde ‚tote’ Frauen zu malen – also sie stehen da und warten – aber eigentlich leben sie nicht, weil sie nicht handeln können."
Die Impulse, die Delvaux aufnahm, waren sehr unterschiedlich. Homer hat er gelesen, und Illustrationen zu Romanen von Jules Verne haben ihn fasziniert. Die traumähnlichen Stadtlandschaften sind sicher auch Anregungen de Chiricos zu verdanken:
"Er sieht de Chirico und 1934 sieht und trifft er Magritte. In diesen Jahren beginnt Delvaux, selbst surrealistisch zu komponieren. Seine Bilder werden mit unmöglichen Realitäten aufgeladen. Es wird ‚fotografisch’, naturalistisch exakt, etwas dargestellt, was so nicht passiert sein kann. Und daraus entwickelt sich dann seine typische Konstruktion mit der nackten Heldin, die mit Assistenzfiguren vor einer pompejanischen oder Florentiner Renaissance-Landschaft zu sehen ist."
Zur surrealistischen "Bewegung” mit ihren strengen Regularien gehörte Delvaux aber nicht. Und solche Prädikate sind im Grunde auch nicht wichtig, denn ihre Magie behalten viele seiner Gemälde auch nach der "surrealen Phase": die Frauen erscheinen in immer neuen Kompositionen - auch in verschachtelten Interieurs. Und wenn Gleise und Eisenbahnwaggons in die Szenerie mit den traumverlorenen Damen hineinragen, dann sind hier die beiden großen Motivwelten des Künstlers raffiniert ineinander verschränkt.
Delvaux ist in seiner belgischen Heimat ein Protagonist der nationalen Kultur, während er bei uns mal als unumstößliche kunsthistorische Größe des 20. Jahrhunderts gilt, dann aber auch wieder unterschätzt wird.
Diese Schau in der Bielefelder Kunsthalle ist mit herausragenden Leihgaben belgischer Museen reich bestückt und bietet so Gelegenheit, sich erneut von der Aura seiner Gemälde verzaubern zu lassen - vom Geheimnis seiner Frauen und von der liebenswert altmodischen Weise, in der sie auf die Leinwand gebracht worden sind. Thomas Kellein:
"Die Bielefelder Ausstellung geht davon aus, dass wir heute längst davon absehen können, dass sich alles ständig erneuern muss. Es ist zu beklagen, dass es keine Tradition mehr gibt - und in diesem Zusammenhang ist Delvaux natürlich die Figur, die ganz nachdrücklich sagt: ‚Ich will Tradition!’"
Service: Die Ausstellung "Das Geheimnis der Frau - Paul Delvaux und der Surrealismus" ist vom 22. Oktober 2006 bis zum 21. Januar 2007 in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen.
Statuarisch wirken sie: in sich versunkene Figuren mit ähnlichen Gesichtern, Traumbewohnerinnen, Heroinen des Surrealen. Gelegentlich bewegen sie sich in einer Prozession auf den Bildhintergrund zu. Thomas Kellein, Direktor der Bielefelder Kunsthalle, über die erotische Ausstrahlung dieser unergründlichen Wesen:
"Man kann an all diesen Darstellungen erkennen, dass die Frau bewundert wird, und doch gibt es auf keinem dieser Bilder ein buchstäbliches Begehren. Es gibt keine Pan-Figur, keinen Apoll, keine Liebesszene.
Stattdessen rückt Delvaux ab Mitte der dreißiger Jahre andere Frauen mit ins Bild, es existiert nur die lesbische Liebe. Die Männer, die auf diesen Bildern auftauchen, halten sich zurück. Sie sind bekleidet, tragen Melone, lesen Zeitung, treten als Wissenschaftler auf. Sie studieren an der Frau herum wie an einem Planetensystem."
Der Mann als Randfigur. Wenn er in korrektem bürgerlichen Habitus mit Melone erscheint, könnte er einem Gemälde von Magritte entstiegen sein.
Und als Wissenschaftler wird der Mann bei Delvaux sogar zur Karikatur, zum wunderlichen Kauz.
Die Frau erreicht ihre Dominanz auf seinen Bildern erst Ende der zwanziger Jahre, als er selbst seine große Liebe gefunden zu haben glaubt - ein Verhältnis, das von den Eltern, bei denen er immer noch lebt, denn auch prompt untersagt wird.
