Radziwill im Norden

Von Anette Schneider · 14.01.2011
Es geht los mit "Radziwill im Norden" in Emden und Umgebung, wo sich gleich vier Ausstellungen dem norddeutschen Maler widmen werden, dessen rätselhafte, altmeisterlich gemalte Bilder viele faszinieren. Den Anfang macht die Emdener Kunsthalle.
Im Vordergrund ein Kanal, das Wasser durch die untergehende Sonne flammend Orange. Rechts einige düster-abweisende Häuser, über die ein Doppeldecker fliegt. Darüber ein pechschwarzer Himmel. - Das Bild "Monikendam" entstand 1929, und ist typisch für Radziwills altmeisterliche Malweise.

Der Autodidakt - 1895 geboren, und in Bremen aufgewachsen - war nach Stationen in Berlin und Dresden 1921 nach Dangast bei Wilhelmshaven gezogen. In seinem Frühwerk, mit dem die Ausstellung eröffnet, hatte er expressionistisch gearbeitet. 1924 entdeckte er dann die alten Niederländer, so die Kuratorin Katharina Henkel:

"Das muss für ihn so faszinierend gewesen sein, dass er binnen kürzester Zeit zu einer völlig neuen Technik gefunden hat. Ihn hat dieses Minutiöse, dieses Detailgenaue, dieses Licht von Spiel und Schatten fasziniert - wenngleich er dem Expressionismus treu geblieben ist, indem er nach wie vor mit kräftigen Farbgegensätzen spielt. Bis ganz zuletzt treffen kräftige Rot- und Blautöne aufeinander, es ist ein Gelb dazwischen gesetzt, es ist auch mal ein kühnes Violett."

Fortan malte Radziwill Stillleben und einige Porträts, vor allem aber die Landschaft, die ihn umgab: Schleusen und Schiffe, Marsch und kleine Dörfer, stets dramatisch ausgeleuchtet, und versehen mit schwarzen oder flammend-roten Himmeln.

Ende der 20er-Jahre, als Künstler wie Dix, Grosz, Kollwitz oder Querner Hunger, Arbeitslosigkeit, Widerstand und aufkommende Kriegsgefahr thematisierten, begann Radziwill, seinen Landschaften Kriegsschiffe und Flieger beizufügen. Fasziniert von der Technik, lässt er sie durch Himmel oder Wasser gleiten, und zeigt dabei noch die kleinste Schraube.

Bis in die 60er-Jahre malt er solche Bilder, und vielen gelten sie als "rätselhaft" und "bedrohlich". Andere verstehen sie als Zeitkritik. Mitkuratorin Lena Nievers:

"Ganz deutlich wird es auf den Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg und danach, wo er ganz eindeutig Tod und Zerstörung thematisiert. Aber nicht politisch. Sondern eher auf der menschlichen Ebene. Also: Man sieht Grabsteine, es geht um die persönlichen Verluste. Man sieht die Flugzeuge, die Tod und Zerstörung bringen. Das ist ein ganz typisches Motiv: Eine scheinbare Idylle, ein Dorf mit Häusern, und darüber sind aber schon die Bomber im Anflug."

Flugzeuge im Anflug, die Tod und Zerstörung bringen? Radziwill zeigt kraftstrotzende Bomber, die den Himmel queren oder tief über der Marsch fliegen. Fast stolz setzt er sie bühnenartig in Szene, als würden sie gleich aufbrechen in den von Millionen Deutschen ersehnten "totalen Krieg".

Auch passt der angebliche "Mahner" Radziwill kaum zu seinem Verhalten im Faschismus: Gleich 1933 trat er der NSDAP bei. 1935, nachdem die Faschisten alle kritischen und jüdischen Kunstprofessoren entlassen hatten, erhielt er einen Lehrstuhl in Düsseldorf. Zwar musste er nach zwei Jahren gehen, weil ein Neider sein expressionistisches Frühwerk publik machte, doch zurück in Dangast wurde er örtlicher NSDAP-Leiter, war befreundet mit obersten Marineführern, reiste Anfang der 40er-Jahre auf Kriegsschiffen in die Karibik, und schuf seit den 30er-Jahren zahlreiche kriegsverherrlichende Auftragswerke, die ab März in Dangast zu sehen sein werden.

Katharina Henkel: "Ich denke, Radziwill war in gewisser Weise ein Mitläufer. Was für ihn sicherlich eine große Rolle gespielt hat, waren wirtschaftliche Aspekte: Dass er sich die Parteizugehörigkeit für sich privat als Künstler, aber auch für sich als Ehemann, später auch als Vater, zunutze gemacht hat."

Hinzu kommt: Vieles, was in einzelnen Bildern heute unheimlich wirken mag, fügte Radziwill erst ab den 40er-Jahren hinzu: rätselhafte Figuren, bedeutungsschwangere Himmelszeichen, unheimliche Wolkenfratzen. Doch je mehr er seine Arbeiten damit ausschmückt - und er macht dies bis zu seiner Erblindung Mitte der 60er-Jahre - desto beliebiger wirken sie.

Katharina Henkel: "Ich kann das immer ganz schlecht beurteilen, was daran wirklich symbolistisch ist. Ob es dann der mahnende Finger sein soll, im Nachhinein? Weil man auch die Symbole nicht immer interpretieren kann. Man denkt dann, man hat es verstanden, aber irgendwie - ich möchte jetzt nicht sagen, dass es etwas Dekoratives hat - aber es bekommt manchmal etwas sehr Bedeutungsschwangeres, ohne das man tatsächlich die Lösung greifen kann."

Radziwills Grundhaltung ließe sich dagegen durchaus klären. Doch scheint dies noch immer nicht gewollt. Befürchtet man, zu Vieles ins Depot geben zu müssen? Katalogtexte und Ausstellung jedenfalls streifen seine faschistische Vergangenheit nur. Stattdessen verweisen die Ausstellungsmacherinnen auf Dangast, wo der "politische" Radziwill gezeigt werden würde - als handle es sich dabei um einen anderen Maler.

Carl Hofer, 1933 von den Faschisten von seinem Lehrstuhl vertrieben und mit Arbeitsverbot belegt, hatte weit weniger Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Künstlers. 1947 notierte er: "Zum Unterschied von den Schweinehunden Nolde und Naziwill" hätte sich ein Arno Breker noch "anständig und hilfsbereit verhalten".

Service:
Die Ausstellung "Franz Radziwill - 111 Meisterwerke aus privaten Sammlungen" ist bis zum 19.6.2011 in der Kunsthalle Emden zu sehen.

Ende März folgen dann Ausstellungen in Wilhelmshaven, Dangast und Oldenburg. Besonders interessant dürfte dabei Dangast sein, wo man sich erstmals der Rolle Radziwills im Nationalsozialismus widmet.