Rätselhafte Bildwelten
René Magritte war ein Meister der Verblüffung, seine scheinbar einfachen Motive geben immer wieder Rätsel auf. Oft stellen sie unsere Sehgewohnheiten in Frage. Die Fondation Beyeler zeigt jetzt unter dem Titel "Der Schlüssel der Träume" 95 Originale Magrittes und gibt so die Möglichkeit, den Zauber der Bilder auf sich wirken zu lassen.
Ganz klar, es gibt diesen Abnutzungseffekt René Magritte. Jeder von uns hat bestimmte Bilder im Kopf, wenn dieser Name fällt. Die Werbebranche hat das Übrige getan, um die zwischen Wolken schwebenden Felsbrocken oder die Klone des Manns mit der Melone bis zum Überdruss zu reproduzieren. Kann es da noch so etwas geben wie die Begegnung mit dem Original? Ist da überhaupt noch etwas zu entdecken, können wir die Schicht der Klischees überhaupt durchstoßen?
Die Fondation Beyeler vertraut genau darauf. Und die Menschenschlangen vor dem Eingang geben zu denken: Dieser Name elektrisiert noch immer, alle wollen ihn sehen, wollen ihn verstehen und hinter sein Geheimnis kommen. Mehr als 90 seiner Bilder aus allen Schaffensphasen erwarten uns auf fliederfarbenen Wänden. So macht man den Meister der grotesken Motivkoppelungen, den Akademiker der Verblüffung und des sanften Schreckens wieder frühlingsfrisch.
Und irgendwie ist es seltsam: Obwohl wir alle Magrittes Bilder in uns tragen - die gefügige Leserin mit dem aufgerissenen Mund und den entsetzten Augen, die Tabakspfeife vor cremefarbenem Grund mit der Inschrift, dass dies keine Tabakspfeife sei, die aufgeschwollenen Äpfel und Rosen, die das Innere des Zimmers sprengen - die so penibel gemalten Originale bezaubern dann doch. Denn man spürt die Zeit, die inzwischen vergangen ist, man bildet sich nicht mehr so viel ein auf die eigene Informiertheit.
Ja, man begreift, dass diese Erfindungen hier einmal eine Sensation waren. Vor mehr als siebzig Jahren hatte Magritte beschlossen, die vertrautesten Dinge "aufheulen" zu lassen, indem er sie in ungewohnte Umgebung versetzte. In den Kreis der Pariser Surrealisten führte er sich mit seinen "Sprachbildern" ein: Sie gehören immer noch zu den kühnsten Produkten philosophischer Abbildungskritik. Schwarzer Untergrund, darauf ein weißes Wolkengeflecht, in den Wolken die Wörter: Horizont, Vogelschrei, Person, die in Lachen ausbricht, Schrank. Hätte schon einmal jemand einen Vogelschrei zu malen versucht? Na also, Magritte überlässt es klugerweise dem Betrachter, sich dieses Bild vorzustellen.
In der Ausstellung immer wieder Besucher, die einander fragen: "Und, wie heißt es?" Vor Magritte wird ihnen klar, dass Begriffe, Wörter und Titel das Eine sind, die Bilder das Andere. Ulf Küster, Kurator der Fondation Beyeler:
"Es gibt also kaum eine Ausstellung, wo der Titel so wichtig ist und so zwingend zum Bild gehört, obwohl er ziemlich vernebelnd ist, verwirrend ist, es ist eine wichtige Symbiose zwischen Bildtitel und Bild. Man fängt mit dem Titel, bzw. mit dem ersten Eindruck des Bildes an, und das wird dann über den Titel reguliert, dann kehrt man zum Bild zurück und dann gibt es diesen Prozess, der zu einem Erkennen oder auch gewollten Nicht-Erkennen, der zu einer Unauflösbarkeit führt."
Dem Ruf der Fondation Beyeler ist es zu verdanken, dass in dieser Ausstellung über 20 Leihgaben aus Privatsammlungen zu finden sind. Selten oder nie gezeigt, erweitern sie unser Wissen über Magritte. Obwohl der belgische Maler in die kommunistische Partei eingetreten war, findet sich in seinen Bildern keine politische Aussage. Dachte man jedenfalls bisher. Das hier gezeigte Bild "Die universelle Schwerkraft" allerdings suggeriert geradezu eine politische Lesart.
Ulf Küster: "Das ist ein Bild, 1943 gemalt, eigentlich eine fantastische Illustration der Gefühlslage in einem besetzen Land, wie Belgien es damals war, man sieht einen als Jäger gekleideten Mensch, der in einem klaustrophobisch engen Innenhof, würde man denken, steht, mit einer hohen Backsteinmauer, und über der Mauer kann man Baumstämme, Fichtenstämme, erkennen, und dieser Mann wird durch die Mauer gezogen bzw. er versucht, durch diese Mauer zu gehen. Ich überlege mir immer, ob Magritte die Figur des Oberförsters aus Ernst Jüngers Marmorklippen gekannt haben kann, der Oberförster ist ja dieses Bild des Machtmenschen, des Gewaltherrschers..."
Es waren amerikanische Pop-Künstler wie Jasper Johns oder Robert Rauschenberg, die 1954, anlässlich einer Ausstellung in der New Yorker Sidney Janis Gallery, so genannte Wortbilder von René Magritte erwarben. Die Ausstellung in Riehen zeigt nun, auf welche Bilder die Wahl der beiden Amerikaner fiel. Sie verweist damit auch auf Magrittes Rolle als Vater der Pop Art und einer neuen Figuration.
Uns heute allerdings fasziniert viel eher die bürgerliche Mimikry dieses Künstlers: bis auf einen dreijährigen Aufenthalt in Paris lebte Magritte bis zu seinem Lebensende 1967 in Brüssel, in treuer Ehe mit der 1922 geheirateten Georgette, kultivierte die Rolle des Biedermanns, malte im Wohnzimmer, fertigte auf Wunsch der Galeristen zahlreiche Repliken seiner Bilder an. Und trotzdem ist und bleibt er ein ernstzunehmender Philosoph. Seine Einfachheit ist unwiderlegbar und zugleich seine größte Raffinesse. Sie erinnert uns an Rätsel, die wir so schnell nicht lösen werden.
Service:
Die Ausstellung "Der Schlüssel der Träume" mit Werken von René Magritte ist bis zum 27. November in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zu sehen.
Die Fondation Beyeler vertraut genau darauf. Und die Menschenschlangen vor dem Eingang geben zu denken: Dieser Name elektrisiert noch immer, alle wollen ihn sehen, wollen ihn verstehen und hinter sein Geheimnis kommen. Mehr als 90 seiner Bilder aus allen Schaffensphasen erwarten uns auf fliederfarbenen Wänden. So macht man den Meister der grotesken Motivkoppelungen, den Akademiker der Verblüffung und des sanften Schreckens wieder frühlingsfrisch.
Und irgendwie ist es seltsam: Obwohl wir alle Magrittes Bilder in uns tragen - die gefügige Leserin mit dem aufgerissenen Mund und den entsetzten Augen, die Tabakspfeife vor cremefarbenem Grund mit der Inschrift, dass dies keine Tabakspfeife sei, die aufgeschwollenen Äpfel und Rosen, die das Innere des Zimmers sprengen - die so penibel gemalten Originale bezaubern dann doch. Denn man spürt die Zeit, die inzwischen vergangen ist, man bildet sich nicht mehr so viel ein auf die eigene Informiertheit.
Ja, man begreift, dass diese Erfindungen hier einmal eine Sensation waren. Vor mehr als siebzig Jahren hatte Magritte beschlossen, die vertrautesten Dinge "aufheulen" zu lassen, indem er sie in ungewohnte Umgebung versetzte. In den Kreis der Pariser Surrealisten führte er sich mit seinen "Sprachbildern" ein: Sie gehören immer noch zu den kühnsten Produkten philosophischer Abbildungskritik. Schwarzer Untergrund, darauf ein weißes Wolkengeflecht, in den Wolken die Wörter: Horizont, Vogelschrei, Person, die in Lachen ausbricht, Schrank. Hätte schon einmal jemand einen Vogelschrei zu malen versucht? Na also, Magritte überlässt es klugerweise dem Betrachter, sich dieses Bild vorzustellen.
In der Ausstellung immer wieder Besucher, die einander fragen: "Und, wie heißt es?" Vor Magritte wird ihnen klar, dass Begriffe, Wörter und Titel das Eine sind, die Bilder das Andere. Ulf Küster, Kurator der Fondation Beyeler:
"Es gibt also kaum eine Ausstellung, wo der Titel so wichtig ist und so zwingend zum Bild gehört, obwohl er ziemlich vernebelnd ist, verwirrend ist, es ist eine wichtige Symbiose zwischen Bildtitel und Bild. Man fängt mit dem Titel, bzw. mit dem ersten Eindruck des Bildes an, und das wird dann über den Titel reguliert, dann kehrt man zum Bild zurück und dann gibt es diesen Prozess, der zu einem Erkennen oder auch gewollten Nicht-Erkennen, der zu einer Unauflösbarkeit führt."
Dem Ruf der Fondation Beyeler ist es zu verdanken, dass in dieser Ausstellung über 20 Leihgaben aus Privatsammlungen zu finden sind. Selten oder nie gezeigt, erweitern sie unser Wissen über Magritte. Obwohl der belgische Maler in die kommunistische Partei eingetreten war, findet sich in seinen Bildern keine politische Aussage. Dachte man jedenfalls bisher. Das hier gezeigte Bild "Die universelle Schwerkraft" allerdings suggeriert geradezu eine politische Lesart.
Ulf Küster: "Das ist ein Bild, 1943 gemalt, eigentlich eine fantastische Illustration der Gefühlslage in einem besetzen Land, wie Belgien es damals war, man sieht einen als Jäger gekleideten Mensch, der in einem klaustrophobisch engen Innenhof, würde man denken, steht, mit einer hohen Backsteinmauer, und über der Mauer kann man Baumstämme, Fichtenstämme, erkennen, und dieser Mann wird durch die Mauer gezogen bzw. er versucht, durch diese Mauer zu gehen. Ich überlege mir immer, ob Magritte die Figur des Oberförsters aus Ernst Jüngers Marmorklippen gekannt haben kann, der Oberförster ist ja dieses Bild des Machtmenschen, des Gewaltherrschers..."
Es waren amerikanische Pop-Künstler wie Jasper Johns oder Robert Rauschenberg, die 1954, anlässlich einer Ausstellung in der New Yorker Sidney Janis Gallery, so genannte Wortbilder von René Magritte erwarben. Die Ausstellung in Riehen zeigt nun, auf welche Bilder die Wahl der beiden Amerikaner fiel. Sie verweist damit auch auf Magrittes Rolle als Vater der Pop Art und einer neuen Figuration.
Uns heute allerdings fasziniert viel eher die bürgerliche Mimikry dieses Künstlers: bis auf einen dreijährigen Aufenthalt in Paris lebte Magritte bis zu seinem Lebensende 1967 in Brüssel, in treuer Ehe mit der 1922 geheirateten Georgette, kultivierte die Rolle des Biedermanns, malte im Wohnzimmer, fertigte auf Wunsch der Galeristen zahlreiche Repliken seiner Bilder an. Und trotzdem ist und bleibt er ein ernstzunehmender Philosoph. Seine Einfachheit ist unwiderlegbar und zugleich seine größte Raffinesse. Sie erinnert uns an Rätsel, die wir so schnell nicht lösen werden.
Service:
Die Ausstellung "Der Schlüssel der Träume" mit Werken von René Magritte ist bis zum 27. November in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zu sehen.