An der Akademie der schönen Künste in Brüssel hat Delvaux Malerei studiert, sich zuvor aber schon an dem Fach Architektur versucht. Diese Kenntnisse fließen auf seinen Gemälden ein in die Gestaltung des Figurenumfelds - in die Stadtszenerien mit ihren renaissancehaften und antiken Bauten - eine mythische Kulissenwelt mit Tempeln und Triumphbögen:
"Delvaux versucht, die Frauen in eine Art pompejanische Landschaft oder in eine Art Florentiner-Renaissance zu stellen, jedenfalls in etwas hineinzuversetzen, das nicht 20. Jahrhundert ist. Gleichzeitig gibt es auf einigen Bildern plötzlich Versatzstücke von Eisenbahnen, oder belgischen Vorortsiedlungen, oder Telefonmasten – also doch Zeichen dafür, dass diese Frauen offenbar etwas mit dem 20. Jahrhundert zu tun haben."
"Verwirrung stiften”, so hat Delvaux einmal seine Absicht umschrieben.
Die Wirkung seines irrealen Kosmos bewegt sich zwischen Poesie und subtilem Unbehagen. "Was geschieht hier eigentlich?" möchte man immer wieder fragen – und manchmal auch: "Geschieht hier überhaupt etwas?" Das Zusammenspiel von Raum und Figuren und die überraschende Montage von Versatzstücken machen die Suggestion dieser großformatigen Bilder aus - die doch ganz akademisch gemalt sind: das 20. Jahrhundert mit seinen Versuchen, Formen aufzusprengen und den Weg ins Ungegenständliche zu bahnen, scheint spurlos vorüber gezogen zu sein. Ein sich immer wieder häutender Avantgardist wie Picasso war geradezu ein Antipode des Belgiers - stilistisch, und auch in seiner Persönlichkeit.
Auf frühen Werken von Delvaux sind noch expressionistische Tendenzen zu spüren, und auch der Einfluss Modiglianis. Seine statuarischen Frauen der dreißiger und vierziger Jahre haben aber noch ganz andere Wurzeln: das Kuriosenkabinett auf einem Jahrmarkt zum Beispiel hat Spuren hinterlassen - mit der "Schlafenden Venus” als Attraktion - einer Wachspuppe, die zu atmen scheint:
"...und die hat ihn sehr angespornt, im Grunde ‚tote’ Frauen zu malen – also sie stehen da und warten – aber eigentlich leben sie nicht, weil sie nicht handeln können."
Die Impulse, die Delvaux aufnahm, waren sehr unterschiedlich. Homer hat er gelesen, und Illustrationen zu Romanen von Jules Verne haben ihn fasziniert. Die traumähnlichen Stadtlandschaften sind sicher auch Anregungen de Chiricos zu verdanken:
"Er sieht de Chirico und 1934 sieht und trifft er Magritte. In diesen Jahren beginnt Delvaux, selbst surrealistisch zu komponieren. Seine Bilder werden mit unmöglichen Realitäten aufgeladen. Es wird ‚fotografisch’, naturalistisch exakt, etwas dargestellt, was so nicht passiert sein kann. Und daraus entwickelt sich dann seine typische Konstruktion mit der nackten Heldin, die mit Assistenzfiguren vor einer pompejanischen oder Florentiner Renaissance-Landschaft zu sehen ist."
Zur surrealistischen "Bewegung” mit ihren strengen Regularien gehörte Delvaux aber nicht. Und solche Prädikate sind im Grunde auch nicht wichtig, denn ihre Magie behalten viele seiner Gemälde auch nach der "surrealen Phase": die Frauen erscheinen in immer neuen Kompositionen - auch in verschachtelten Interieurs. Und wenn Gleise und Eisenbahnwaggons in die Szenerie mit den traumverlorenen Damen hineinragen, dann sind hier die beiden großen Motivwelten des Künstlers raffiniert ineinander verschränkt.
Delvaux ist in seiner belgischen Heimat ein Protagonist der nationalen Kultur, während er bei uns mal als unumstößliche kunsthistorische Größe des 20. Jahrhunderts gilt, dann aber auch wieder unterschätzt wird.
Diese Schau in der Bielefelder Kunsthalle ist mit herausragenden Leihgaben belgischer Museen reich bestückt und bietet so Gelegenheit, sich erneut von der Aura seiner Gemälde verzaubern zu lassen - vom Geheimnis seiner Frauen und von der liebenswert altmodischen Weise, in der sie auf die Leinwand gebracht worden sind. Thomas Kellein:
"Die Bielefelder Ausstellung geht davon aus, dass wir heute längst davon absehen können, dass sich alles ständig erneuern muss. Es ist zu beklagen, dass es keine Tradition mehr gibt - und in diesem Zusammenhang ist Delvaux natürlich die Figur, die ganz nachdrücklich sagt: ‚Ich will Tradition!’"
Service: Die Ausstellung "Das Geheimnis der Frau - Paul Delvaux und der Surrealismus" ist vom 22. Oktober 2006 bis zum 21. Januar 2007 in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen.